Atomaffäre Fukushima: Versuchte Kernschmelze der Logik

Update 10.45 Uhr: Chinas Volkskongreß beschließt den vor einer Woche von der Staats- und Parteiführung vorgelegten Fünf-Jahres-Plan. Dieser sieht bis 2015 eine Steigerung der bisherigen Kapazitäten durch Atomenergie um rund 400 Prozent und den Neubau einer Reihe von Atomkraftwerken vor.

Japan: Nach Auskunft des Betreibers des Atomkraftwerks Fukushima I, der Tokio Electric Power Company (Tepco),“ist davon auszugehen“ („believed to be“), dass auch die zweite Explosion in einem Gebäude auf dem Kraftwerksgelände eine Wasserstoff-Explosion gewesen ist. Der Grad von Radioaktivität auf der Anlage ist nach Angaben des Atomkonzerns stabil (1). Diese Angaben von Tepco werden durch die Internationale Atomenergiebehörde IAEA und die japanische Atomenergiebehörde NISA bestätigt. Demzufolge ist der Betriebsraum von Reaktor 3 weiter einsatzbereit. (5)

Derweil gibt es einige Merkwürdigkeiten rund um dieses Ereignis, dass weltweit einige Menschen über die Situation so in Sorge versetzt hat, dass sie die ihnen innewohnende Logik offensichtlich außer Kraft gesetzt haben.

Nach Darstellung der japanischen Regierung und des Atomkonzerns Tepco ist die Situation in einigen Atomkraftwerken deswegen eskaliert, weil die Energieversorgung des Kühlsysteme der Atomreaktoren bzw Brennstäbe nicht mehr gewährleistet wurde. Warum die angeblich mit Diesel-Generatoren betriebenen Notstromaggregate für die Kühlsysteme der AKWs in Fukushima I zunächst eine Stunde nach dem Erdbeben störungsfrei funktionierten und dann abgeschaltet wurden, dass haben Regierung und Atomkonzern bisher nicht erklären müssen. Warum eigentlich nicht? (Fukushima: Diesel-Generatoren des Kühlsystems eine Stunde nach Erdbeben abgeschaltet)

Einen Tag später ereignet sich in einem Gebäude rund um einen Atomreaktor von Fukushima I eine Explosion, bei der von dem Betongebäude nur noch das Stahlgerippe stehenbleibt. Dramatische Bilder. Überall reden Experten von einer Kernschmelze, einem Super-Gau, einer atomaren Katastrophe a la Tschernobyl aus, ohne dass bestätigte Informationen vorliegen. Hier mal eine Sensationssendung auf n-tv als Beispiel.

Dann tritt der Sekretär des Regierungskabinetts Yukio Edano vor die Presse und erklärt, dass die Explosion nicht den Reaktor betroffen habe und der eigentliche Reaktorbehälter, ein Metallcontanier, nicht beschädigt worden sei. Dies wird durch den Kraftwerksbetreiber Tokyo Electric bestätigt. Der wohl informierte “Kommunikationsdirektor” der weltweiten Lobby der Atomindustrie “World Nuclear Association”, Ian Hore-Lacy, spricht von einer möglichen Explosion durch entzündeten Wasserstoff. (Fukushima: Diesel-Generatoren des Kühlsystems eine Stunde nach Erdbeben abgeschaltet)

Dann erklärt der japanische Regierungssprecher folgendes (2):

„Wir haben uns entschieden den Reaktor-Container mit Seewasser zu füllen. Handelsminister Kaieda hat uns angewiesen so zu verfahren. Auf diese Weise werden wir Borsäure benutzen, um Kritikalität vorzubeugen.“

Der mächtige Minister  für Wirtschaft, Handel und Industrie in Japan, Banri Kaieda, der nur über einen deutschen, aber keinen englischsprachigen Wikipedia-Eintrag verfügt, ist erst seit Januar im Amt. Vorher war er demnach „Wirtschafts-, Fiskal-, Wissenschafts- und Technologiepolitik“. Was ihn qualifiziert, konkrete Maßnahmen in einem Atomkraftwerk anzuordnen, welches angeblich kurz vor der Kernschmelze steht, sei einmal dahin gestellt. Auch zum Einsatz von Borsäure in einem Atomreaktor mögen sich andere äußern.

Jetzt aber zu einem Punkt, den manche in der Aufregung offensichtlich überlesen haben: Wie kann man Meerwasser und Borsäure in einen Reaktor pumpen, wenn das Kühlsystem und seine Kühlwasserpumpen, betrieben von Notstromaggregaten mit den berühmten, angeblich seit Tagen nicht zu ersetzenden oder zu reparierenden Diesel-Generatoren, nicht funktionieren?

Der ehemalige Betriebsleiter des Atomkraftwerks Neckarwestheim 1, Eberhard Grauf, am 12.März zum „Tagesspiegel“ (3):

„Ich denke, dass es in Japan zu einer partiellen Kernschmelze gekommen ist.“ Wenn es jedoch gelingen sollte, den Reaktordruckbehälter der havarierten Anlage mit einer Mischung aus Meerwasser und Borsäure zu füllen, wie es die japanische Regierung angekündigt hat, dann müsse es gelungen sein, die Kühlpumpen wieder mit Strom zu versorgen. Gelinge das, könne „die Bevölkerung vor einer hohen Strahlung geschützt werden“.

Also was nun? Funktionieren die Pumpsysteme? Ja oder nein?

Hinzu kommt folgende Agenturmeldung über die erste Explosion in einem Gebäude auf dem Kraftwerksgelände von Fukushima I (wir berichten gestern):

„Die Explosion wurde verursacht durch Wasserstoff, der mit Sauerstoff außerhalb des Reaktors interagierte. Der Wasserstoff wurde gebildet, als der superheiße – und zunehmend spröde – Metallcontainer mit den Brennstäben in Kontakt kam mit Wasser, dass über ihn gegossen wurde um eine Kernschmelze zu verhindern.“

Die Atomenergiebehörde Japans hat den Zwischenfall in Fukushima als Zwischenfall der Stufe 4 auf einer Skala von 1-7 eingestuft (4). Zum Vergleich: der Super-Gau von Tschernobyl war ein Zwischenfall der Stufe 7.

Heute Morgen nun, nachdem die öffentliche Panik nach der zweiten Explosion in Fukushima offenbar nicht ganz so eingetreten war wie simple Charaktere sich das vielleicht vorgestellt hätten, steigt der Regierungssprecher Yukio Edano wieder vor die Presse und erklärt, nun sei

„das Kühlsystem des Reaktors Nummer Zwei ausgefallen„. (6)

Ausgefallen. Ja hat es denn funktioniert? Oder wie war das?

Mittlerweile muss man konstatieren, dass große Teile der Öffentlichkeit so verwirrt und ängstlich sind, dass sie nicht einmal mehr in der Lage sind logisch zu denken oder den Verantwortlichen für diese Situation eine einzige Frage zu stellen. Stattdessen verharrt man in geistiger Schockstarre, sehnt sich bizarr nach irgendeiner Katastrophe (und blendet die tatsächliche, humanitäre dabei aus), suhlt sich wohlig im Gefasel der Rampensäue und erklärt ultimativ, es habe eine Kernschmelze in einem Atomreaktor zu geben, auch wenn es keine gibt.

Dabei muss auch eine vorsätzliche Panikmache durch Behörden und Atomkonzerne in Erwägung gezogen werden. Einerseits davon auszugehen, dass Behörden und Atomkonzern nicht die Wahrheit über das Ausmaß der vermeintlichen Katastrophe sagen und gleichzeitig daraus zu schlußfolgern dass es größer sein muss als behauptet, ist unlogisch.

Und ein aus dieser Unlogik und Irrationalität resultierendes Verhalten, sowie eine entsprechende Berichterstattung, ist unverantwortlich.

Epilog

Vor einer Woche hatte die Regierung Chinas seinen neuen 5-Jahres-Plan vorgestellt (7). Dieser sieht den massiven Ausbau der Atomenergie in der (bisher) zweitmächtigsten und bevölkerungsreichsten Wirtschaftsmacht der Erde vor.

Die derzeit existierenden 13 AKWs Chinas haben eine Kapazität von 10.8 Gigawatt. Nun sollen bis 2015 mit dem Bau neuer Kapazitäten von weiteren 40 Gigawatt begonnen werden. Nach einem Bericht der staatlichen chinesischen Nachrichtenagentur ist geplant, in einem weiteren folgenden 5-Jahresplan bis 2020 die Kapazitäten auf das Achtfache des bisherigen Status, als auf über 80 Gigawatt Energieleistung durch Atomenergie zu erhöhen. (8)

Chinas Vizeminister für Umweltschutz, Zhang Lijun, erklärte nun am heutigen Morgen in Peking auf einer Pressekonferenz, man werde trotz der seit drei Tagen in Fukushima I und anderen Atomkraftwerken Japans anhaltenden Krise an den eigenen Plänen festhalten.

Wie Lu Qizhou, Manager der „China Power Investment Corporation“ erklärte, plane man mit „einem nicht energiebetriebenen“ („a non-powered“) Kühlsystem für die Reaktoren (wo bleibt nur der Diesel-Generator ?). Man baue ein paar große Wassertanks über der Höhe der Reaktoren und den Rest erledige die Schwerkaft. Der Manager erklärte es dem superaufgeklärten, hochgebildeten und immer geistig auf der Höhe befindlichen (Presse)Publikum so, dass es verstand, worum es hier ging:

„Es ist wie eine Toilettenspülung, man braucht keine Energie.“

Die zur Zeit an Chinas Küste im Bau befindlichen Atomkraftwerke würden „ins weite Hinterland“ („vast Hinterland“) befördert, so Lu Qizhou. (7)

Der vor einer Woche von der Staatsführung eingebrachte Fünf-Jahres-Plan wurde heute morgen, trotz der dramatisch logisch-unlogischen Atomaffäre in Fukushima, von den Delegierten des zur Zeit laufenden Volkskongresses mit erwartungsgemäß überwältigender Mehrheit beschlossen.

Politik eben.

Quellen:
(1) http://www.tepco.co.jp/en/press/corp-com/release/11031402-e.html
(2) http://af.reuters.com/article/energyOilNews/idAFTKZ00680620110312
(3) http://www.tagesspiegel.de/zeitung/explosion-im-atomkraftwerk/3944726.html
(4) http://www.channelnewsasia.com/stories/afp_asiapacific/view/1116117/1/.html
(5) http://www.iaea.org/newscenter/news/tsunamiupdate01.html
(6) http://de.reuters.com/article/worldNews/idDEBEE72D06E20110314
(7) http://news.xinhuanet.com/english2010/china/2011-03/12/c_13774519.htm
(8) http://www.greenpeace-magazin.de/index.php?id=55&tx_ttnews[tt_news]=102226&tx_ttnews[backPid]=23&cHash=b70c450209

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