JEMEN CHRONIKEN (II): Die Kopie der Idee des „kontrollierten Chaos“

JEMEN CHRONIKEN (I): Operateure hinter der Revolution

Wie im ersten Teil bereits berichtet, wurde am 8.April dieses Jahres über Wikileaks eine Depesche der US-Botschaft in Sanaa veröffentlicht. In dieser von US-Botschafter Stephen A. Seche als geheim klassifizierten Depesche vom 31.August 2009, die nicht nur nach Washington, sondern auch an die US-Botschaften in Kairo, Riad, London und Berlin verschickt wird, berichtet US-Botschafter Seche detailliert von einem geplanten Putsch im Jemen gegen Diktator Ali Abdullah Saleh. Heran getragen an die US-Botschaft wird der Umsturzplan von Tycoon und Multimilliardär Hamid al-Ahmar, der, wie beschrieben, engste Kontakte zur Monarchie in Saudi-Arabien pflegt.

In der Zusammenfassung der US-Botschaftsdepesche schreibt US-Botschafter Seche:

„Hamid al-Ahmar, Islah-Parteiführer, prominenter Geschäftsmann und de facto Führer von Jemens größter Stammeskonföderation, hat behauptet, er würde Massendemonstrationen in ganz Jemen organisieren, die darauf zielten Präsident Saleh von der Macht zu entfernen, wenn der Präsident nicht den fairen Ablauf der Parlamentswahlen in 2011 `garantiere´, eine Einheitsregierung mit Führern der südlichen Bewegung bilde und bis Dezember seine Verwandten aus Machtpositionen entferne.

Ahmar erzählte EconOff (Anm.: Economic Office of the US Embassy, Wirtschaftsabteilung der US-Botschaft) am 27.August, daß Saleh jetzt mehr denn je isoliert ist, ausgeschlossen von Rat und Unterstützung früherer Alliierter und belagert von mehr Bedrohungen für die Stabilität des Regimes, als er handhaben kann. Ahmar sagte, er würde in den kommenden Monaten daran hart arbeiten um Nordwest-Regionalkommandeur Major General Ali Muhsin al-Ahmar (Anm.: Ali Mohsen Saleh, Halbbruder des Diktators, wir berichteten in Teil I), ebenso die Saudi-Regierung, davon zu überzeugen, die Opposition zu unterstützen. Laut seinem eigenen Eingeständnis jedoch fehlt Ahmar immer noch die notwendige Unterstützung, sogar in seinem eigenen oppositionellen Dialog-Komitee, um Anti-Saleh-Demonstrationen auf breiter Basis zu starten.“

In seinem abschließenden Kommentar der Botschaftsdepesche vom  31.August 2009 macht US-Botschafter Stephen A. Seche sehr deutlich, daß er von den großsprecherischen Ankündigungen Ahmars nicht viel hält und geht von einer Selbstüberschätzung des Tycoons während seines quasi-Bewerbungsgespräches mit der US-Botschaft aus. Ahmar, so US-Botschafter Seche, sei schlicht nicht in der Lage Saleh zu stürzen und die Macht zu ergreifen.

„Hamid al-Ahmar hat Ambitionen, Reichtum und Stammesmacht im Überfluss, überall eine heisse Kombination, aber besonders im Jemen. Jedoch hat Ahmar, trotz seiner zunehmend konfrontativen Statements in der Öffentlichkeit und seines verschwörerischen Tonfalls im Privaten, erkannt, dass er in keiner Position ist um die Macht zu ergreifen. Nach seinem eigenen Eingeständnis sind sogar Mitglieder seines eigenen oppositionellen Dialog-Komitees, welches er anführt, skeptisch hinsichtlich dem Nutzen von Massendemonstrationen die auf Saleh persönlich zielen. Wenn man seine (Salehs) Nicht-Reaktion auf Ahmars Aufforderung zurückzutreten beurteilt, ist es unwahrscheinlich, daß Saleh Ahmars Ultimatum, welches ihm privat übermittelt wurde, mehr als eine milde Irritation ansieht. Es ist unklar, wie das Militär, sich unter dem Kommando von Salehs Sohn, Neffen und anderen Sanhan-Loyalisten angeblich verschleissend, in Ahmars Konzept von Massenprotesten der Opposition passt. Ahmar wird wahrscheinlich, vor allem anderen, ein rethorischer Oppositionspolitiker und Geschäftsmann bleiben. Wie es ein Stammesführer von der rivalisierenden Baki-Konföderation uns gegenüber ausdrückte:`Was, wenn Hamid versucht Saleh zu stürzen und versagt? Er würde schwächer enden als zuvor und sich nie davon erholen.` „

Ahmar prahlt während des Kontaktes mit der US-Botschaft in Sanaa ausgiebig mit seinen guten Kontakten zum saudischen Königshaus, sowie den eigenen Ambitionen. US-Botschafter Seche zitert Ahmar wörtlich:

„Wenn die Saudis irgendjemanden anstelle von Saleh an die Macht bringen würden, dann wäre ich das — jeder weiss, daß ich Ihnen nahestehe — aber ich habe ihnen gesagt, der nächste Präsident muss jemand aus dem Süden sein, um der Einheit Willen. „

Seche umschreibt, nach wessen Vorbild Ahmar ab Anfang 2010 den Sturz von Saleh bewerkstelligen will.

„Bleibt der fundamentale Richtungswechsel in Saleh´s Regierungsführung des Landes aus, wird Ahmar beginnen Anti-Regime-Demonstrationen ´in jedem einzelnen Gouvernat` zu organisieren, entworfen nach den Protesten 1998, die halfen den indonesischen Präsidenten Suharto zu stürzen.“

Damals war Indonesiens Diktator Suharto nach 31 Jahren gestürzt worden. Nach einer kurzen Phase der Desorientierung wuchs anschliessend der Einfluss des Militärs, welches die Demokratiebewegung für sich ausgenutzt hatte und Tage vor dem bereits absehbaren Rücktritt des Diktators rassistische Pogrome gegen die chinesisch-stämmige Minderheit im Lande initierte. Zwischen 1000  und 5000 Menschen verloren in den vom Militär angezettelten Ausschreitungen ihr Leben, Tausende Privathäuser, Geschäfte und Bankfilialen wurden organisiert niedergebrannt. Anschließend wandten sich die Indonesier ängstlich an das Militär, um irgendwie Stabilität einziehen zu lassen. Das war der Zeitpunkt, an dem der Diktator zurücktrat. Anschliessend ergiff der Generalstabschef die Macht und liess die protestierenden Studenten aus dem besetzten Parlamentsgebäude werfen.

Das war 1998.

Hamid al-Ahmar wörtlich in der US-Botschaftsdepesche vom 31.August 2009 über seinen geplanten Umsturz im Jemen:

„Wir können die Indonesier nicht exakt kopieren, aber die Idee ist kontrolliertes Chaos.“

Teil III demnächst

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