Bürgerbeteiligung: Vollmundig versprochen, von SPD blockiert?
Stuttgart fordert: Bürgerentscheid zu Stuttgart 21 jetzt!
Am Donnerstag, 9. Juni 2011, wird im Gemeinderat über das vorliegende Bürgerbegehren zur finanziellen Beteiligung der Landeshauptstadt an Stuttgart 21 abgestimmt. Dieses Begehren hatten die S21-Gegner mit 35.600 Unterschriften am 21. März 2011 bei Oberbürgermeister Schuster eingereicht. Im Gegensatz zum Bürgerbegehren von 2007 und zum geplanten Volksentscheid auf Landesebene thematisiert das aktuelle Bürgerbegehren ausdrücklich die Verfassungswidrigkeit der finanziellen Beteiligung durch die Stadt. Im grün-roten Koalitionsvertrag versprechen SPD und Grüne Bürgerbeteiligung. Vor allem die SPD hat sich sehr für die Volksabstimmung über Stuttgart 21 eingesetzt. Dies nahmen die Senioren gegen Stuttgart 21 zum Anlass, bei den SPD-Stadträten nachzufragen, wie diese morgen abstimmen werden.
„Das Ergebnis unserer Umfrage bei den SPD-Stadträten spricht nicht von Bürgernähe“,
sagt Gisela Heeb von den Senioren gegen Stuttgart 21.
„Die meisten von ihnen waren erst gar nicht zu sprechen. Die Fraktionsspitze redet sich aus der politischen Verantwortung, indem sie die Entscheidung zu einer juristischen erklärt. Obendrein finden die SPD-ler viele gute Gründe, warum sie gerade jetzt nicht für die versprochene und eingeforderte Bürgerbeteiligung stimmen können. Es entstand der Eindruck, dass die Kontaktierten sich scheuen, öffentlich zu ihrer Meinung zu stehen. Angesichts der propagierten ‚neuen Bürgernähe ist das besonders enttäuschend. Wir hatten von unseren Stadträten mehr Aufrichtigkeit, Pflichtgefühl und Verantwortungsbewusstsein erwartet.“
Das vollständige Ergebnis der Umfrage:
- Marita Gröger, Andreas Reißig, Monika Wüst und Dr. Maria Hackl haben weder auf E-mails, noch auf Anrufe (Anrufbeantworter) reagiert und waren über die Fraktionsgeschäftsstelle nicht erreichbar.
- Dr. Roswitha Blind und Manfred Kanzleiter haben mit einem nahezu gleich lautenden Brief geantwortet (Schriftwechsel mit Dr. Roswitha Blind siehe Anhang).
- Judith Vowinkel hat sich als einzige für K21 ausgesprochen und erklärt, zum jetzigen Stand das Bürgerbegehren zu unterstützen.
- In einem Telefonat verwies Ariane Zürn auf das „zentrale“ Schreiben von Manfred Kanzleiter.
- Hans Pfeifer (er ist bei der Abstimmung nicht in Stuttgart) sagte für die Zeit nach seinem Urlaub ein persönliches Gespräch zu.
Entscheidend bei der Abstimmung am Donnerstag wird das Votum der zehn SPD-Ratsmitglieder sein, die zusammen mit den Abgeordneten der Grünen, der Linken und SÖS eine absolute Mehrheit von 31 Mandaten stellen.
Anfrage der Senioren gegen Stuttgart 21 an Dr. Roswitha Blind, Fraktionsvorsitzende der SPD-Gemeinderatsfraktion:
Sehr verehrte Frau Dr. Blind,
mit großem Interesse verfolge ich die Aktivitäten der SPD bezüglich Stuttgart21. Als langjährige SPD Wählerin und Befürworterin von K21 ist es mir ein besonderes Anliegen, speziell Ihre Haltung als Fraktionsvorsitzende zum Thema Volksentscheid zu kennen. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir die 3 nachfolgenden Fragen beantworten könnten:
1. Demnächst wird im Gemeinderat über das Stuttgarter Bürgerbegehren zur Finanzierung von Stuttgart21 abgestimmt. Werden Sie im Gemeinderat für den Bürgerentscheid stimmen?
2. Was sagen Sie zu dem Widerspruch, dass die SPD auf Landesebene für einen Volksentscheid stimmt, den Bürgerentscheid im Gemeinderat dagegen ablehnt?
3. Was halten Sie von dem Volksentscheid zu Stuttgart21, der nun im Koalitionsvertrag vereinbart wurde?
Antwort von Dr. Roswitha Blind:
Der Gemeinderat hat es nicht in der Hand, einem Bürgerbegehren zuzustimmen oder es abzulehnen. Nach der Gemeindeordnung Baden-Württemberg ist seine Aufgabe einzig und allein, festzustellen, ob die rechtlichen(!) Voraussetzungen gegeben sind oder nicht. Der Gemeinderat hat also keinen politischen Entscheidungsspielraum. Er stellt nur die Rechtslage fest. Über die Rechtslage kann man manchmal streiten, aber dieser Streit ist keine politische Auseinandersetzung, sondern muss vor Gericht stattfinden.
Juristische Klärungen sind Sache der Gerichte, nicht Sache von politischen Gremien. Was übrigens das letzte Bürgerbegehren betrifft, so hat das VG entschieden, dass es tatsächlich nicht zulässig war, und die Kläger haben bemerkenswerterweise darauf verzichtet, in Revision zu gehen.
Nach unseren Informationen ist auch der neue Antrag auf Bürgerentscheid nicht zulässig. Zu Ihrer Information schicke ich Ihnen in der nächsten Mail die entsprechende Beschlussvorlage samt dem Rechtsgutachten zu. Dieses scheint mir schlüssig zu sein.
Als Sie mich angerufen haben, war ich etwas ungehalten. Das tut mir leid. Es hatte mich geärgert, an einem langen „Feiertagswochenende“ von der Politik eingeholt zu werden, wo ich doch mit den Enkelkindern beschäftigt war. Aber meine Reaktion war nicht angemessen.
Mit freundlichen Grüßen, auch im Namen der SPD-Gemeinderatsfraktion
Roswitha Blind
Bewertung der Argumente von Dr. Roswitha Blind aus Sicht der Senioren und der Parkschützer:
- Die Gemeindeordnung sieht vor, dass der Gemeinderat über die Zulässigkeit des Bürgerentscheids abstimmt, nicht, dass ein Gericht darüber entscheidet.
- Gerade weil ein juristischer Streit von einem Gericht entschieden werden muss, fordern Stuttgarts Bürger, dass die verfassungsrechtliche Frage der S21-Finanzierung von einem Gericht geklärt wird.
- Ein gerichtliches Verfahren kostet viel Geld, eine Revision kostet noch mehr Geld. Im Gegensatz zu den Befürwortern von Stuttgart 21 können die Gegner nicht aus einem Millionen-Budget aus der Staatskasse schöpfen. Maßgeblich begründet wurde das Urteil damals mit einer zugesicherten Kapazitätssteigerung durch Stuttgart 21 die auch die Bahn inzwischen nicht mehr für realistisch hält (weit über die 49 Züge hinaus, die im Stresstest nun nachgewiesen werden sollen).
- Das aktuelle Bürgerbegehren ist ganz anders begründet als das aus dem Jahr 2007. Die damalige Entscheidung kann also nicht als Referenz dienen.
- Wenn im Land ein Volksentscheid über Stuttgart 21 juristisch zulässig ist, so muss das auch für den geforderten Bürgerentscheid über Stuttgart 21 gelten.