DAS WANDERNDE AUGE – Die Konterrevolution des kalten, harten Bargelds

Das Königshaus Saudi-Arabiens und seine Verbündeten schütten Milliarden von Dollar über dem “neuen Ägypten”, einem implodierenden Jemen und der plötzlich nützlichen Muslimbruderschaft aus. Der große arabische Aufstand, so der Investigativjournalist Pepe Escobar, wird zunehmend unter einem Berg des Ölreichtums zu Tode erstickt.

Von Pepe Escobar, Übersetzung Lars Schall

Der 1954 geborene Pepe Escobar aus Sao Paulo, Brasilien ist einer der herausragendsten Journalisten unserer Zeit. Escobar, der vom früheren CIA-Analysten Ray McGovern schlichtweg “der Beste“ genannt wird, arbeitet für die Asia Times und ist ein Analyst von The Real News. Darüber hinaus ist er der Autor dreier Bücher: Globalistan: How the Globalized World is Dissolving into Liquid War, Red Zone Blues: a snapshot of Baghdad during the surge und Obama does Globalistan.

Er hat von verschiedenen Ländern und Konflikten berichtet, darunter Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, Zentralasien, U.S.A. und China. Für Asia Times Online ist er als ‘The Roving Eye’, das heißt: “Das Wandernde Auge“ unterwegs, um vor allem geopolitische Weltereignisse, aber auch die Art, wie sie in den Medien präsentiert werden, zu diskutieren. Diese Kolumne übersetzen wir mit freundlicher und ausdrücklicher Autorisierung von Pepe Escobar exklusiv für LarsSchall.com ins Deutsche.

DAS WANDERNDE AUGE

Die Konterrevolution des kalten, harten Bargelds

von Pepe Escobar

Die Konterrevolution, um den kürzlich verstorbenen großen Soul-Jazz-Dichter Gil Scott-Heron abzuwandeln, wird nicht im Fernsehen übertragen werden; sie wird stromabwärts geflutet mit Bargeld schwimmen. Nehmen Sie Ägypten. Das Haus Saud hat gerade erst dem Leiter des Obersten Militärrats, Feldmarschall Tantawi, $ 4 Milliarden in kaltem, hartem Bargeld gegeben – obwohl nicht einmal die Sphinx genau weiß, wie viel Macht Tantawi, 75, der ehemalige Verteidigungsminister des abgesetzten Tyrannen Hosni Mubarak, wirklich ausübt.

Washington gibt Kairo $ 1 Milliarde in Form eines “Schuldenerlasses” und eine weitere $ 1 Milliarde an Kreditbürgschaften. Nicht viel im Vergleich zu dem, was Washington nach Israel vergibt, aber immerhin doch ein Signal. Und dann gab der Internationale Währungsfonds zusätzliche $ 3 Milliarden in Form von Darlehen. Das “neue” Ägypten beginnt sein Geschäft bereits in nicht zu erlassenen Ketten angebunden aufzunehmen.

Dies ist ein langer Weg der Erklärung, weshalb die “Öffnung” von Rafah – der Grenze zu Gaza – nicht wirklich eine Öffnung war. Die Quote der sich frei bewegenden Bewohner des Gazastreifens beträgt maximal 400 pro Tag, und nicht weniger als 5000 Menschen des Gazastreifens bleiben auf der Schwarzen Liste gesetzt. Im Wesentlichen bleibt also die Gulag-Situation gegenüber dem von Mubarak sanktionierten Niveau bestehen.

Dies ist auch ein langer Weg der Erklärung, warum der mal auftauchende / mal abtauchende ägyptische Präsidentschaftskandidat Mohammed El Baradei sich nunmehr auf einer Überholspur- Charme-Offensive in den saudischen Medien befindet – das Loblied auf König Abdullah singend, während er die frenetische saudische Unterstützung für Mubarak bis zur letzten Minute (und darüber hinaus) ignoriert.

Cash ist König

Im Jemen kauft – was sonst? – das Haus Saud jemenitische Stämme mit kaltem, hartem Bargeld im Namen der “Stabilität in der Region”. Auch wenn es seinem Ruf als vorrangiges Asyl für flüchtende arabische Diktatoren gerecht wird, spricht sich das Haus Saud offiziell zugunsten eines Rücktritts von Präsident Abdullah Saleh im Namen von “weniger Blutvergießen und weniger Unberechenbarkeit” aus.

Das Haus Saud betont – keine Ironie beabsichtigt -, dass Saleh “humanitärer Motive” wegen zu Gast sei. Offiziell verabscheut das Haus Saud auch ein “Machtvakuum”. Besagtes Vakuum bleibt jedoch recht hartnäckig bestehen, jetzt verbunden mit Befürchtungen über ein “steigendes Chaos”. Washington sucht unterdessen den Horizont verzweifelt nach “Zielen“ von al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (al-Qaeda in the Arabic Peninsula, AQAP) ab, die man mit Drohnen bearbeiten kann.

Falls Saleh wieder in den Jemen zurückkehrt, kann dies nur geschehen, weil das Haus Saud es so bestimmt hat. Wir haben also eine Situation, in der Salehs Sohn Ali der Kommandeur der elitären Republikanischen Garde ist – vom Inneren des Präsidentenpalastes aus -, und auch seine vier Cousins kontrollieren wichtige militärische Einheiten. Der aktuell “handelnde” Führer, Vizepräsident Abdu-Rabo Mansur Hadi, ist nur eine Repräsentationsfigur.

Saudi-Arabien scheint dieses theoretisch Vakuum-bereinigte Machtarrangement stillschweigend zu billigen. Was die weitverbreitete jemenitische Protestbewegung angeht, wäre ihre einzige Chance, eine Übergangsregierung zu erzwingen und zu versuchen, die Konterrevolution, die von Salehs Familie gelenkt wird, mit der Macht des Volkes zu unterdrücken. Wenn das der Fall ist, wird das Haus Saud brutal – und direkt – einschreiten.

In Bahrain unterstützt das Haus Saud ausdrücklich die Nationale Menschenrechtsorganisation. Kein Wunder, ihr Vorsitzender wurde von König Hamad bin Isa al-Khalifa im letzten Jahr berufen; dementsprechend muss die Organisation die herrschende Dynastie unterstützen – wenn auch nicht so sehr, wie es die saudischen Meister tun. Die führenden Aktivisten von Bahrains wirklich unabhängigen Menschenrechtsorganisationen wurden unterdessen verhaftet und sehen militärischen Prozessen entgegen.

Und genau wie ein Dieb in der Nacht, wer schlich nach Washington hinein, um am vergangenen Dienstag im Weißen Haus von US-Präsident Barack Obama empfangen zu werden? Niemand anderes als Bahrains Kronprinz Salman al-Khalifa.

Es gab keine Pressekonferenz. Es gab keine Bilder. Es ist so, als ob sich dieses Gespräch binnen fünf Sekunden selbst zerstören würde – aber es hat stattgefunden, zwischen einem Drohnen schweren Friedensnobelpreisträger und dem Führer des Militärs amerikanischer Satrapen (Schützer der Herrschaft, Anm. d. Übersetzers) im Persischen Golf, das damit beschäftigt ist, die eigene Bevölkerung zu stürzen. Keine noch so große Rhetorik ändert die Rechnung: Washington stärkt der unverhohlenen Unterdrückung überall im Persischen Golf den Rücken – zur extremen Freude des Hauses Saud.

Dann gibt es die Frage der Muslimbruderschaft – von wesentlicher Bedeutung im Kontext der sorgfältig orchestrierten US/Saudi-Konterrevolution.

Die Muslimbruderschaft wird durch das Haus Saud an breiter Front instrumentalisiert, von Syrien bis Ägypten. In Ägypten arbeitet die reaktionäre alte Garde der Bruderschaft sehr eng mit dem Militärrat zusammen; “Belohnungen” für gutes Verhalten sollten sich sowohl von Washington als auch von Riad in Vorbereitung befinden.

Das wird sich gewiss nicht als Empfehlung für El Baradei übersetzen, dessen Attraktivität bei entrechteten jungen Menschen, den Liberalen, ein paar Linken und progressiven Islamisten liegt, die der “traditionellen” Muslimbruderschaft abtrünnig geworden sind.

Was die noch reaktionäreren Salafisten betrifft, so treten diese nunmehr in einer PR-Offensive Facebook-Gruppen bei, um zu versuchen, ihr schreckliches Image zu verbessern und sich etwas mit “anderen intellektuellen und politischen Strömungen” zu vermischen.

Die saudischen Medien sind inzwischen voll mit ihrer eigenen Öffentlichkeitsarbeit, die die Verdienste des Königreiches preist und die “Korruption der herrschenden Familien und ihrer Spießgesellen” in ausgewählten arabischen Republiken wie Syrien und Libyen anprangert. Laut der offiziellen Plattform des Konterrevolutions-Clubs des Golfs, auch als Golf-Kooperationsrat (Gulf Cooperation Council, GCC) bekannt, sind alle arabischen Monarchien so tugendhaft wie Jungfrauen im Paradies.

Indem die Konterrevolution des kalten, harten Bargelds weitergeht, sieht die Zukunft der großen arabischen Aufstands 2011 zunehmend düsterer aus. Es hängt alles davon ab, wie energisch der Geist des Tahrir-Platzes den Militärischen Rat in Ägypten im Zaume halten kann. Und wie die progressiven Kräfte in Ägypten, Jemen und darüber hinaus Wege finden, den unerbittlichen Auswirkungen des Ölreichtums des Hauses Saud einen Gegenschlag zu versetzen.

Quelle: Lars Schall

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