Wagenknecht spricht, denken Sie selbst.
Es gibt einen feinen, nicht immer so offen liegenden Unterschied zwischen Apologie und (analytischer) Kritik. Im Grunde besteht dieser Unterschied auf einer Reihe von Ebenen, die nicht von einander zu trennen sind, deren Pole sich aber recht eindeutig unterschieden und gegensätzlich sind.
Die erste Ebene ist die zwischen dem Paar Mut und Feigheit: der Mutige kritisiert, der Feige entschuldigt. Hierzu lässt sich nur sagen, dass beide aus ihrer jeweiligen Situation heraus anders könnten, sich aber entschieden haben es so zu machen, wie sie es tun und nicht etwa anders.
Die zweite Ebene ist die, die Mut und Feigheit selbst von einander zu unterscheiden erlaubt, nämlich die zwischen dem Paar Moral und Amoral. Der Amoralische kennzeichnet sich meist dadurch, dass er von der Moral überhaupt nichts wissen will und diese Ebene in seiner Spache kaum führt. Er schweigt sehr geschwätzig um sie herum. Der Moralische hingegen kann selten anders, als diese Brille der Moral immer wieder aufzusetzen und auszusprechen, was er dann sieht. Und freilich, im Bereich der gegenwärtigen Poitik ist es keine Freude, diese Brille aufzusetzen.
Die dritte Ebene unterscheidet den, der intelligent arbeitet von dem, der intellektuell arbeitet. Während der Intelligente synthetisch denkt („A+B=C“), denkt der Intellektuelle analytisch („Z+2+G-E*K macht, dass A+B=C als logisch gedacht werden kann. Verändere K und du veränderst C. Ohne Z, 2, G, E und K gibt es C nicht.“). Der Intelligente macht aus den (vermeintlich) logischen Kategorien eine weitere Kategorie, der Intellektuelle greift diese logischen Kategorien selbst an und zerlegt sie, um aus ihren Bestandteilen etwas zu formen, das den Kategorien nicht mehr unbedingt entspricht und ihnen manchmal ganz und gar widerspricht und sie letztlich kritisiert. Insofern kann der Intelligente auch das (hämmernde) Denken der Umkehrung kaum führen, während es ein nicht unbeliebtes Mittel des Intellektuellen darstellt. („Arbeiten um zu Leben, statt Leben um zu arbeiten.“ ist eine solche Umkehrung)
Die vierte und letzte von Ebenen in dieser Reihung ist die zwischen dem Paar Übernehmen + Diktieren und Sammeln + Vorschlagen. Wer nur übernimmt und diktiert geht davon aus, dass ohne ihn die Welt nicht mehr liefe und dass ohne Befolgung seines Befehls auch keine Handlung legitim oder möglich ist. Hierbei gilt im Grunde auch das, was Noam Chomsky als „Rede mit ihnen, als wären sie Kinder“ bezeichnet hat (1): kleinen Kindern spricht man die Fähigkeit des selbsttätigen Denkens ab und setzt sich selbst als der große Papa, der für sie und in ihrem Namen denken und handeln muss.
Gegen diesen Typus steht der des Sammlers und Vorschlägers bzw. Verbreiters von Ideen. Dieser Typ könnte in diesem Sinne auch ein Journalist sein, der Bruchstücke zusammenträgt und deren Sammlung vor Menschen präsentiert und unterbreitet, von denen er annimmt, sie könnten ihnen etwas nutzen. Er ist eine Art Arbeiter- und Volksjournalist bestimmter Ideen, während der Übernehmende und Diktierende eher jemand ist, der meint, dass Arbeiter und Volk mit Ideen selbsttätig gar nichts anfangen können, denn sie sind schließlich Kinder und sie können nicht denken.
Wozu diese Vorabunterscheidungen, wo es doch klar ist, worum bzw. um wen es in diesem Artikel gehen soll? Eben damit der Leser und die Leserin selbst schauen können, was passiert, wenn sie diese und jene politischen Charaktere einmal durch dieses Raster laufen lassen, aber auch um nicht einfach zu sagen „Frau Wagenknecht macht gute Arbeit“, sondern um gleich noch den Lackmustest mitzuliefern, von dem aus sich vielleicht schließen lässt, ob oder ob nicht diese Frau gute Arbeit macht.
Nehmen wir also die erste Ebene, die zwischen Mut und Feigheit. Dass Wagenknecht hier zu den Mutigen zählt, kann man möglicher Weise an mehreren Dingen erkennen. Ich aber will ein besonderes Beispiel herausgreifen: in diesem Video (ab Min 5:50)
http://www.youtube.com/watch?v=yTVEZ3AItCc
begibt sich Wagenknecht auf ein für sie sehr glattes Eis, wenn sie sagt, die Regierung wirke in ihrem gerade stattfindenden Handeln so wie die letzten Ausstrahlungen der aktuellen Kamera der DDR. Davon abgesehen, dass sie sich damit direkt gegen das feige „Alles ok!“-Denken wendet und somit indirekt nicht feige sein kann, riskiert sie auch möglicher Weise nicht so unschädliche Argumente gegen sich selbst, da sie in der Vergangenheit selbst Dinge über die DDR sagte, die sie später zurücknahm.
Sie sagt mit diesem Satz aber sowohl, dass die DDR auch für sie sehr kritisierbar sein kann als auch, dass man ein Verhalten wie in den letzten Tagen der DDR es die aktuelle Kamera führte nicht begrüßen kann, sondern offen als Problem ansprechen muss. Sie kritisiert damit in gewisser Weise sogar das Denken, dass sie vor ein oder zwei Jahrzehnten noch selbst führte und das sie nun möglicher Weise gerade wieder im Bundestag ablaufen sieht. Das Nichtverbergen der eigenen Unzulänglichkeiten ist ein wesentliches Element von Mut, aber auch ein Kennzeichen von Realismus: niemand ist perfekt, wer aber so tut, als wäre er es, ist noch schlimmeres als nicht-perfekt.
Die zweite Ebene ist zwischen Moral und Amoral. Die Moral der Wagenknecht finde ich in diesem Video ausgedrückt und zwar mehrmals:
http://www.youtube.com/watch?v=ddhm3qpe7sg
Daher nur einige Beispiele. Wenn Wagenknecht die Forderung stellt, man solle endlich aufhören, die Leute zu belügen, so stellt sie damit tatsächlich eine moralische Forderung auf, die eine Amoral kritisiert. Denn Lügen ist nur in Ausnahmen moralisch gerechtfertigt. Wagenknecht sagt aber nicht nur „Sie lügen!“, was eine sinnlose Sache wäre, da man, wie Arundhati Roy das einmal tat (im Buch: „Wahrheit und Macht“) den Mächtigen die Wahrheit nicht ins Gesicht sagen braucht, sie kennen sie ja ohnehin. Wagenknecht entlarvt also nicht unbedingt, sondern stellt die Forderung nach einem moralische akzeptablen Verhalten auf, welches sich unter anderem daran misst, dass man so wenig lügt wie möglich. Sie stellt ein Axiom auf, an dem man Handeln messen sollte. Sie bringt also zum Ausdruck, dass sie sich um die Wahrheit sorgt was schlechterdings ein Kernpunkt jeder Moral ist. Sie macht in diesem Video aber noch etwas anderes: sie riskiert (einmal mehr) sich selbst im Namen der Moral. Wenn sie nämlich in einer solchen Öffentlichkeit wie dem Bundestag ausspricht:
„Sie sind zu feige den Wirtschaftsmächtigen das Handwerk zu legen!“
macht sie zweierlei: Man kritisiert nicht nur eine moralische Untugend, eine Amoral, nämlich die Feigheit, sondern mit einiger Wahrhscheinlichkeit verbaut sie sich damit auch für sich selbst die Möglichkeit von diesen Wirtschaftsmächtigen als eine förderungswürdige bzw. korruptionswürdige Mitspielerin angesehen zu werden. Sie macht damit recht unwahrscheinlich, dass sie sich einmal im Vorstand der Deutschen Bank befinden wird. Sie sagt aber implizit auch, dass sie es gar nicht will und zwar aus moralischen Gründen bzw. aus Gründen, die das Amoralische dieses Geschäfts ablehnen, dem nur feige, also amoralische Menschen die Türe öffnen wollen und „müssen“.
Die dritte Ebene, die zwischen intelligentem und intellektuellem Arbeiten lässt sich gleichfalls mit einem Video der Wagenknecht darlegen. Nämlich mit diesem hier bzw dessen Folgevideos:
http://www.youtube.com/watch?v=DMHfZV4ZyYM
Da diese Videos zusammen an die 3 Stunden lang sind, kann wieder nur exemplarisch herausgegriffen werden. Und ich möchte dabei die Aufmerksamkeit auf den Punkt bzw. die Sprachtechnik legen, die den Intellektuellen (gegenüber den Intelligenten) vorbehalten zu sein scheint: Umkehrung logischer Kategorien.
Wenn Wagenknecht sagt, sie halte es für gelogen, dass die Wirtschaftsordnung der einer Leistungsgesellschaft entspräche. Nicht, weil nichts geleistet würde, sondern weil nicht Leistung das ist, was sich lohnt. Eine Leistungsgesellschaft belohnt Leistung, aber unsere Wirtschaftsordnung ist darauf noch gar nicht ausgelegt, wenn sie vor allem belohnt, dass jemand bereits viel Geld bzw. Vermögen besitzt und von dessen Zinserträgen leben kann, d.h. also wenn der in Wohlstand leben kann, der gar keine Leistung mehr bringen muss. Denn ein ererbtes Vermögen zu verzinsen sei keine Leistung im Sinne der Wirtschaft einer Leistungsgesellschaft, denn, so könnte man das wohl wirklich sagen. In einer Leistungsgesellschaft arbeitet man um zu leben, in unserer aber leben viele um zu arbeiten – und können davon nicht einmal in Wohlstand leben, zudem nicht nur Geld zählt, sondern auch angemessene Freizeit und vor allem die Möglichkeit, sein Leben in die Zukunft hin planen zu können, was schlicht nur mit sicheren Erwerbsverhältnissen (stabilem Einkommen) möglich sei (hier kann man hinzufügen: auch ein bedingungsloses Grundeinkommen macht dies möglich).
Wagenknecht zerlegt also die logische Kategorie des „Wir sind Leistungsgesellschaft“ und zeigt, dass wir genau das nicht nur nicht sind, sondern dass die Umkehrung der Kategorie Leistungsgesellschaft auf uns eigentlich viel eher anzuwenden ist als man gemeinhin annimmt.
Die vierte und letzte Ebene, die zwischen dem Arbeiter- und Volksjournalist und dem übernehmenden Diktierer ließe sich an mehreren Dingen darstellen. Zum einen sei auf diese Broschüre (2) verwiesen, in der ab Seite 18 genau diese Zusammentragung von Ideen geleistet wird. Aber auch in diesem Video der Diskussionrunde der 21. Pleisweiler Gespräche kann man dieses Zusammentragen und Anbieten eindrücklich verfolgen.
http://www.youtube.com/watch?v=CvVbCLS1y3I
Und was ihr, was nicht unwichtig ist, bei all diesem fehlt ist die Arroganz, anzunehmen niemand könne ihre Ideen in Zweifel ziehen. Sie interessiert sich für die Besorgnisse auch bezüglich ihrer Ideen seitens derer, für die sie sie erdacht hat, schaut dem Volk aufs Maul, weil sie verstanden hat, dass sie ohne die Kenntnisse dieser Besorgnisse schlicht nichts nützliches wird anbieten können, was diesen Menschen, auf deren Seite sie steht, hilft.
Eine fünfte Qualität, die aber nur für Politiker zutreffend ist und deswegen nicht in die Frage von Kritiker-oder-Apologet? einzureihen ist, ist die Qualität nicht Parteipresse zu sein, wenn man über einen Politiker schreibt. Das liegt auch im Politiker, über den geschrieben werden soll, selbst begründet. Schafft es nämlich einer nicht, außerhalb seiner Partei denken zu können und schafft er es nicht, deren Namen nicht in jedem 2. Satz sagen zu müssen, so kann man außer Parteipresse-artig kaum über ihn schreiben. Bei Wagenknecht allerdings ist dieses, der Parteipresse dienlich seien schon in ihrer eigenen Sprache keineswegs das Ziel, sondern diese Presse ist, auch für sie, ein Element des Krieges, dessen Verlängerung mit anderen Mitteln die Politik ist. Sie kämpft diesen Krieg aktiv mit und es scheint doch auasgemacht, auf welcher Seite sie dabei steht.
Quellen:
(1) http://www.gulli.com/news/10-strategien-die-gesellschaft-zu-manipulieren-2011-06-08
(2) http://www.sahra-wagenknecht.de/de/article/416.vorfahrt_fuer_sozialdumping.html