Italien: Kapital und EU haben Angst um ihre geplante Entstaatlichung
Die Drohungen von Banken, Ratingagenturen und der deutschen Regierung als treibende Kraft der „Europäischen Union“ gegen Italien haben einen sehr praktischen Hintergrund. Italiens Finanzminister Giulio Tremonti steht wegen der drohenden Verhaftung seines Vertrauten Marco Milanese schwer unter Druck. Doch mit Tremonti steht und fällt die rasche Fortsetzung der geplanten Entstaatlichung durch sogenannte „Sparpakete“. Auch in Italien.
Am Freitag ist die entscheidende Abstimmung in der römischen Abgeordnetenkammer.
Marco Milanese, persönlicher Vertrauter von Italiens Finanz- und Wirtschaftsminiser Giulio Tremonti und Abgeordneter in der Camera dei deputati, trat am 29.Juni unauffällig von seinem Posten in Tremontis Finanzministerium zurück. Bald darauf wurde klar warum.
HAFTBEFEHL GEGEN EINEN VERTRAUTEN
Am Donnerstag dem 7.Juli erließen Staatsanwälte in Neapel einen Haftbefehl gegen Milanese, wegen Weitergabe von Informationen aus der Steuerpolizei-Behörde des eigenen Ministeriums an „Unternehmer“, einen Steuerberater und den Bürgermeister der Stadt Voghera (1). Diese hatten sich bedankt mit
„bedeutenden Barzahlungen und anderen Geschenken, wie teuren Armbanduhren, Juwelen, Luxusautors (Ferrari und Bentley) und Urlaubsreisen im Ausland“,
so die Staatsanwälte. (2)
Wie vertraut der Abgeordnete Marco Milanese mit seinem Finanz- und Wirtschaftsminiser Giulio Tremonti war – der mittlerweile schon zum vierten Mal amtiert – zeigt u.a. die peinliche Tatsache, daß dieser in Milaneses Appartement lebte. Jeden Monat bezahlte Milanese immerhin 8.500 Euro Miete für das bescheidene Etablissement. Natürlich log Minister Tremonti zunächst, was das Zeug hielt. Als die Staatsanwälte entsprechende Beweise darüber vorlegten, zog Tremonti seine Lügen kleinlaut zurück und bekundete, er werde das gemeinsame Arrangement noch „an diesem Abend“ beenden. (3)
Just an diesem Donnerstag hatten unter der Regide des Institute of International Finance (IIF) und dessem Vorsitzenden Josef Ackermann (ebenfalls Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank AG) internationale Banker, Vertreter der “Europäischen Union” und Vertreter des Finanzprotektorats Griechenland getroffen. Das Treffen leitete, so hiess es, der Vorsitzende des EU-Beratergremiums “Wirtschafts- und Finanzausschuss”, Vittorio Grilli. (Das Kapital tagt in Rom)
DIE STAATEN EUROPAS: STANDORTVORTEIL DES TURMS ZU BABEL
Am nächsten Tag setzte das Kapital Italien sofort unter Druck. Am Freitag stiegen an allen Geldmärkten die Schuldzinsen für den Italien (4). Die Zinsen für 10-Jahres-Schuldtitel (Anleihen) des italienischen Gemeinwesens stiegen am Freitag um 14 Basispunkte auf 5.25 Prozent und die Differenz zu den deutschen Schuldtiteln an den Geldmärkten stieg um 24 Basispunkte auf 2.4 Prozent. Das war im Vergleich zu dem bereits ruinierten und zum Finanzprotektorat heruntergestuften Griechenland noch nicht viel. Aber es war ein Anfang.
Ebenfalls ein deutliches Signal: die berüchtigten credit default swaps (CDS) für Italien stiegen von Donnerstag auf Freitag von 216,2 auf 243 Basispunkte.
Die CDS sind Teil der mittlerweile 660 Billionen Dollar an Derivaten, welche die transstaalichen Outlaws des mit Geldschöpfungsmonopol ausgestatteten weltweiten Bankensystems im Zuge der „Globalisierung“ des Kapitalismus nach 1990 aus dem Nichts erfunden haben. Allein der Anteil der CDS-Derivate beträgt geschätzte 350 Billionen Dollar. (5)
Was derzeit auf der Welt passiert, kann man als den Versuch des Kapitals beschreiben, von der Menschheit zu verlangen, diese Selbsterfindung des Kapitals als real zu akzeptieren und abzuarbeiten. Das kommt der Aufforderung zum Selbstmord aller Staaten und Gesellschaften und zur Unterwerfung in einen neuen Feudalismus für mindestens ein Jahrhundert gleich.
AUCH ITALIEN SCHULDET SICH EINE DEMOKRATIE
Die Alternative wäre ganz einfach: die Banken zu entmachten und das Luftkapital nicht mehr als real zu akzeptieren. Aber dazu müsste es eben reale politische Parteien, reale Abgeordnete und eine reale Demokratie geben. Und genau die wird, auch in Italien, mit aller nur denkbaren Heuchelei von genau denjenigen zynisch ruiniert, sabotiert, verraten und verkauft, die von ihr sehr gut leben können, um sie zu bewahren.
Marco Milanese, der persönliche Vertrauter von Italiens Finanz- und Wirtschaftsminiser Giulio Tremonti und bis Freitag sein Vermieter und/oder Mitbewohner, ist einer von fünf Abgeordneten des Parlamentes allein aus der „Partei der Freiheit“ von Ministerpräsident Silvio Berlusconi, gegen die wegen Korruption und ähnlichen Vergehen bereits Haftbefehl erlassen wurde (6). Sie schützt lediglich noch die Immunität von Parlamentariern, welche das Parlament selbst aufheben muss.
Auch das wird in der deutschsprachigen Presse in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die a la Rupert Murdoch auf erbärmliche Weise gleichgeschaltet ist und wie ein Autopilot der Entstaatlichung der europäischen Staaten zuarbeitet, gern verschwiegen.
STAATSSTREICH IN ZEITLUPE
In Italien geht es – wie in allen europäischen Staaten, deren Regierungen seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages und der damit einhergehenden Auflösung der „Europäischen Gemeinschaft“ versuchen in eskalierendem Tempo ihre eigenen Staaten von oben herab aufzulösen – um eine organisierte Entstaatlichung. Die Begriffe „Sozialabbau“, „Lohnraub“ oder „Kürzungen“ gehen längst am Thema vorbei. Wie die Parallelentwicklung mit Zeitvorsprung in Griechenland ultimativ unter Beweis gestellt hat, zielt das „Sparpaket“ für Italien auf ein Einsparen des italienischen Staates zugunsten einer Finanzdiktatur und ausführenden EU-Zentralregierung, die von den Räten genau der Regierungen gebildet werden, die dabei sind auf diesem Umweg elegant jede parlamentarische Kontrolle, die Restbestände ihrer eigenen Demokratien, die immer noch in Kraft befindlichen Verfassungen und damit effektiv gleich ihre ganzen souveränen Staaten loszuwerden, um sie als „Bundesstaaten“ ins neue Imperium auf europäischem Boden zu integrieren.
47 Milliarden Euro sollen Italien und seinem Wirtschaftskreislauf durch das „Sparpaket“ entzogen werden. Samt und sonders soll dieses Realgeld für den „Schuldenabbau“ verwendet werden, für die Bezahlung von Zinsen und Zinseszinsen an nutzlose Kapitalgesellschaften mit Geldschöpfungsmonopol, die sich wie ein Wirtskörper in die Gesellschaften hineingefressen haben und ihre Gier durch korrupte Staatsparteien und Regierungen beschützen lassen.
KLEINE SPARGESCHÄFTE
Silvio Berlusconi, dem die Italiener mit ihrer gelungenen Volksabstimmung gegen die Atomkraft und den Ausverkauf ihrer Wasserversorgung schon mal den Mantel gereicht haben, versuchte im Zuge dieser 47 Milliarden-Plünderung des eigenen Staates wie üblich auch persönlich ein gutes Geschäft zu machen. In den umfangreichen Gesetzentwurf des Sparpaketes liess er in Artikel 23 sechs kleine Zeilen einbauen, die seinen Konzern Fininvest vor der nun gestern fälligen (7) Strafe in Höhe von 560 Millionen Euro bewahrt hätten.
Doch die Juristen von Staatspräsident Giorgio Napolitano, der seinen Pappenheimer im Amt des Ministerpräsidenten kennt, hatten aufgepasst. Sie fanden den Passus im „Sparpaket“. Kleinlaut und mit knirschenden Zähnen musste Berlusconi wieder einmal zu Kreuze kriechen und den Passus streichen lassen. Finanzminister Giulio Tremonti redete von „schlechtem Wetter“ und liess eine Pressekonferenz platzen. (8)
DER UNTERGANG DES EURO-LANDES
Als am Freitag Tremontis Stuhl nun erheblich zu wackeln begann, beschwor dieser gleich, völlig sinnfrei, den Untergang des gesamten Euro-Systems ins Spiel. Wenn er wegen „politischer Angriffe“ (gemeint waren in Wirklichkeit ganz normale Gerichtsverfahren) zurücktreten müsse, könne die gesamte Währung Euro zusammenberechen, so Tremonti. Williges Sprachrohr für diesen Unfug: das italienische Massenblatt „Corriere della Sera“ und im üblichen Zitatenkarussel der Informationsindustrie anschließend „Bloomberg“. (9)
Sowohl die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, als auch der Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, haben beide nach öffentlichem Druck eingestehen müssen, daß eine Euro-Krise nicht existiert. (2. Juni, Merkel: Es gibt keine Euro-Krise) (14. Juni, Bundesbank-Präsident Jens Weidmann: Es gibt keine Euro-Krise)
Trotzdem wird, sowohl surreal wie bezeichnet, dieser zur Panikmache und Ablenkung dienliche Propaganda-Begriff durch genau die Medien weiter benutzt, die sonst jede Behauptung dieser politischen und finanzpolitischen Funktionäre unbesehen übernehmen.
HEUTE KAPUTTER SCHILD UND STUMPFES SCHWERT DES KAPITALS: ANGELA MERKEL
Um Tremonti zu retten, brachte nun das Kapital neben den Schuldzins-Erhöhungen auch seine beste politische Waffe gegen Italien in Stellung: die deutsche Regierung.
Am Sonntag (10.Juli) telefonierte Kanzlerin Merkel mit Berlusconi. Dieser war bereits auf Distanz zu Tremonti und das von ihm und Milanese konzipierte „Sparpaket“ gegangen und hatte einen seiner üblichen Schwenks angedeutet, um nicht in den Abwärtssog der beiden Vertrauten mit hinein gezogen zu werden. Doch Merkel, bekanntermaßen immer gut beraten von der Deutschen Bank AG und ihrem selbst bedenklich wackelnden Vorstandsvorsitzenden Josef Ackermann, brachte Berlusconi wieder auf Kurs.
Steffen Seibert, ehemals Garderobenständer des Staatssenders ZDF und heute direkter Regierungssprecher, fand die richtigen Wort: „Deutschland“, so Merkels Sprecher Seibert, habe „volles Vertrauen“ in „Italien“. Gemeint war natürlich die Regierung von Italien. Die Berlusconi-Regierung werde
„die notwendigen klaren Entscheidungen für einen Sparhaushalt treffen“ (10)
DIE STAATSPARTEIEN: AUCH IN ITALIEN VERRÄTERMASCHINEN
Am Montag waren dann alle wieder einer Meinung: Banken, EU, Merkel, Berlusconi und natürlich auch die Verrätermaschine „Partito Democratico“ („Demokratische Partei“) unter ihrem Vorsitzenden Pier Luigi Bersani. Bersanis PD kündigte an, dem 47 Milliarden-Entstaatlichungsprogramm von Berlusconi und Tremonti zuzustimmen (11). Wieder einmal senkte sich der Deckel auf dem „Mitte-Links“-Spektrum.
Außer Berlusconis Partei „Popolo della Liberta“ (bis 2009 „Forza Italia“) und der „Demokratischen Partei“ (bis 2007 „Olivenbündnis“) gibt es in der Abgeordnetenkammer Italiens nur noch Regionalparteien und die Partei „Italia dei Valori“ („Italien der Werte“) von Antonio Di Pietro. Di Pietros Partei hat als einzige angekündigt, gegen das „Sparpaket“ zu stimmen (12). Ob sie das wirklich macht, bleibt abzuwarten. Das Maß an Hochverrat hat auch in Italien enorme, aber nicht unschlagbare Ausmaße angenommen.
FINANZ-BLASEN UND GEBLUBBER
Die Abstimmung im Senat ist für Donnerstag, die in der Abgeordnetenkammer für Freitag angesetzt. Sämtliche Scharaden und Blubberblasen, die derzeit von Finanzorganisationen wie Banken und Ratingagenturen, von Türmen zu Bauern degradierten Schachfiguren des Kapitals wie EZB-Präsident Jean-Claude Trichet oder Josef Ackermann, oder aus der deutschen Regierung abgesondert werden – Abwertung von Irland, Euro-Bonds, „Umschuldung“, „Entschuldung“ Griechlands, etc – sollen von dieser entscheidenden Abstimmung am Freitag in Rom ablenken.
Schäuble hatte am Montag nach einer Sondersitzung der 17 Finanzminister aus den Staaten der Euro-Währungszone, an der natürlich auch Tremonti teilnahm, nur wirres Gerede von sich gegeben (12). Beschlüsse wurden nicht gefasst. Natürlich nicht. Man blickte nach Rom.
PANIK AUF DER TITANIC: RETTUNGSBOOT „EUROPÄISCHE UNION“
Das Ausmaß der Angst, welche die demokratisch nicht legitimierten Kommissare und Räte in Brüssel im Duett mit den Banken derzeit kennzeichnet, kann man daran ermessen, daß am Montag EU-Finanzkommissar von einer „systemischen Krise“ sprach und EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy zunächst eine Sitzung des obersten EU-Rates der Regierungsleiter für Freitag andeutete – den Tag der Abstimmung in Rom. Frankreichs Regierung, die mit Christine Lagarde ihre Finanzministerin auf dem Chefposten des „Internationalen Währungsfonds“ geparkt hat, unterstützte den Vorschlag, um „die Märkte zu beruhigen“. (13)
Offensichtlich wirkte das Beruhigungsmittel. Heute wurde im Berliner Regierungsviertel der Sondergipfel wieder dementiert (14). Bereits gestern Abend waren die Kurse an den Geldmärkten nach oben gegangen. Heute stiegen sie an der Wall Street noch einmal kräftig an (15). Offenbar freut sich man sich schon auf ein Gelingen des ersten Akts der Entstaatlichung Italiens durch eine gelungene Abstimmung der Abgeordnetenkammer.
Noch wird dort am Freitag nicht, wie am 29.Juni in Athen, der zweite Staatsstreich gegen eine Demokratie in Europa vollzogen. Aber danach würde gegen er gegen sehr viel weniger von Italien geführt, als bislang noch existiert.
ITALIEN LIEGT IMMER NOCH IN, NICHT UNTER EUROPA
Wird die Demokratie in Rom, wird die Republik Italien auch im Falle einer verlorenen Abstimmung im korrupten Parlament dem Sturmlauf von Kapital und „Europäischer Union“ weiter standhalten?
Europa schaut nach Italien. Nicht auf dessen Regierung, gekaufte Parteien und deren Abgeordnete.
Nach Italien.
Quellen:
(1) http://www.tagesschau.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2011/07/08/International/Neuer-Korruptionsskandal-erschuettert-Italien
(2) http://www.economist.com/blogs/schumpeter/2011/07/italys-finances
(3) http://www.bloomberg.com/news/2011-07-08/italy-s-tremonti-gives-up-rome-apartment-provided-by-former-aide.html
(4) http://www.marketwatch.com/story/political-turmoil-puts-italy-in-spotlight-2011-07-08
(5) http://www.jungewelt.de/2011/07-07/096.php
(6) http://www.ft.com/cms/s/0/4733652a-ab04-11e0-b4d8-00144feabdc0.html?ftcamp=rss
(7) http://derstandard.at/1308681066035/Berlusconi-will-AC-Milan-versilbern
(8) http://www.fr-online.de/wirtschaft/berlusconi-spart-bei-sozial-schwachen/-/1472780/8642756/-/
(9) http://www.bloomberg.com/news/2011-07-09/tremonti-tells-corriere-attack-on-him-would-bring-the-euro-down.html
(10) http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/eu-schuldenkrise-merkel-draengt-italien-zu-sparhaushalt_aid_644751.html
(11) http://www.focus.de/finanzen/news/staatsverschuldung/eu-in-der-schuldenkrise-silvio-berlusconi-drueckt-aufs-tempo_aid_645230.html
(12) http://www.agi.it/english-version/italy/elenco-notizie/201107121221-pol-ren1039-idv_party_confirm_vote_against_govt_s_budget_provisions
(12) http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/cdu-schuldenkrise-spitzt-sich-zu-schaeuble-erwaegt-eu-bonds_aid_645193.html
(13) http://de.reuters.com/article/topNews/idDEBEE76B0ED20110712
(14) http://de.reuters.com/article/topNews/idDEBEE76C05I20110713
(15) http://www.cnbc.com/id/43736536