Allein am Samstag flogen USA und Nato nach eigenen Angaben 7459 Lufteinsätze für Angriffe +++ „Nach US-Militärangaben“ kann der Krieg noch „Tage oder Wochen“ andauern +++ Gaddafi-Truppen am Vormittag „in die Gegend“ des umkämpften Grünen Platzes im Zentrum von Tripolis eingerückt, derzeitige Lage unklar. +++ Brega, Ras Lanuf und Sirte weiter unter Kontrolle des Regimes +++ Pressekonferenz der Rebellen in Benghazi, „Arabische Liga“ sichert diesen „vollständige Unterstützung“ zu +++ Sondersitzung der „Afrikanischen Union“ +++ Sohn Mohammad Gaddafi während eines „Al Jazeera“-Interviews im eigenen Haus festgesetzt +++ Gaddafi-Söhne Saif und Al Saadi nach Rebellen-Angaben in einem „Touristendorf“ gefangen genommen, durch wen und unter welchen Umständen ist unklar +++ Dementi aus Djerba: Flucht von Libyens Premierminister Bagdadi Ali al-Mahmudi nur „unfundiertes Gerücht“ +++ Aufständische erwarten weitere Bombardements durch die Nato auf gegnerische Stellungen +++ Einnahme des Flughafens durch Rebellen behauptet, nicht bestätigt +++
Zuerst eine kurze, subjektive Einschätzung
Den Amerikanern hat es in den letzten Tagen gelangt mit der Nato, den ganzen Möchtegern-Militärs und Stümpern in Rom, London und Paris und ihren „Rebellen“. Sie haben die Initiative an sich gezogen und ebenso das Militärkommando über alle Statisten, also die „Rebellen“-Milizen, Nato-Kräfte, Spione, Attentats-Kommandos, etc. Das ausführende Kommando hat die CIA. Diese ganze „Operation Meerjungfrau“ trägt von A bis Z die Handschrift von General David Petraeus. Vor allem zeichnet sich diese Operation durch militärische Intelligenz aus, zum ersten Mal seit dem US-initiierten Aufstand und Putsch gegen das Gaddafi-Regime (an den Putsch haben sich verschiedene andere Militärmächte drangehängt und versucht, diesen zu beeinflussen).
Die entsprechende Bündelung verschiedener Taktiken und Operationsgebiete, für die General Petraeus bereits bekannt ist – Informationskontrolle (Propaganda, Internet-Manipulation, elektronische Kriegführung), Informationsgewinnung (Satelliten-Kapazitäten, Drohnen, Awacs, Informanten, klassische Spionage, etc), Luft-Operationen (Bombardements, Sondereinsätze, Luftlandemanöver), Marine-Operationen, Bodenkrieg durch Proxy-Milizen unter Leitung entsprechender Kommandeure, verdeckte Operationen (Sabotage, Kidnapping, „gezielte Tötungen“, etc) – hat General Petraeus über seine Kriegserfahrung in Irak, Afghanistan, Pakistan, Somalia, Jemen, usw, über die Jahre ausgebaut und verfeinert und kann diese nun als neuer CIA-Chef mit den eigenen militärischen Kapazitäten entsprechend einsetzen.
Ob tatsächlich, wie durch Washington behauptet, kein reguläres us-amerikanisches Militär derzeit in Libyen am Boden operiert, sei einmal dahingestellt.
Mutmasslicher Verlauf innerhalb der letzten 24 Stunden
– koordinierte Operationen zur Ausschaltung Saif Gaddafis, des Strategen und Oberkommandierenden des Gaddafi-Regimes. Das war der Schlüssel.
– Landung von Bodentruppen via See in Tripolis, durch die Nato-Verbände unterstützt.
– umfangreiche Luftlande-Operationen im Hinterland (Ergänzung 13.27 Uhr: sowie natürlich massive Bombardments).
– geplantes Überlaufen eines wichtigen Vertrauten von Muammar el Gaddafis, sowie von Verbänden Gaddafis im Westen von Tripolis. Einnahme einer wichtigen Militärbasis.
– massive eskalierte Propaganda und Falschiunformationen, um einen psychologischen Schock zu erzeugen und das Regime zum Kollabieren zu bringen.
Zumindest der letztere Teil des Planes ist fehlgeschlagen. Teile von Tripolis werden von Gaddafi-Einheiten gehalten, die US-Proxy-Milizen und Söldner (eine barbarische, grausame Schlächter-Truppe ohne irgendwelche Skrupel) werden vom überwältigenden Teil der Bevölkerung der libyschen Hauptstadt gefürchtet und abgelehnt. Wie „Al Jazeera“ auf ihrem Live Blog als eingebettete Presse auf US-Seite bereits gestätigt hat, haben sich die Invasoren in Tripolis „einige Kilometer“ zurückgezogen, ein Gegenangriff des Regimes läuft. Die Region um die strategisch wichtige Stadt Brega in Ost-Libyen wird zudem weiter vom Regime gehalten.
Strategische Situation
Es droht ein lang andauerndes Blutbad und ein Sumpf der Gewalt, der noch über Jahre hinaus die gesamte Region weiter destabilisieren wird.
Dazu ist es wichtig zu wissen: das Nato-Mandat (nicht die Kriegsvollmacht der UNO, Resolution 1973) für den Libyen-Krieg läuft am 27.September aus. Sukzessive waren mehr und mehr Nato-Staaten aus den aktiven Kriegsoperationen ausgestiegen. Es drohte ein Kollabs des Nato-Krieges. Daher das Eingreifen der Amerikaner.
Als Startsignal der Ereignisse kann der am 28.Juli vermeldete Tod vom „Militärkommandeur“ der Seperatisten in Benghazi, Abdulfattah Junis (Abdel Fatah Younis) gelten. Die Frage, ob Junis von Gaddafi-Loyalisten ermordet wurde, oder von konkurrierenden Kräften im „Übergangsrat“ in Benghazi, ist Spekulation und Ablenkung. Nachdem die angebliche Leiche von Junis erst überhaupt nicht rausgerückt wurde, präsentierte man in Benghazi eine verbrannte. Meiner bescheidenen Ansicht nach könnte das ebensogut eine simple Degradierung durch genervte Vorgesetzte sein. Üppiges Exil irgendwo inbegriffen.
12.00 Uhr
Laut dem Al Jazeera Live Blog hat gegen 9.30 Uhr ein oppositioneller Milizionär geschätzt, daß 20 Prozent der libyschen Hauptstadt noch vom Regime kontrolliert werden. Gegen 10.15 Uhr meldet Al Jazeera Reporter Zeina Khodr, man habe sich „einige Kilometer“ zurückziehen müssen. Es gäbe überall noch „Widerstandsnester“ und „Schläferzellen“ des Regimes.
Bereits am Morgen hatte „Reuters“ gemeldet, daß Panzer der Regime-Kräfte aus dem Präsidentenpalast ausgerückt und zum Gegenangriff übergegangen waren.
In wie weit jetzt die gegen 11.30 Uhr in London durch Rebellen-Kreise abgesetzte Meldung glaubwürdig ist, nach der man nun 95 Prozent von Tripolis kontrolliere, ist schwer zu sagen.
12.15 Uhr
Auf einem russischen Blog ist gestern ein interessanter Bericht aufgetaucht. Er belegt an Hand von Fotos, daß der Al Jazeera-Filmbericht über angeblich gestern Nacht auf dem Grünen Platz im Zentrum von Tripolis stattgefundene Jubelfeiern der Rebellen so nicht ganz stimmen kann.
In China sieht man sich bemüht, im Kapitalismus immer gern gesehene Aufbauarbeiten von vorher Zerstörtem nicht unbeteiligt an sich vorüberziehen zu lassen. Man respektiere den „Willen des libyschen Volkes“ und hoffe auf eine „schnelle Rückkehr der Stabilität“, so Chinas Aussenministerium.
12.40 Uhr
Der Fernsehender Al Arabiya „unter Berufung auf Rebellenkreise“ berichtet, Chamis Gaddafi (Khamis Qaddafi) rückt mit einer regimetreuen Militäreinheit auf das Zentrum von Tripolis vor. (weitere Quelle). Offensichtlich handelt es sich bei dieser Einheit um die ihm unterstehende Garde-Truppe. Eine Kaserne der Chamis-Einheiten 25 Kilometer westlich von Tripolis war von den Rebellen nach eigenen Angaben fast ohne Widerstand eingenommen worden – mutmaßlich, weil sie verlassen war, oder weil sie vorher durch die Nato massiv bombardiert wurde. Laut der Nachrichtenagentur afp waren vor Ort verkohlte Leichen in brennenden Fahrzeugen zu sehen.
Kommentar: Eine Rückeroberung des Grünen Platzes durch die Regime-Truppen (gesetzt den Fall, die Rebellen hatten diesen tatsächlich unter ihrer Kontrolle) wäre für die Invasion ein herber Rückschlag.
13.00 Uhr
Unter die Große Koalition der Präventiv-Sieger hatte sich heute morgen auch die Hamas eingereiht und den Rebellen schonmal zur „Befreiung von Tripolis“ gratuliert. Nun sind die Siegesmeldungen der US-gestützten Milizen in den sie unterstützenden Medien plötzlich wie weggeblasen.
Die Kämpfe in Tripolis dauern an. Die Rebellen melden hohe Verluste. Die Lage in Tripolis sei „nicht stabil“, so ein Sprecher der Aufständischen gegenüber „Reuters“.
Wie der älteste Sohn von Muammar el Gaddafi gestern festgesetzt wurde und von wem, wird in der deutschsprachigen Presse offensichtlich nicht ganz wahrgenommen. Mohammad Gaddafi, der keine Ämter im Regime bekleidet, wurde während eines Interviews mit Katars Hollywood-Behörde „Al Jazeera“ festgesetzt, nachdem im Haus Schüsse ausgebrochen waren. Durch wen diese Operation erfolgte, ist, nun ja, „unklar“. Nachher säuselte „Al Jazeera“, Gaddafis ältester Sohn habe sich „ergeben“.
14.15 Uhr
Gaddafi-Truppen sind „in die Gegend“ des umkämpften Grünen Platzes im Zentrum von Tripolis eingerückt.
Was irgendwie bei allen Ticker-Mitlesern der deutschsprachigen Kriegspresse in einer eingebetteten Falte verschwand: bereits gegen 10.37 Uhr MEZ hatte der „Guardian“ auf seinem Live Blog ein Telefoninterview mit seinem Militärreporter Luke Harding veröffentlicht. Dieser rückte dann – nach viel Gewimmer, Gebrumm und blöden Geschichten über T-Shirts und allerlei ähnlichem Bullshit – schließlich damit heraus: ja, da seien wohl „in the area“ des Grünen Platzes die Panzer regimetreuer Einheiten vorgerückt.
Wie umkämpft der Grüne Platz ist, verdeutlicht auch eine gegen 13.50 Uhr auf dem Al Jazeera Blog veröffentlichte afp-Meldung. Dieser zufolge beobachtete ein afp-Reporter 40 Fahrzeuge mit bewaffneten Rebellen, die aus west-libyschen Landesteilen nach Tripolis „offensichtlich“ unterwegs zum Grünen Platz sein sollen. Der Reporter schaffte es, im Vorbeihuschen genau 35 Bewaffnete an Bord eines Fahrzeug der Müllabfuhr durchzuzählen.
15.00 Uhr
Derweil in Brega: die Situation ist unverändert. Die Regime-Truppen halten die strategische wichtige Stadt. Ein Rebellen-Sprecher äußerte die Hoffnung, die regimtreuen Einheiten würden sich ergeben und dann Richtung Ras Lanuf und Sirte zurückziehen.
Kommentar: Was folgern wir daraus? Daß auch diese Städte noch unter Kontrolle des Gaddafi-Regimes stehen. Und daß die Karte des „Guardian“, welche die augenblickliche Situation im Feld darstellen soll, falsch ist.
15.30 Uhr
Zumindest an der Propaganda-Front siegen die Aufständischen an ganzer Linie. Der auch von der Regierung Deutschlands anerkannte „Nationale Übergangsrat“ unter dem ehrenwerten Herrn Mustafa Abdel Jalil (Mustafa Abd al-Dschalil) gab schon mal eine Pressekonferenz. In Benghazi.
Wer ist Mustafa Abdel Jalil? Bis 21.Februar dieses Jahres war er Justizminister Gaddafis. Schon am 29.Februar war er Chunta-Vorsitzender in Benghazi.
Laut den üblichen Quellen soll sich mit Verspätung nun auch der Premierminister Libyens, Verzeihung, West- oder Restlibyens auf die sichere Seite seiner Wahl begeben haben. Bagdadi Ali al-Mahmudi soll nach Tunesien geflüchtet und in Djerba eingetroffen sein.
Die „Arabische Liga“ (ein Fantomverein von Amr Moussa, einem der größten Schurken der gesamten arabischen Welt) begrüßte die Einnahme von Tripolis sicherte dem Benghazi-Rat der US-Proxys als neues Regime über Libyen die „vollständige Unterstützung“ zu.
Die „Afrikanische Union“ (ein von Gaddafi selbst gegründeter Haufen Potentaten) setzte unterdessen eine Sondersitzung an.
Die Rebellen berichten, sie hätten das Gebäude des Staatsfernsehens eingenommen. Das sendet aber immer noch. Aus Sirte, wie die Rebellen behaupten.
Ein Milizionär kündigte an, man werde die Millionenstadt Tripolis binnen 15 Stunden vollständig unter Kontrolle haben.
Kommentar: Da kriegt offensichtlich jemand, Verluste hin oder her, gerade ordentlich Druck das Ganze so schnell wie möglich über die Bühne zu bringen – jetzt, wo der Applaus schon brandet…
16.15 Uhr
Daß neben Mohammad Gaddafi auch Saif und Al Saadi Gaddafi gefangen genommen worden sind, scheint mittlerweile bestätigt. Durch wen und wo allerdings nicht. Die einzigen vorliegenden Angaben stammen aus Rebellen-Kreisen. Diese geben an, Saif und Al Saadi Gaddafi seien, mitten im Bürgerkrieg, in einem „Touristendorf“ festgesetzt worden.
16.55 Uhr
Aus dem tunesischen Djerba kommt ein für die USA, die Nato und ihre Rebellen peinliches Dementi. Entgegen der Behauptungen in den Medien hält sich Libyens Premierminister Bagdadi Ali al-Mahmudi nicht im Park Hotel der Insel auf, so das Management des Hotels. Die Medien, heisst es, würden „nur unfundierte Gerüchte“ verbreiten.
17.45 Uhr
Der schnelle Sieg der Rebellen-Milizen ist über den Nachmittag wortreich abgesagt worden.
Der „Focus“ schreibt um 17.05 Uhr:
„Nach US-Militärangaben kann es jedoch noch Tage oder Wochen dauern, bis das Militär vollkommen zusammenbricht oder Gaddafi und sein engster Kreis den Kampf aufgeben.“
Es ist genau dieses US-Militär, was gegenüber afp angibt, genauso viel zu wissen, wie in den Medien vor Ort berichtet wird, wenn diese nicht sowieso einen Schritt voraus seien. Würde also bitte jemand im Pentagon anrufen und dort einen vom Focus erzählen, damit die uns weiter einen vom Militär erzählen?
US-Regierung und Nato erzählen derweil in der „New York Times“ voller Stolz, ihre Militärs hätten 7459 Einsätze für Luftangriffe in Libyen geflogen.
7459 Einsätze für Luftangriffe. An einem einzigen Tag.
Im gleichen Atemzug behauptet die US-Regierung von Barack Obama, sie habe den Rebellen lediglich durch „Überwachung“ und „Koordination“ geholfen.
Ein Abfall der Menschheit: Das ist diese US-Regierung, ihre Spione, Militärs, Söldner, Milizen, die Nato und dieser ganze Krieg.
21.30 Uhr
Die Aufständischen erwarten, heisst es im Fernsehsender Al Arabiya, daß die Nato dort weiter macht, wo sie nie aufgehört hat: auf Seiten der durch sie fnanzierten und gestützten Bürgerkriegspartei wehrlose Truppen und Soldaten des Regimes durch Bombardements zu töten. Konkret erwarten die Rebellen, jetzt, da noch Gegner am Leben sind und demzufolge Widerstand geleistet wird, daß die Nato das Areal des Hauptquartiers von Muammar el Gaddafi bombardiert. Es sei da nämlich ein Sohn von Gaddafi im Hauptquartier, hiess es erläuternd für die Presse von den Pressesprechern der Aufständischen.
Die „Pressesprecher“ der Proxy-Milizen von USA und Nato laufen bereits faktisch unter den bekannen Namen „Al Jazeera“ oder „Al Arabiya“. Der Flughafen von Tripolis stünde unter Kontrolle der Aufständischen,
„berichtet der Sender Al-Arabiya unter Berufung auf einen Sprecher der Aufständischen“,
berichtet das letzte Glied der Kette im Stille Propaganda-Post-Zirkel.
Schokri Ghanem, ein Mann von großem Mut und hoher Ehre, hat verkündet, man könne im Friedensfall innerhalb von achtzehn Monaten die Ölproduktion wieder auf das Niveau der Vorkriegszeit heben. Schokri Ghanem ist ein Mann vom Fach. Im Mai war er noch Opec-Vertreter Gaddafis.
Aus seinem Urlaubort Martha‘s Vineyard meldete sich heute Abend Barack „Der mit Bomben und Billionen schmeisst“ Obama via Ansprache zu Wort und sagte: Die USA sind ein Freund und Partner Libyens. Ach was. Und dafür die Ansprache? Chaval al ha Sman.
Seit an Seit mit der Informationsindustrie heisst es nun bei den Hirnspendern der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten über die blutgurgelnden Bürgerkriegs-Milizen (wem schon die Hamas, die EU und das Weisse Haus zusammen gratuliert…), diese würden innerhalb kürzester Zeit Parteien, eine Verfassung und eine echte Demokratie gründen. Heisst das, daß Oppositionsparteien bei erfolgreichem Regierungsdiebstahl (Wahlen) nicht die Hand abgehackt wird?
Resumee
Offensichtlich gegen die Kämpfe in Libyen weiter. Weiter zwischen einem autoritärem Regime und genau den Militärmächten, die es erst aufgerüstet, mit diesem profitable Geschäfte gemacht und dann über eigene Verbündete im Staat angegriffen haben, um es zu stürzen. Auch das eine direkte Parallele zu Afghanistan und Irak.
Weitere werden folgen.
+++ Ticker Ende +++
Kommentare sind geschlossen.