Mexikanisches Twitter-Gesetz – Kampf um Informationsoberhoheit
Provinzgouverneure gebärden sich aus Eigeninteresse wie Feudalherren und erlassen mittelalterliche Gesetze mit Gefängnisstrafen gegen Microblogger und Co. – Rechtsanwälte und Juristen warnen jedoch, dass das Spiel gegen soziale Medien ein Kampf gegen die Grundrechte darstellt.
Am 26. und 27. August 2011 erschienen im Internet Beiträge – von den mexikanischen Behörden als falsch deklarierte Twitter-Meldungen, in denen vor Angriffen auf das Zeta-Drogenkartell gewarnt wurde und dass für jeden getöteten Zeta ein Kind sterben würde. So titelte die Washington Post in einem nicht mehr zur Verfügung stehenden Artikel „Mexican state detains 3rd suspect in chaos-causing tweets reporting planned …“. Der Text ist auch in der Taiwan News erschienen, die wie viele weitere internationale Blätter rund um den Globus über den Vorfall berichtete.
Diese Twitter-Meldungen, von wem auch immer aus welchem Grund in die Nachrichtenwelt ausgesetzt, boten sofort den willkommenen Anlass innerhalb kürzester Frist für Beschneidungen freiheitlicher Grundrechte durch die Politik in einem mexikanischen Bundesstaat.
In Latin American Herald Tribune wurde am 27.August 2011 über verschiedene Kämpfe zwischen kriminellen Banden („Los Zetas, Gulf and La Familia Michoacana cartels“) und Sicherheitskräften der Regierung in dieser Region einschliesslich Boca del Rio – einem Vorort von Veracruz – mit Toten und Verletzten zum Zeitpunkt der „dubiosen“ Twitter-Meldungen berichtet.
In Mexiko verschärfen sich die Repressalien gegen die eigene Bevölkerung durch die Regierung in zunehmenden Maße wie Terror und Gewalt der CIA-gestützten Drogenbarone an Grausamkeiten gegenüber den Bewohnern des Landes kaum noch zu überbieten sind und nicht unter Kontrolle gebracht werden.
Die Zivilbevölkerung informiert sich gegenseitig zum Selbstschutz vor marodierenden Banden über Schießereien, Straßensperren, Enthauptungen und anderen kriminellen Handlungen anhand moderner Telekommunikationsverbindungen.
Über Telefon und soziale Netzwerke werden Übergriffe zeitnah verbreitet sowie aus deren Folge auch Meinungen über die gewählten Beamten und ihre Unfähigkeit, die Gewalt zu stoppen ausgetauscht, was zum Ärgernis der Provinzgouverneure und Regierungsvertreter gereicht, die über gefällige Medien nur ihre eigene „Wahrheit“ als alleingültige Version verbreitet wissen wollen.
Im mexikanischen Bundesstaat Tabasco ist nach Angaben der US-amerikanischen Zeitung McChlatchy in der kommenden Woche die Verabschiedung eines Gesetzes gegen diese „Unruhestifter“ vorgesehen. Mit dem Inkrafttreten drohen für diejenigen, die „Chaos provozieren oder soziale Unsicherheit“ durch Telefonanrufe oder Online-Postings hervorrufen eine Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren.
Die Änderung des Strafgesetzbuches in Tabasco wurde am 27. August 2011 durch die Stimmen von fünfunddreißig Abgeordneten durchgewunken und bedarf jetzt der Veröffentlichung in dem offiziellen Amtsblatt. „Ich denke, das wird in der nächsten Woche erfolgen“, sagte die Mitarbeiterin der Bundesregierung Rubi de la Cruz nach Angaben von McChlatchy.
Jose Espinoza May, Abgeordneter von Tabasco unterstellte den Bürgern, leichtfertig Unwahrheiten zu verbreiten und das anstehende Gesetz hätte die Aufgabe, diese davon abzuschrecken. Im Nachrichtensender El Informativo in Villahermosa sagte Espinoza „Das Gesetz ist kein Gag oder der Versuch, die Meinungsfreiheit einzuschränken. Es ist vielmehr so, daß wir einen Aufbruch zu einem neuen Tabasco benötigen… (zum Kampf) für den Wandel zum sozialen Frieden.“
Vor einigen Tagen sorgte ein Staatsanwalt im Bundesstaat Veracruz dafür, dass ein Mathematiklehrer und eine Großmutter – Gilberto Martinez (@gilius_22) und Maria de Jesus Bravo (@maruchibravo) – wegen ihrer „aufrührerischen“ Tweeds im Gefängnis landeten, hiess es. Die Begründung für die Anklage lautete „Terrorismus und Sabotage“, im Falle einer Verurteilung drohen den Angeklagten dreissig Jahre oder länger Gefängnishaft.
Ihr „Vergehen“ bestand darin, daß die beiden mexikanischen Bürger am 25. August 2011 in ihren Tweeds geschrieben hatten, dass Bewaffnete eines Drogenkartells eine Schule im Bezirk Boca del Rio von Veracruz überfallen und Kinder getötet hatten.
Der für die öffentliche Sicherheit zuständige Chef, Gerardo Buganza, liess verlauten, dass das nicht wahr gewesen wäre und dass sich durch die herbeigeeilten Eltern in deren Panik sechsundzwanzig „Unfälle“ ereignet hätten, was von dem Rechtsanwalt der beiden Angeklagten, Felipe Ordonez Solana, bestritten wurde. Seine Mandanten hätten einfach getweeted, was bereits seit einigen Stunden im Internet kursierte und trat Buganza‘s Behauptung über das daraus resultierende Chaos entgegen, indem er anführte, dass keine Berichte über mehrere Unfälle in der Stadtzeitung am nächsten Tag erschienen waren.
„Sie sind Sündenböcke … damit alle von uns Veracruzanos nicht schlecht über unseren aufstrebenden Gouverneur reden. Ich hoffe, Sie erfassen meiner Satire“ sagte Ordonez in einem Telefoninterview.
Gouverneur Javier Duarte verteidigte die Verhaftungen, ironischerweise in einem Tweet, dem 45.500 seiner Fans folgen: „Ich bin ein leidenschaftlicher Twitter-User, ich bin für die Freiheit der Meinungsäußerung, aber ich verteidige unser Recht, in Frieden und Ruhe zu leben.“
Diese rechtlichen Schritte sind die neuesten Maßnahmen in einem Krieg über Informationen, in welcher Dosierung oder durch Fehlen der Nachrichten, welche Gebiete Mexikos durch kriminelle Übergriffe erschüttert werden. Die traditionellen Medien sind in dieser Berichterstattung stark eingeschränkt, sei es aus Angst vor Repressalien der Gangster oder weil sie Angst haben, dass sie dadurch ihre Einnahmen durch staatliche Werbung einbüßen.
John M. Ackerman, Jurist und Kolumnist, meinte: „Ich wage zu sagen, dass die Mehrheit der Vorfälle der Narco-Gewalt eigentlich nicht gemeldet wird“ (in den traditionellen Medien) und dass die Mexikaner auf Nachrichten angewiesen sind. „Sie wollen informiert sein, um Maßnahmen für ihre persönliche Sicherheit treffen zu können.“
Ackerman sagte, daß sich die Provinzgouverneure „wirklich in der Art von Feudalherren in Mexiko benehmen“ und daß sie die Informationen über das Verbrechen als eine potenzielle Bedrohung für die politische Kontrolle ansehen.
Roberto Arrucha, Jurist und Gründer der Anwaltsgruppe Twitter Contingent of Veracruz, sagte „Die Regierung will mit diesem Gesetz die Kontrolle über Informationen. Die Lage zur Kriminalität hat sich verschlechtert, Staatsbeamte führen routinemäßig eine make up-Statistik, halten Informationen zurück und vertuschen gewalttätige Ereignisse“ und führte weiter aus, dass sich die Bürger jetzt anonyme Accounts zulegen, um sich zu schützen und es nun eine Vielzahl an anonymen Usern gibt. Die Bemühungen, die Nutzer von sozialen Medien für die Verbreitung von unbestätigten Berichten zu bestrafen „wird völlig kontraproduktiv“, da mehr Mexikaner ihre online-Identität verbergen. „Das macht es den Menschen noch einfacher, Gerüchte zu verbreiten“, so Arrucha.
Artikel zum Thema
27.07.2011 „Selbstjustiz“ – US-Operation „Fast and Furious“
22.11.2010 Mexiko – alles USA oder was?
Quelle: http://www.mcclatchydc.com/2011/09/09/123645/mexico-politicians-declare-war.html