Das bewegte Berlin bewegt die Welt
Intrigen in der FDP: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger soll angeblich Außenminister Guido Westerwelle ersetzen. Jürgen Trittin warnt vor einer „großen Koalition“, drängt auf die Umsetzung der „Refinanzierung der Banken“ durch den „Rettungsfonds“ EFSF und den geplanten Nachfolger ESM, für die Bündnis 90/Die Grünen auch eine CDU/CSU-Minderheitsregierung bis zu Neuwahlen stützen würde.
Dazu eine Zusammenfassung, ein paar Hindergründe und die Klärung von Mißverständnissen.
Laut einem gestrigen Zeitungsbericht der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ gibt es im FDP-Bundesvorstand für den Fall eines Rauswurfs der FDP aus dem Berliner Abgeordnetenhaus bei der Landtagswahl am morgigen Sonntag folgendes Szenario (1) : Außenminister Guido Westerwelle tritt zurück, Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger tritt zurück, wird dann von Kanzlerin Angela Merkel als Außenministerin vorgeschlagen und von Bundespräsident Christian Wulff ernannt (reguläre Prozedur). Dann soll, bitte festhalten, der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Otto Fricke Justizminister werden. Ein aalglatter, skrupelloser Neokonservativer, tief im Sumpf der Calvinisten und evangelikalen Bellizisten. „Jeder ist seinen eigenen Rechtes Schmied“, das wäre in diesem Falle zu erwarten.
Der Bericht über den FDP-Ringtausch beschädigt neben Westerwelle und Leutheusser-Schnarrenberger auch Fricke selbst. Dieser hatte sich gestern noch auf die Seite des derzeitigen Wirtschaftsministers und FDP-Vorsitzenden Phillip Röslers gestellt und gestern in einem Interview den „geordneten“ Staatsbankrott Griechenlands nicht ausgeschlossen (2).
Das widerspricht den Versuchen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der CDU-Führung unter Finanzminister Wolfgang Schäuble und Kanzlerin Merkel die Insolvenzverschleppung des finanziell praktisch erwürgten Staates Griechenland weiter fortzuführen. Hintergrund: Im Falle eines Staatsbankrotts von Griechenland müssten die Finanzgläubiger Griechenlands auf einen Großteil ihrer Forderungen verzichten. Welche Banken und Kapitalgesellschaften dann auf ihrern Forderungen sitzen bleiben würden, wäre Verhandlungssache. Genau vor dieser „ungeordneten“ Situation graut es die Berliner Bundesregierung mit ihren Beratern von der Deutschen Bank AG.
Die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ berief sich in ihrem Bericht gestern auf „mehrere Mitglieder des FDP-Vorstands“ (1). Darunter wird mutmasslich wieder einmal Rainer Brüderle sein, der fast nie eine Möglichkeit ausgelassen hat, um in perfider Absprache mit scheinbaren Konkurrenten aus den anderen Bundestagsparteien eine liberale Bürgerrechtspartei zu sabotieren, eine kalte, marktradikale Rechtspartei zu implementieren und einer „großen Koalition“ zwischen SPD, CDU und CSU zuzuarbeiten, die dann wieder Politik-Agenden umsetzt, die von den Wählern nie beschlossen oder gewollt wurden.
Es ist bis heute nicht nachzuvollziehen, wo Brüderle seiner Partei schon einmal genützt hätte. Unvergesslich, wie er als Vorsitzender der FDP Rheinland-Pfalz nach dem Rauswurf aus dem Landtag am 27.März bei der Landtagswahl bleich neben Spitzenkandidat Herbert Mertin stand und solange redete, bis alle Sender wieder umschalteten. Anschließend trat er als Landesvorsitzender zurück. Doch die berühmte Berliner Resteverwertung gescheiterter Wahlverlierer brachte Brüderle den FDP-Fraktionsvorsitz im Bundestag. Nun kann er Frank-Walter Steinmeier regelmäßig freundlich zuwinken. Vielleicht tat er dies auch gestern wieder einmal.
FDP-Generalsekretär Christian Lindner reagierte heute einigermaßen erschrocken auf die Veröffentlichung und bezeichneten diese als „erstunken und erlogen“. Lindner ist das typische Beispiel eines Boshaftigkeits-Magneten, eines wohlmeinenden politischen Talentes, was durch neidische, abgetakelte Dinosaurier am Liebsten vernichtet wird, weil diese dagegen so aussehen wie sie sind: häßlich und schäbig. Dabei hat Lindner offensichtlich immer noch nicht erkannt, daß sich im Zirkel der Berliner pseudowelt- und „europa“-politischen Nomenklatura bisher nicht Leistung, sondern Lüge, Heuchelei und Intrige gelohnt haben.
Das ist dabei, sich zu ändern. Allerdings bestimmt nicht Dank der Liberalen, oder irgendeiner anderen etablierten Partei.
Natürlich beschädigt der gestrige Zeitungsbericht auch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Allerdings passt er zum Schwenk der derzeigen Justizministerin bei der Verlängerung der bis heute in Umfang, Anwendung und Ausmaß ungeprüften Terror-Gesetze seit 2001. (Analyse zur Steinmeier-Leutheusser-Schnarrenberger-Connection: Die Justizministerin hat die falsche Seite gewählt, 2.Juli)
Man könnte zu der Auffassung gelangen, daß Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ihrem Amt, was sie schon einmal aufgegeben hat, schlicht nicht gewachsen ist.
Daß in Berlin derzeit einiges in Bewegung ist und ein paar Vorwärtsverlierer wieder einmal versuchen aus gescheitertem Angriff gescheiterte Verteidigung zu machen, kann man auch am heute veröffentlichten Interview mit Jürgen Trittin im „Spiegel“ (3) sehen. Der Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen zeigte sich hochnervös und warnte CDU und CSU vor einer „großen Koalition“ mit der SPD. Er drängte auf Annahme des von den Fraktionsführungen von FDP und CDU/CSU vorgelegten EFSF-Gesetzes. Dieses gäbe, nach Rechtsauffassung des Bundesfinanzministeriums, Minister Wolfgang Schäuble die allgemeine Ermächtigung, mit Aktiengesellschaften wie der EFSF Verträge über die weitere Verwendung von Hunderten von Milliarden Euro deutscher Steuergelder abschliessen zu können.
Die Steuergelder des EFSF-Fonds, für den die Republik nach einer von der Deutschen Bank AG selbst in die Welt gesetzten Rechnung mit 400 Milliarden Euro haften würde (4) , sollen auch zur Bezahlung von Banken verwendet werden. Das weiss Trittin nicht nur sehr gut, das führt er im Interview auch noch ganz offen als Begründung an (3):
„Wir haben uns aber gleichzeitig immer für den europäischen Stabilitätsmechanismus EFSF ausgesprochen – denn nur in dessen Rahmen ist eine Entschuldung von Krisenstaaten wie Griechenland möglich. Weil er dafür Instrumente bereitstellt, beispielsweise Banken zu refinanzieren, die durch einen entsprechenden Schuldenschnitt selbst in ihrer Existenz bedroht sind.“
Für die Durchsetzung des erweiterten „Rettungsschirms“ EFSF, sowie der geplanten völkerrechtlichen Finanzorganisation ESM, deren Umsetzung die Regierung gestern auf unbestimmte Zeit auf 2012 verschieben musste (5), seien die Grünen bereit auch eine CDU/CSU-Minderheitsregierung von Merkel zu stützen, selbst wenn dafür Neuwahlen ausgerufen würden, so Trittin. Trittin beweist hier bedenklichen Realitätsverlust.
Was der Co-Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion natürlich weiss, aber die meisten Staatsbürger leider nicht: es gibt kein Recht des Parlamentes auf Selbstauflösung. Den Prozess für Neuwahlen kann nur Merkel selbst in Gang setzen und auch nur durch eine verfassungsrechtlich äußerst bedenkliche Konstruktion. Die Kanzlerin müsste „beweisen“, daß sie über keine eigene Bundestagsmehrheit mehr verfügt und eine Vertrauensabstimmung verlieren. Gleichzeitig dürfte es natürlich keine Mehrheit für einen anderen Kanzler oder Kanzlerin geben. Dann könnte die Kanzlerin beim Präsidenten die Auflösung des Parlaments beantragen. Der Präsident könnte dann den Bundestag auflösen und Neuwahlen ansetzen.
Zwei Kanzler haben diese von der Verfassung nicht vorgesehene gezielte taktische Auflösung des Parlamentes unter Berufung auf Artikel 39 und Artikel 68 Grundgesetz vollzogen: Helmut Kohl 1982 und Gerhard Schröder 2005. Zweimal spielten sowohl der jeweilige Präsident mit (1982 in Westdeutschland das ex-NSDAP-Mitglied Carl Carstens und 2005 ex-IWF-Generaldirektor Horst Köhler), als auch das Bundesverfassungsgericht.
Ein drittes Mal würde das sehr viel schwieriger. Das Parlament taktisch aufzulösen würde, wenn es überhaupt durchkommt, im danach folgenden Wahlkampf für die Betreiber dieser Operation politisch verlustreich. Auch ist es höchst zweifelhaft, ob Merkel ihren politischen Selbstmord selbst in Gang setzen will. Die derzeitige Kanzlerin würde einen Schwenk zur SPD innerhalb der CDU/CSU politisch wohl nicht überleben. Weigert sich aber z.B. Merkel abzutreten und CDU/CSU und SPD wählen einen Nachfolger ins Kanzleramt, ist erwiesen, daß dieser über eine eigene Mehrheit verfügt. Ergo kann der Präsident nach den Buchstaben des Grundgesetzes auch nicht das Parlament auflösen. Tut er dennoch, wie Carl Carstens 1982 in der Bonner Republik, wird es Ärger geben, soviel ist sicher. Die Zeiten haben sich geändert.
Wahrscheinlicher ist also folgendes: Angesichts ihrer drohenden Vernichtung wird die FDP in den nächsten Monaten etwas tun, was jede etablierte Partei hasst wie die Pest – auf den Wähler hören. Ein unerhörter Tabubruch. Dazu kommt morgen noch der wahrscheinliche Einzug der Piratenpartei in das Stadtparlament von Berlin, einer der einflussreichsten Städte der Welt.
Vom griechischen Philosophen Archimedes ist folgendes Zitat überliefert:
„Gebt mir einen festen Punkt und eine genügend lange und feste Hebelstange, so hebe ich die Erde aus ihren Angeln.“
Was sich nun in diesen Tagen abspielt, ist schlicht folgendes: Aufgrund des festen Punktes Grundgesetz und des sich daraus ergebenden Hebels der parlamentarischen Demokratie bringen die sich dramatisch verändernden Grundbedingungen in der deutschen Gesellschaft die fragile Machtarchitektur einer alten Nomenklatura in Berlin und anderen Weltstädten zum Einsturz, die für die Umsetzung ihrer seit 21 Jahren vorprogrammierten Welt-Agenden nicht mehr über die notwendige gesellschaftliche Basis in Deutschland verfügt und sich als abgehobener Zeppelin mit Archimedes´ festem Punkt in der Luft verwechselt.
Wer hätte das gedacht.
Epilog 14.25 Uhr
Nach Jürgen Trittin kam in einem quasi unvorhersehbaren Akt der Verzweiflung auch SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel bei einer großen Zeitung angewackelt (6) und bettelte Kanzlerin Merkel nach einer Implementierung von EFSF und ESM an. Auch Gabriel bot Merkel dafür die Unterstützung einer Minderheitsregierung an, falls die „in Auflösung begriffene“ FDP nach der Urabstimmung ihrer Mitglieder zur Installation des ESM im Bundestag nicht zustimmen sollte. Auch der SPD-Vorsitzende verlangte für diesen Fall von Merkel das Parlament auflösen zu lassen.
(…)
Artikel zum Thema:
16.03.2011 Bundestag unterwirft Banken, IWF, EFSF, ESM, EU und Merkel dem Grundgesetz
Am morgigen Donnerstag, dem 17.März 2011, ändert das deutsche Parlament in Punkt 11 seiner Tagesordnung das zwar real, aber nicht auf der Basis von Recht und Gesetz existierende Machtgefüge auf dem Planeten Erde.
Quellen:
(1) http://www.ksta.de/html/artikel/1316166172637.shtml
(2) http://www.bild.de/politik/inland/otto-fricke/interview-mit-fdp-chefhaushaelter-19985242.bild.html
(3) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,786672,00.html
(4) http://www.faz.net/artikel/C30770/schuldenkrise-deutschland-haftet-mit-400-milliarden-30687805.html
(5) http://de.reuters.com/article/topNews/idDEBEE78F07B20110916
(6) http://www.tagesspiegel.de/politik/gabriel-fordert-von-merkel-ende-der-koalition-und-neuwahlen/4618820.html