Im September 2008 wurde ein Konvoi mit Lebensmittelhilfe, betrieben von einem somalischen Geschäftsmann und seiner Frau, angeblich von einer bewaffneten Gruppe in Nordsomalia geplündert.
Der den Konvoi betreibenden Besitzer der Firma machte die Union islamischer Gerichte für den Zwischenfall verantwortlich, doch unabhängige somalische und internationale Quellen berichteten Ermittlern der Überwachungsgruppe für Somalia, dass der Angriff wahrscheinlich inszeniert war, und dass die Nahrungsmittel tatsächlich für den Verkauf umgeleitet wurden.
Die Überwachungsgruppe für Somalia – eine Einheit, die vom UN-Sicherheitsrat beauftragt wurde, Verletzungen des Waffenembargos in Somalia zu überwachen – präsentierte dem UN-Sicherheitsrat im März 2010 die Ergebnisse ihrer Untersuchungen.
Laut dem Bericht vergab das Welternährungsprogramm (WFP), der größte Verteiler von Nahrungsmittelhilfe in Somalia, 80 Prozent der Transportverträge im Wert von etwa 160 Millionen US-Dollar an drei somalische Geschäftsleute, die ein monopolistisches Kartell in Somalia betrieben, und die wahrscheinlich in die Umleitung der Nahrungsmittelhilfe involviert waren.
Informanten, die von der Überwachungsgruppe interviewt wurden, schätzten, dass bis zu 50 Prozent der Nahrungsmittelhilfe regelmäßig umgeleitet wurde, nicht nur von Transportunternehmen, sondern auch von WFP-Mitarbeitern und in Somalia operierenden Nichtregierungsorganisationen, einschließlich einer, die von der Frau von einem der Geschäftsmänner, der Mitglied des Transportkartells ist, gegründet wurde.
Die Überwachungsgruppe deutete auch an, dass eines der Transportunternehmen in dem Kartell Verbindungen zur Union islamischer Gerichte hatte, was die Frage aufwirft, ob Nahrungsmittelhilfe zur Finanzierung bewaffneter Oppositionsgruppen benutzt wurde.
Die Gruppe drängte den UN-Generalsekretär, eine „wirklich unabhängige Untersuchung des somalischen Büros des Welternährungsprogramms [zu initiieren], mit der Befugnis, die Geschäftsabläufe und Praktiken bei der Vergabe von Verträgen zu untersuchen“ und empfahl, dass „das Welternährungsprogramm seine internen Geschäftsabläufe überhole, um die Vergabe von Verträgen wirklich zu diversifizieren“.
Das WFP wies die meisten Vorwürfe im Bericht der Überwachungsgruppe zurück, versprach aber, die im Bericht genannten Transportunternehmen nicht zu engagieren und seinen Pool von Vertragsunternehmen auszuweiten, um mehr Wettbewerb zu fördern.
Eine von Associated Press durchgeführte Untersuchung der nach Somalia gelieferten Nahrungsmittelhilfe ergab aber, dass das WFP nach wie vor mit mindestens einem dieser Transportunternehmen für Nahrungsmittelhilfelieferungen zusammenarbeitet.
Außerdem fand AP Tausende von Säcken voller Nahrungmittel, die dem WFP, und den Regierungen der USA und Japans gehörten, die auf den Märkten in Mogadischu verkauft wurden.
In einem im September veröffentlichten Artikel enthüllte AP, dass sie in der Hauptstadt acht Orte fand, an denen Nahrungsmittelhilfe verkaufte wurde. Unter den Produkten waren Mais, Getreide und Plumpy‘nut, eine angereicherte Erdnussbutter für mangelernährte Kinder.
Der Artikel zitierte einen Regierungsvertreter in Mogadischu, nach dessen Auffassung bis zu der Hälfte der nach Somalia geschickten Nahrungsmittelhilfe von skrupellosen Geschäftsleuten gestohlen wird.
Ihm zufolge war der Anteil der gestohlenen Nahrungsmittel vor der momentanen Flut von Nahrungsmittelhilfe wahrscheinlich geringer, doch „in den letzten Wochen hat die Flut der in die Hauptstadt gelieferten Nahrungsmittelspenden eine Goldgrube für Geschäftsleute geschafften“.
Wie vorherzusehen war, hat das WFP die Ergebnisse der AP-Investigation zurückgewiesen und behauptet, dass „das Ausmaß des angeblichen Diebstahls nicht plausibel ist“ und dass nur 1 Prozent der Nahrungsmittelhilfe für Somalia umgeleitet wird, eine Aussage, die von der somalischen Regierung gestützt wird, obwohl AP Fotos veröffentlicht hat, die zeigen wie Säcke voll Nahrungsmittelhilfe in Mogadischus Märkten verkauft werden.
Diese Geschichte hat nicht so viel Aufmerksamkeit in den Medien erfahren, als zu erwarten wäre, vielleicht weil sie von den Rufen nach Nahrungsmittelhilfe – orchestriert von Hilfsorganisationen, die für ihr Überleben von Spenden abhängen – überschattet wurde.
Wenn Regierungen, Einzelpersonen und Unternehmen, die an humanitäre Hilfseinsätze und Wohltätigkeitsorganisationen Geld spenden, erfahren, dass so ein großer Teil der von ihnen bezahlten Nahrungsmittel gestohlen oder umgeleitet werden, sind sie vielleicht nicht mehr so willens, großzügig zu spenden.
Die Nahrungsmittelhilfsindustrie, nicht nur in Somalia, sondern auch in anderen Teilen der Welt, ist befrachtet mit Skandalen, doch seitens der Geldgeber oder sogar Journalisten wird kaum versucht, über die hässliche Seite der gut gehenden Industrie zu berichten. Es ist viel leichter, wegzusehen und sich selbst auf die Schulter zu klopfen, dafür dass man etwas für hungernde Menschen getan hat.
Wer es aber wagt, genau hinzusehen, wird feststellen, dass Nahrungsmittelhilfe eine Milliardendollargeschäft ist, das es einer kleinen Gruppe geholfen hat, auf dem Rücken hungernder Menschen sagenhaft reich zu werden.
Übersetzt von Susanne Schuster
Artikel zum Thema
04.10.2009 Somalia: US-Waffen für Regierung und Aufständige
Erscheinungsdatum des Originalartikels „How famine makes unscrupulous businessmen fabulously wealthy“ 06.09.2011
Quelle: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=5772