Explosion in Ankara

Hintergrund: In der Türkei sind Dutzende Generäle wegen mutmaßlicher Verwicklung in den Putschplan „Balyoz“ („Vorschlaghammer“) sowie der Beteiligung am Netzwerk „Ergenekon“ in Haft. Der Militärputsch sollte durch Attentate unter falscher Flagge u.a. gegen Moscheen „Chaos“ in der türkischen Gesellschaft erzeugen und die Machtergreifung des Militärs begünstigen.

Türkei: Laut Fernsehmeldungen hat sich in der türkischen Hauptstadt Ankara eine gewaltige Explosion ereignet. Über der Innenstadt soll laut telefonischen Berichten von Korrespondenten eine Rauchwolke stehen. Der Direktor der örtlichen Polizei sei vor Ort, hiess es. Ob es sich um einen Unfall oder ein Attentat handelt, ist zur Zeit noch unklar.

Zur Zeit herrschen zwischen der Türkei und Israel Spannungen. Zudem wird in drei Tagen die palästinensische Autonomiebehörde vor der UNO Vollversammlung einen eigenen Staat Palästina ausrufen. Auch gibt es Streit zwischen der Türkei und Zypern um Ölvorkommen und laufende Bohrungen im Mittelmeer. Ministerpräsident Tayyip Erdogan drohte bereits mit dem Einsatz der Marine, falls Zypern die Bohrungen der unter Vertrag stehenden US-Ölkonzerne nicht unterbinde. (1)

Im Falle eines Attentats würde wohl auch die kurdische Guerilla PKK in Verdacht geraten. Vor kurzem hatte die Regierung Erdogan die USA offiziell um die Stationierung einer Drohnen-Flotte auf türkischem Territorium gebeten. Die Drohnen-Luftflotte soll auf das Territorium des Irak vordringen und dort „Luftaufklärung“ gegen Basen der PKK-Guerilla betreiben (2). Die Türkei grenzt auch an Syrien und den Iran.

10.55 Uhr

Die Explosion hat sich einer afp-Meldung zufolge vor Bürogebäuden und „in der Nähe“ des Amtsgebäudes von Ministerpräsident Erdogan ereignet haben. Offenbar gibt es zwei Tote.

11.00 Uhr

Um 10.00 Uhr deutscher Zeit (11.00 Uhr türkischer Zeit) ereignete sich in Ankara die Explosion. Bereits um 10.45 Uhr konnte man in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ lesen, daß laut türkischen Medien sich die Explosion „in einem Kleinbus“ ereignet habe.

12.10 Uhr

Vor vier Tagen wurden in der Türkei vier weitere Generäle festgenommen. Gegen sie wird wegen Beteiligung am Putschplan „Balyoz“ („Vorschlaghammer“) aus dem Jahre 2003 ermittelt. Der Plan hatte das Ziel, die gerade ins Amt gewählte laizistisch-islamische Regierung Erdogan durch einen Militärputsch zu stürzen. U.a. sah der Plan Attentate unter falscher Flagge gegen Moscheen und öffentliche Einrichtungen vor, um innerhalb der türkischen Gesellschaft ein „Chaos“ zu erzeugen, welches die Machtergreifung des Militärs als vermeintlichen Garant der inneren Sicherheit begünstigen sollte.

Ende Juli war in einem beispiellosen Schritt die gesamte Führung des Militärs zurückgetreten, neben Generalstabschef Isik Kosaner auch die Kommandeure aller Teilstreitkräfte von Armee, Luftwaffe und Marine. Offiziell ging es um verweigerte Beförderungen inhaftierter Militärs. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich nicht weniger als 42 Generäle bereits wegen des Verdachts auf Verwicklungen in Putschpläne in Haft.

Nach dem Rücktritt des Generalstabs enstand eine für die türkische Republik äußerst brisante Situation.

Vor seinem Rücktritt hatte Generalstabschef Isik Kosaner in einem vertraulichen Gespräch mit Militärs, welches von unbekannter Seite mutmaßlich via Handy abgehört bzw mitgeschnitten worden war, nicht nur die Existenz des Militärputsch-Planes „Balyoz“ bestätigt, sondern auch, daß das türkische Militär in 2010 durch Drohnen-Aufklärungseinsätze über einen bevorstehenden Überfall von mutmaßlichen PKK-Guerillas auf den Militärposten Hantepe bei Cukurca informiert gewesen war, ihn aber nicht verhindert hatte. Bei dem Überfall starben sieben türkische Soldaten.

Nach anfänglichen Dementis bestätigt Generalstabschef Kosaner die Authentizität der heimlich mitgeschnittenen Aufnahmen.

In dem vertraulichen Gespräch hatte der damalige Generalstabschef Kosaner auch die Zustände im eigenen Militär als „komplette Schande“ beschrieben. Türkische Soldaten wurden bei wilden Schießereien in der eigenen Truppe getötet. Vorgesetzte flüchteten bei Gefechten. Minenfelder wurden angelegt, in denen dann die eigenen Soldaten starben, weil die Minen nicht verzeichnet worden waren. Über den „Balyoz“-Plan zum Militärputsch zeigte sich Generalstabschef Kosaner nur soweit empört, als daß dieser durch „Verräter“ bekannt geworden sei und den „Schuften“ von Zivilisten zugespielt worden sei. Überhaupt könne die Regierung Gesetze machen wie sie wolle, das Militär mache was es wolle, weil es Garant der Republik sei, so Kosaner in vertrauter Runde.

Ebenfalls in 2003 entstand in der Türkei das Netzwerk „Ergenekon“, ein tiefer Staat im Staat, an dem Militärs, hochrangige Partei-Funktionäre, Konzerne, Journalisten, Anwälte, Nationalisten, Faschisten und Geistliche beteiligt waren. U.a. wurden Attentate unter falscher Flagge verübt und Kurden-Gruppen in die Schuhe geschoben. Die Ermittlungen in der Türkei gegen das Ergenekon-Netzwerk begannen im Juni 2007. Ausführender Arm Ergenekons: der geheime Militärgeheimdienst Jitem, dessen Existenz erst im Laufe der letzten Jahre überhaupt bestätigt wurde.(28.10.2007, Europaweit Angriffe auf Kurden durch türkischen Militärgeheimdienst organisiert?)

12.30 Uhr

Laut Medienberichten hat in Ankara der örtliche Bürgermeister Bülent Tanik unter Bezug auf einen Augenzeugen ausgesagt, daß aus einem „nahe gelegenen Gebäude“ ein brennender Benzinkanister auf Fahrzeuge am Explosionsort geworfen worden seien. Demgegenüber Vize-Premierminister Bülent Arinc gegenüber der Presse:

„Es liegen Informationen vor, dass die Detonation durch eine Bombe verursacht wurde.“

Gegen Arinc, ein Mitglied der laizistisch-islamischen Regierungspartei „Adalet ve Kalkinma Partisi“ (AKP), gab es 2009 Attentatspläne durch Mitglieder des türkischen Militärkommandos Spezialkräfte. Ihnen wurde Mitgliedschaft in Ergenekon, sowie dem Netzwerk Atabeyler vorgeworfen, was in 2007 Attentatspläne gegen Ministerpräsident Erdogan entwickelt hatte.

13.00 Uhr

Die Medienberichte, denen zufolge es zwei Tote gegeben haben soll, wurden mittlerweile dementiert. Nun heisst es, es habe 15 Verletzte gegeben. Ein Video der „Hurriyet“ vom Explosionsort.

13.40 Uhr

Am 23.August hatten in Istanbul syrische Oppositionsgruppen nach Vorbild des libyschen „Nationalen Übergangsrates“ den „Nationalen Übergangsrat von Syrien“ gegründet. Am 29.August war der vom syrischen Regime abgefallene Militäroffizier Hussein al-Harmoush aus einem Flüchtlingslager im Osten der Türkei spurlos verschwunden, laut Aussagen eines Bekannten, nachdem er zu einem Gespräch mit türkischem Sicherheitspersonal vorgeladen worden war. Am 15.September erschien dann al-Harmoush, der vor seiner Flucht zur Rebellion im syrischen Militär aufgerufen hatte, im syrischen Staatsfernsehen und widerrief reuevoll alle vorhergehenden Aussagen.

Internationale Zeitungen und Beobachter hatten bereits nach dem Verschwinden von al-Harmoush über einen Deal zwischen der Erdogan-Regierung in Ankara und dem Regime in Damaskus berichtet. Laut Wissam Tarif von der Menschenrechtsorganisation Avaaz, die den US-gestützten Oppositionellen in Syrien sehr, sehr, sehr, sehr, sehr, sehr nahe steht, tauschten die Behörden der Türkei und Syriens den geflüchteten syrischen Militäroffizier Hussein al-Harmoush gegen neun mutmaßliche PKK-Mitglieder. Die türkischen „Diplomaten“ zeigten sich zudem äußerst interessiert an der Rolle von Kurden innerhalb der syrischen Opposition.

Nach außen gab sich derweil die Erdogan-Regierung ganz empört über das Vorgehen des syrischen Regimes gegen die Opposition im Lande. Das weitere Vorgehen des „Nationalen Übergangsrates von Syrien“, potentiell befreit von irgendwelchen lästigen echten Oppositionellen in Syrien, wird nun sicher auch von ihrem heldenhaften Anführer in Paris abhängen, einem „Soziologen“, wie es heisst.

14.10 Uhr

Zeit für die Spiegel-Bild-Zeitung. Man lese möglichst ohne Schmerzen:

„In der Türkei haben rechts- und linksextreme Gruppierungen in den vergangenen Jahren immer wieder Anschläge verübt – vornehmlich islamistische und kurdische Gruppen.“

Das passiert, wenn man alles schnell in den Mixer schmeissen muss und Frühstücksgewohnheiten zu Presse werden.

Aber was ist das denn?

„Einem NTV-Bericht zufolge war die Explosion so stark, dass sie das Auto, in dem die Bombe war, nahezu komplett zerstörte. Noch nicht einmal der Wagentyp sei erkennbar.“

Ja wo ist denn der „Kleinbus“ hin? Hat den irgendjemand verloren? Ist vielleicht was schief gegangen?

14.40 Uhr

Na da schau her. Da ist er ja wieder – offensichtlich. Oder irgendein Auto, das man nun doch wieder erkennt. Und das man schon immer wieder erkannt hat.

„Das Auto sei vor einer Woche gekauft worden, aber nicht bei den Behörden registriert“,

so der türkische Innenminister Idris Naim Sahin. Überdies gebe nun doch drei Tote. Die lägen aber „in einem Gebäude“, in der Nähe des Tatortes.

Quellen:
(1) http://www.sueddeutsche.de/z5F38x/211037/Zypern-bohrt-Tuerkei-droh.html
(2) http://www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de/2011/09/190643/