Die World Music Charts Europe können bisweilen gravierende Bestandteile in ihrer zwanzig Positionen umfassenden Chartsliste austauschen. Dies mag an der Dynamik liegen, die entsteht, wenn 47 DJs aus 23 Ländern ihr Votum abgeben. So kann es also passieren, daß wie in unserer Reflektion dieser Charts im Monat August, plötzlich alles herausfliegt, dessen wir uns widmeten. Das ist nicht schlimm, denn das Netz vergisst bekanntlich nicht und unser Archiv schon mal gar nicht. Außerdem schafft es dieses Non-Profit-Gremium immer wieder, uns mit ausgewählten Tracks der Musikbotschafter der Welt in erfreutes Staunen zu versetzen.
Wir nehmen uns die Freiheit, uns an den unserer Ansicht nach herausragendsten Vorstellungen zu delektieren, dazuzulernen und unsere Leser an Spaß und Wissen teilhaben zu lassen.
Der Fokus der Charts liegt in diesem Monat klar auf Produktionen aus und zu Afrika. Dies erscheint uns auch nicht verwunderlich. Befinden sich doch zahlreiche afrikanische Länder, wenn nicht gar der ganze Kontinent, in akuter Gefahr, in massierter neokolonialistischer Manier einmal mehr zurückgeworfen zu werden und um die Bestände und Früchte seiner Kulturen und anderer Reichtümer sowie Autarkiebestrebungen gebracht zu werden.
Gewonnen hat in diesem Monat Fatoumata Diawara aus der Elfenbeinküste und hier gibt es ein Video von ihrer myspacesite zu sehen. Das Aufmachervideo dieses Artikels stammt von der Formation JuJu, war im letzten Monat auf Platz Zwei der charts und ist eine treibende Symbiose aus „westlichem“ und afrikanischem Rhythm and Blues, ergo „Afro-Rock“, virtuos vorgetragen von Juldeh Camara aus Gambia, dem Land der Zauberer, mit seiner Ritti, einer einsaitigen Fiedel, und dem disziplinierten „Rhytmusgitarristen“ Justin Adams & Band. Diese Jungs haben im September 2010 auf dem Womad-Festival im zutiefst unsymphatischen Austragungsort Abu Dhabi eine Session mit Robert Plant hingelegt. Hier ein Video. Wer Interesse an einer Party der Tuareg mitten in der Sahara im Niger hat, dem stellen die Späher des WMCE den mit Position 16 in den Charts eingetragenen Bombino aka Omar Moctar als Vid zur Verfügung.
Ganz großartig ist der Gewinner der Charts im Monat September, Lucas Santtana aus Brasilien. Er landet diesen Monat auf Platz Zwei und der Hammertrack „Super Violão Mashup“ enthält sogar Samples vom melancholischen, unvergessenen „Indignado“ des Bossa Nova, Baden Powell. Besonders interessant ist auch, daß sich ganz offenbar seit der Konferenz der creative commons in Lateinamerika Ende 2009 einiges getan hat und so gibt es von Lucas Santtana eine fette site mit zahlreichen, ganz legalen Downloads.Da wächst zusammen, was zusammen gehört.
Wir finden, daß die WMCE immer besser und auch umfangreicher werden und Ihr solltet Euch bei Interesse einmal durchclicken. Da gibt es mittlerweile Veröffentlichungen auf soundcloud zum download wie z.B. hier oder hier ganze Kaleidoskope von ungekürzten Veröffentlichungen.
Ganz wichtig ist diesmal auch die auf Position Sechs gelandete Compilation „Golden Beirut“ aus dem Herzen der Schweiz des Orients. Es gibt wenig Städte auf der Welt, die so sind wie Beirut. Und sollte es wirklich so sein, daß all die Tracks aus minimalen Klangschmieden sind und nicht ein Coup einer Otpor, dann wird schnell klar, daß der Libanon aus viel mehr besteht, als aus Syrien, der Amal oder der Hisbollah, Walid Dschumblads Drusen usw.
Nun möchten wir uns aber der spannendsten Entdeckung widmen. Auf dem letzten Platz ist „Minne“ von Milla Viljamaa gelandet. Nun ist es nicht nur die eindrucksvoll akustisch umgesetzte, finnische Affinität zum Tango, die wir faszinierend finden. Wir haben uns den Track 14 der von den WMCE zur Verfügung gestellten Trackliste der Formation „Hereä“, (herzhaftes Lachen) herausgepickt, Obwohl dieser Track gar nicht zur Produktion „Minne“ gehört, hat doch Milla Viljamma den kompositorischen Beitrag geleistet. Im Text geht es um die Töchter des Nordens. Sie leben in einem kalten Dorf, sind eigensinnig und stolz und lehnen alle Bräutigam-Kandidaten ab. Sie stellen den Kandidaten unmögliche Aufgaben – so sollen diese z.B. den Großen Bären vom Himmel holen. Sie halten goldene und silberne Fäden in den Händen und beeinflussen so die Geschicke auf Erden, wie Geburt und Tod usw. Sie sind die Moiras des Nordens. Kurzum: Der Text basiert auf dem finnischen Nationalepos Kalevala , hergeleitet aus der finnischen Mythologie.
Im finnischen Nationalepos Kalevala aus dem 19. Jahrhundert wählt die Tochter des Nordens den Schmied Seppo Ilmarinen aus, weil er eine Art Geldmaschine für die Herrin des Nordens anfertigt. Es geht darin um Reichtum, Gier und gutaussehende, junge Leute. Es gibt zwei andere Bewerber für die schöne Tochter, Väinäimöinen, den Weisen und einen jungen Abenteurer und Sänger – und beide scheitern trotz ihrer Bemühungen…
Die Finnen verstehen heißt, den Finnen zuzuhören. Im weiteren Sinne: Wir hören uns im nächsten Monat wieder! Und wir halten mindestens die Ohren offen.