„Stuttgart 21“: Appell von Bonatz-Enkel an Kulturstaatsminister Neumann
Offener Brief: Schutz des Bau- und Kulturdenkmals Hauptbahnhof Stuttgart von besonderer Bedeutung
Sehr geehrter Herr Minister Neumann, ein Artikel in der heutigen Stuttgarter Zeitung über den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses hat mir Ihre Bedeutung als oberster Wächter der BRD in kulturellen Belangen wieder vor Augen geführt. Als Enkel des Architekten Paul Bonatz (1877-1956) und Erbe seines Urheberrechts an der wichtigsten Schöpfung seines Lebenswerks, dem Hauptbahnhof in Stuttgart, wende ich mich heute mit einem letzten, dringenden Appell an Sie:
Die Deutsche Bahn AG will ab dem 9. Januar 2012 mit dem Abriss des Südflügels – eines integralen Bestandteils des weltbekannten Bahnhofsbaus – beginnen, obwohl vom Bauablauf des „Jahrhundertprojekts Stuttgart 21“ her dies noch nicht erforderlich wäre. Sie plant es in der leicht durchschaubaren Absicht, unumkehrbare Fakten zu schaffen und damit unabhängig von der noch völlig unsicheren Kostenentwicklung oder von noch nicht genehmigten Teilabschnitten die Durchführung des Gesamtprojekts zu erzwingen.
Der Erhalt seiner Funktion als Kopfbahnhof wäre für das Kulturdenkmal und seine städtebauliche Einbindung zweifelsfrei die beste Lösung, zumal seine verkehrliche Leistungs- und Zukunftsfähigkeit den geplanten Tiefbahnhof heute schon übertrifft.
Dennoch könnte auch bei Durchführung der S 21-Planung der Südflügel abgefangen, durch den querliegenden Tiefbahnhof unterfahren und so baulich weitgehend erhalten bleiben. Lediglich die 15 Jahre alte, damals „futuristisch“ anmutende, inzwischen aber leicht „angestaubte“ Planung der Hallendecke mit den „Lichtaugen“ wäre zu modifizieren.
Es ist einer Kulturnation wie der Bundesrepublik Deutschland unwürdig, die selbst international gebrandmarkte Kulturschande der Denkmalverstümmelung zu tolerieren mit dem Hinweis auf fehlende Einflussmöglichkeiten im Aktienrecht (so die Argumentation in einem Antwortschreiben einer nachgeordneten Dienststelle im Kanzleramt auf mein Schreiben im Sommer 2011 an die Bundeskanzlerin!), obwohl die BRD alleiniger Anteilseigner ist.
Es wäre für den politisch besetzten Aufsichtsrat der DB AG ein Leichtes, den Vorstand der Deutschen Bahn aufzufordern, den Abrissbeginn kurzfristig bis zum tatsächlich technisch erforderlichen Zeitpunkt zurückzustellen.
So könnte Zeit dafür gewonnen werden, die Möglichkeiten für den baulichen Erhalt des Kulturdenkmals wirklich ergebnisoffen zu prüfen. Hierbei wäre unabhängig vom Ausgang der Volksabstimmung für S 21 auch die dringende Empfehlung des Schlichters Dr. Heiner Geißler für eine „Kombi-Lösung“ als echten Kompromiss einzubeziehen (unterirdische Schnellbahntrasse für den Fernverkehr und weitgehender Erhalt des Kopfbahnhofs für Lokal-und Regionalverkehr – Modell Zürich).
Sehr geehrter Herr Minister Neumann, ich bitte Sie dringend, Ihren ganzen Einfluss in dieser Richtung zu Gunsten des Kulturdenkmals Hauptbahnhof Stuttgart geltend zu machen.
Zwar liegt die Vermutung nahe, dass das Scheitern des grün-roten Experiments in Baden-Württemberg am Projekt Stuttgart 21 der heutigen Bundesregierung nicht unlieb wäre. Aber dürfen solche tagespolitischen Erwägungen wirklich kulturelle Entscheidungen mit Tragweite für eine ganze Nation negativ bestimmen ?
Mit hoffnungsvollen Grüßen
Dipl. Ing. Peter Dübbers
PS: Ich bitte um Ihr Verständnis, dass ich diesen Brief auch der Stuttgarter Öffentlichkeit zur Kenntnis gebe.