„Man hätte einen Stausee Stuttgart-Schlossgarten, womöglich mit Dampfer-Anlegestelle und U-Boot-Hafen“
Dokumentation: Die Rede von Dr. Carola Eckstein, Parkschützerin und engagiert bei „Ingenieure22 für den Kopfbahnhof“, am 9.Januar auf der 106. Montagsdemonstration gegen das urbane und verkehrsindustrielle Programm “Stuttgart 21″ (S21).
Stuttgart 21 hat Baustellen genug – wir brauchen keine weitere am Südflügel!
Die Bahn pocht seit Monaten lautstark auf ihr angebliches Baurecht – zumindest im Fall unseres Schlossgartens und des Grundwassermanagements hat sie aber gar kein Baurecht, das hat der Verwaltungsgerichtshof Mannheim unmissverständlich klar gestellt. Bevor sich unsere Regierung nun erneut von der Bahn hinters Licht führen lässt, bevor Herr Kretschmann glaubt, es wäre zum gegenwärtigen Zeitpunkt zulässig, den Südflügel abzureißen, wollen wir ein paar Dinge zum Thema Bauablaufplanung klar stellen. Denn mit dem Artenschutz kennt sich Herr Kretschmann als Biologielehrer und grüner Ministerpräsident sicher aus, aber mit Großbaustellen und Projektmanagement hat er vermutlich nicht so viel Erfahrung.
Zunächst zum Grundwasser: Wer hier, wo wir jetzt stehen, gräbt, stößt schon nach etwa vier Metern auf Grundwasser. Unser Schlossgarten ist ein ehemaliges Sumpfgebiet. Wer also mehr graben will als eine Pfütze, muss das Grundwasser wegpumpen, es bedarf eines funktionierenden Grundwassermanagements. Ohne Grundwassermanagement keine Baugrube.
Ursprünglich wollte die Bahn 4 dezentrale GWM-Anlagen aufbauen, hat die Planung aber auf 1 zentrales GWM geändert. Dabei hat sie eklatante Verfahrensfehler gemacht: Die Bahn hat alle Vorgaben des Artenschutzes in unbeschreiblicher Arroganz einfach ignoriert. Deshalb darf an dieser Baustelle derzeit nicht weitergebaut werden. So der Verwaltungsgerichtshof Mannheim.
Ganz abgesehen von diesem Baustopp: Bis das Grundwassermanagement fertig und einsatzbereit wäre, stehen der Bahn noch viele Monate Arbeit bevor: Bis heute steht noch nicht viel von den vorgesehenen 17 km Rohrleitungen. Und erst wenn alle 17 km stehen, kann mit dem zeitintensiven Teil der Arbeit begonnen werden: Das Grundwassermanagement muss eingestellt und erprobt werden. Und die Auswirkungen aufs Mineralwasser müssen getestet werden. Das dauert.
Nehmen wir aber einmal an, es ist Mitte 2013 und das Grundwassermanagement wäre fertig gebaut. Nun wird das nächste Problem der Bahn offenbar: Der Bahn fehlt die Genehmigung, die Menge an Grundwasser abzupumpen, die nötig wäre, um die Baugrube tatsächlich trocken zu halten – in der Planfeststellung wurde nur knapp halb so viel beantragt und genehmigt, vermutlich, um Ungereimtheiten und Fehler im Grundwassermodell zu verschleiern. Und der Bahn fehlt auch die Genehmigung, horrende Mengen Trinkwasser in das Mineralwasser einzuleiten, so wie es aus heutiger Sicht wohl erforderlich wäre.
Es muss ein Akt der Verzweiflung sein, wenn die Bahn in dieser Situation ankündigt, man könne ja auch unter Wasser betonieren: Das ist in einem Heilquellenschutzgebiet nicht möglich. Mit dieser Technik kann weder der Verbau entfernt werden, noch kann die Grundwasserumläufigkeit des Bauwerkes gewährleistet werden. So abstrakt klingt das für den Laien vielleicht harmlos. Ins Praktische übersetzt heißt das, man würde eine Staumauer quer zum gesamten Tal errichten, der Grundwasserstrom könnte nicht mehr, wie jetzt, vom Oberen Schlossgarten Richtung Unterer Schlossgarten fließen – man hätte einen Stausee Stuttgart-Schlossgarten, womöglich mit Dampfer-Anlegestelle und U-Boot-Hafen statt einem Bahnhof. Für solche Änderungen bedürfte es zumindest einer neuen Planfeststellung.
Fassen wir also zusammen:
Es geht noch mindestens ein weiteres Jahr ins Land, bevor die Bahn mit einem fertigen, in ausreichendem Umfang arbeitenden und erprobten Grundwassermanagement aufwarten kann. Ohne Grundwassermanagement kann keine Baugrube ausgehoben werden, sie wäre voller Wasser. Und solange keine Baugrube ausgehoben werden kann, ist auch der Südflügel nichts und niemandem im Weg.
Ganz kurz, für Sie, Herr Kretschmann: Es gibt keinen Grund, jetzt irgendetwas abzureißen oder den Gestattungsvertrag für das Fällen von Bäumen im Schlossgarten zu unterschreiben. Denn bevor weitere Zerstörungen tatsächlich nötig wären, muss die Bahn noch sehr viele Hausaufgaben machen. Diese Hausaufgaben müssen Sie einfordern und kontrollieren, Herr Kretschmann.
Soweit zum technischen. Ich möchte die Sachlage aber auch noch einmal aus Projektmanagement-Sicht beleuchten: Wenn Sie ein Haus bauen möchten, und Sie schaffen es nicht, das Fundament zu gießen, so wird Ihr Haus nicht wie geplant fertig werden. Dagegen hilft es auch nichts, wenn Sie, während Sie auf das Fundament warten, schon einmal die Garageneinfahrt pflastern. Sie riskieren damit nur, dass die frisch gepflasterte Einfahrt bei den Arbeiten fürs Fundament kaputt geht, lange bevor Sie eine Garage haben. Genau das aber hat die Bahn mit dem verfrühten Abriss des Nordflügels gemacht, genau das gleiche hat
die Bahn mit dem Abriss des Südflügels vor.
Würden zum jetzigen Zeitpunkt weitere Gebäude abgerissen, wäre das nur eine weitere vollkommen nutzlos gepflasterte Einfahrt – noch dazu „über Nachbars Grundstück“: Man würde vollkommen sinnlos und ohne Not den Winterschlaf der streng geschützten Fledermäuse stören, noch bevor geklärt ist, ob der Fledermausschutz mit den von der Bahn vorgelegten Gutachten ausreichend berücksichtigt ist oder nicht – Grund zu zweifeln besteht. Solch ein destruktiver Blödsinn darf nicht von unserer Polizei ermöglicht werden. Solchen Blödsinn auf Kosten der Steuerzahler dürfen Sie nicht unterstützen, Herr Kretschmann!
Innenminister Gall hat die richtige Richtung vorgegeben und einen illegalen Polizeieinsatz im Schlossgarten verhindert. Herr Kretschmann, nun muss ihre Regierung konsequent sein: Helfen Sie der Bahn nicht bei deren sinnlosem Zerstörungswerk am Südflügel, sagen Sie auch diesen Polizeieinsatz ab.