Silke Hasselmann, in der DDR Redakteurin der Radiosendung DT64 und heute für das MDR-Hörfunkstudio in Washington, schreibt auf „Tagesschau.de“ über Guantanamo. Sie erinnert dabei an den Offizier aus Franz Kafkas „In der Strafkolonie“, wobei sie den letzten Schritt ihres Pendants offensichtlich vergessen hat.
Kafkas Kurzgeschichte entstand 1914 und beschreibt eine Insel, auf der eine Militärmacht eine Strafkolonie unterhält, in der Gefangene ohne Gerichtsverfahren oder die Möglichkeit sich zu verteidigen durch einen Apparat langsam zu Tode gefoltert werden. Nicht einmal den Grund für ihre Exekution erfahren sie, erst während ihrer Hinrichtung: der Apparat, eine riesige Egge, ritzt ihnen den Vorwurf, wegen dem sie hingerichtet werden, über zwölf Stunden in den Körper.
Zu Beginn von Kafkas „In der Strafkolonie“ trifft ein Reisender, der vom neuen Kommandanten des Lagers zur Besichtigung der Strafkolonie ausgesandt wurde, den Offizier, der die Todesmaschinerie bedient. Er stellt den neuen Todeskandidaten vor: einen Soldaten der Wachmannschaft, den sein Vorgesetzter beschuldigt hatte auf Wache eingeschlafen zu sein.
„Übrigens sah der Verurteilte so hündisch ergeben aus, daß es den Anschein hatte, als könnte man ihn frei auf den Abhängen herumlaufen lassen und müsse bei Beginn der Exekution nur pfeifen, damit er käme.“
Dem vom Offizier selbst ohne Anhörung Verurteilten ( „Er hätte gelogen, hätte, wenn es mir gelungen wäre, die Lügen zu widerlegen, diese durch neue Lügen ersetzt und so fort.“) sollen nun die Worte „Ehre Deinen Vorgesetzten“ in den Körper eingeritzt werden. Der Offizier, ein glühender Verehrer des Apparates, beschreibt die Hinrichtung als ganzen Sinn und Zweck: die Erkenntnis des Angeklagten nach den ersten sechs Stunden Todesfolter, wenn er zum ersten Mal die in seinen Körper eingeschnittenen Worte lesen könne und von seiner Anklage erfahre.
„Um die Augen beginnt es. Von hier aus verbreitet es sich. Ein Anblick, der einen verführen könnte, sich mit unter die Egge zu legen. Es geschieht ja weiter nichts, der Mann fängt bloß an, die Schrift zu entziffern, er spitzt den Mund, als horche er. Sie haben gesehen, es ist nicht leicht, die Schrift mit den Augen zu entziffern; unser Mann entziffert sie aber mit seinen Wunden. Es ist allerdings viel Arbeit; er braucht sechs Stunden zu ihrer Vollendung.“
Der Offizier beklagt sich bitter über den neuen Kommandanten. Dieser gebe den Gefangenen jetzt auch am Tage vor der Hinrichtung zu Essen, so daß die Verurteilten sich erbrechen könnten. Wie schön doch die Zeit des alten Kommandanten, der den Apparat als „Soldat, Richter, Konstrukteur, Chemiker, Zeichner“ zugleich entworfen hatte.
„Wie war die Exekution anders in früherer Zeit! Schon einen Tag vor der Hinrichtung war das ganze Tal von Menschen überfüllt; alle kamen nur um zu sehen; früh am Morgen erschien der Kommandant mit seinen Damen; Fanfaren weckten den ganzen Lagerplatz; ich erstattete die Meldung, daß alles vorbereitet sei; die Gesellschaft – kein hoher Beamte durfte fehlen – ordnete sich um die Maschine; dieser Haufen Rohrsessel ist ein armseliges Überbleibsel aus jener Zeit. Die Maschine glänzte frisch geputzt, fast zu jeder Exekution nahm ich neue Ersatzstücke. Vor Hunderten Augen – alle Zuschauer standen auf den Fußspitzen bis dort zu den Anhöhen – wurde der Verurteilte vom Kommandanten selbst unter die Egge gelegt. Was heute ein gemeiner Soldat tun darf, war damals meine, des Gerichtspräsidenten, Arbeit und ehrte mich. Und nun begann die Exekution! Kein Mißton störte die Arbeit der Maschine. Manche sahen nun gar nicht mehr zu, sondern lagen mit geschlossenen Augen im Sand; alle wußten: jetzt geschieht Gerechtigkeit. In der Stille hörte man nur das Seufzen des Verurteilten, gedämpft durch den Filz. Heute gelingt es der Maschine nicht mehr, dem Verurteilten ein stärkeres Seufzen auszupressen, als der Filz noch ersticken kann; damals aber tropften die schreibenden Nadeln eine beizende Flüssigkeit aus, die heute nicht mehr verwendet werden darf. Nun, und dann kam die sechste Stunde! Es war unmöglich, allen die Bitte, aus der Nähe zuschauen zu dürfen, zu gewähren. Der Kommandant in seiner Einsicht ordnete an, daß vor allem die Kinder berücksichtigt werden sollten; ich allerdings durfte kraft meines Berufes immer dabeistehen; oft hockte ich dort, zwei kleine Kinder rechts und links in meinen Armen. Wie nahmen wir alle den Ausdruck der Verklärung von dem gemarterten Gesicht, wie hielten wir unsere Wangen in den Schein dieser endlich erreichten und schon vergehenden Gerechtigkeit! Was für Zeiten, mein Kamerad!“
Das war der Offizier in Franz Kafkas´ „In der Strafkolonie“ von 1914. Und das ist Silke Hasselmann aus der öffentlich-rechtlichen Anstalt „Mitteldeutscher Rundfunk“ (MDR) auf „Tagesschau.de“ über die Strafkolonie Guantanamo im Jahre 2012:
„Vor etwa einem Jahr ging die Nachricht von dem Antrag dreier Jemeniten um, bitte auf Guantánamo gefangen bleiben zu dürfen. Klar, es war vor allem die Angst um ihr Leben in einer feindlich gesinnten Heimat nach sieben Jahren US-Haft als Terrorverdächtige. Doch ein blankgeputzter Gefängnistrakt, regelmäßiges Essen im Wert von täglich 34 Dollar, keine engen, stinkigen Zellen, dafür Zugang zu Büchereien, Sportanlagen, Religionsfreiheit und die karibische Sonne könnten auch eine Rolle gespielt haben.“
Silke Hasselmann, Offizierin der Medienkolonie MDR, empfindet die Empörung über Guantanamo in seiner heutigen Form für „unangemessen“. Silke Hasselmann ärgert „die intellektuelle und politische Unredlichkeit“ des neuen Kommandeurs, Commander-in-Chief Barack Obama und fordert diesen auf:
„Sagen Sie es den Leute endlich: Sie wollen es doch auch.“
Silke Hasselmann vom MDR, der Teil des Staatssenders ARD ist, sagt, so eine Strafkolonie könne auch nützlich sein. Silke Hasselmann sagt, nicht die Strafkolonie sei skandalös, sondern der neue Kommandeur. Weil er die Gründe für dessen Existenz nicht besser erkläre.
„„Es mag nachvollziehbare Gründe dafür geben, nicht nur sinistre. Dass er sie den Menschen nicht erklärt, ist skandalös. Nicht das mehr Lager auf Guantánamo Bay.“
„In der Strafkolonie“ wirft sich am Ende der Offizier selbst in den Apparat, um sich die Worte „Sei gerecht“ in den Leib foltern zu lassen, so den Reisenden durch den Anblick seiner Todesfolter vom Apparat zu überzeugen und dazu zu bringen beim neuen Kommandanten ein gutes Wort für die Todesmaschinerie einzulegen.
Eine Leistung, die Silke Hasselmann eigentlich nur dadurch erbringen könnte, indem sie sich schleunigst in einen gewissen blankgeputzten Gefängnistrakt ohne enge, stinkige Zellen, bei regelmäßigem Essen im Wert von täglich 34 Dollar, mit Zugang zu Büchereien, Sportanlagen, Religionsfreiheit und zur karibischen Sonne begibt.
Epilog
Auch die ARD Medienkolonie „Hessischer Rundfunk“ berichtet heute auf „Tagesschau.de“ von Guantanamo. Julia Hummelsiep erklärt uns von den Erklärungen des dortigen weiblichen Presseoffiziers:
„Die Gefangenen haben eine Bibliothek, sie können Computer-, Mal- und Sprachkurse belegen und viele von ihnen sitzen in Gemeinschaftszellen mit privater Rückzugsmöglichkeit. ..
´Quasi wie kleine Dörfer´, erklärt der diensthabende Offizier. Dort dürfen sich die Insassen ihren Tag weitgehend selbst einteilen: Duschen, Essen und zusammen Fußball spielen – oder sich allein in ihre Zelle zurückziehen. Sie können Fernsehen oder Videospiele spielen und Sprach-, Computer- und Malkurse belegen.“
Nach einer neuen Klausel des regulären Militärbudgets (National Defense Authorisation Act NDAA) kann jede Person weltweit ohne Anklage lebenslang auf Befehl des Kommandeurs (ehemals: Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika) gefangen genommen und in US-Militärlagern festgehalten werden – auch US-Staatsbürger.
Wie Militäranwälte im Dokumentarfilm „Taxi to the Dark Side“ („Taxi zur Hölle“) aussagten, wurden die Gefangenen von Guantanamo lediglich zu 5 Prozent von US-Kräften gefangen, der Rest (oft gegen Kopfgeld) durch Milizen, Söldner, Spione und Militärs anderer Staaten.