Polizeitaktik bei Räumung am Südflügel – eine Showveranstaltung?
Die angebliche Deeskalationsstrategie der Polizei beim Einsatz zur Absperrung des Südflügels des Stuttgarter Hauptbahnhofs am vergangenen Donnerstag entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Showveranstaltung.
Abseits der Aufmerksamkeit der „eingebetteten“ Journalisten wurde auf Einschüchterung und Eskalation gesetzt. So wurden Demonstranten nicht gerade zimperlich behandelt, wenn keine Kameras in der Nähe waren, und es wurde – von den meisten unbemerkt – versucht, durch eine simulierte Räumung der Zeltstadt im Park eine Eskalation zu provozieren.
Betonte Polizeipräsident Züfle noch im Vorfeld, die Polizei setze auf Deeskalation, so stellt sich nun die Frage, ob der Einsatz am Südflügel als eine reine Showveranstaltung inszeniert war. Auch die bei der Polizei „eingebetteten“ Journalisten konnten nicht viel zur Transparenz beitragen. Während diese höfliche und freundliche, stets um Deeskalation bemühte Polizeibeamte am Südflügel erlebten, spielten sich einige hundert Meter davon entfernt ganz andere Szenen ab. Im Mittleren Schlossgarten umstellte parallel zum Einsatzbeginn am Südflügel eine mit voller Schutzausrüstung ausgestattete Polizeieinheit das Zeltlager der S21-Gegner und forderte sie auf, ihre Zelte zu verlassen Allein dem ruhigen und besonnenen Verhalten der Zeltbewohner ist es zu verdanken, dass diese emotional aufgeladene Situation trotz des provokanten Agierens der Polizisten nicht eskalierte.
Dieter Reicherter (Richter a. D.) fasst die Forderung der Parkschützer folgendermaßen zusammen:
„Noch im Juli des vergangenen Jahres betonte Minister Gall, dass die Polizei nicht die Konfrontation suche, sondern für Deeskalation stehe. Das muss immer gelten, auch wenn die Polizei ohne Beobachtung durch die Presse agiert“.
Auch das zunächst höfliche Verhalten der Polizeibeamten während der Räumung der Sitzblockaden änderte sich bei einigen, als die Journalisten den Ort des Geschehens verlassen hatten. So berichten Demonstranten, dass sie von diesem Zeitpunkt an sowohl verbal als auch körperlich rüde angegangen wurden.
Im Gegensatz zur Medienstrategie der Polizei am 30.09.2010, die darauf ausgelegt war, die Verantwortung für die Eskalation allein den Demonstranten zuzuweisen (aus Kastanien wurden Pflastersteine), steht nun der Wunsch nach einer positiven Darstellung so überzeugend im Vordergrund, dass eine unabhängige Berichterstattung vermeintlich überflüssig wird. Christoph Reinstadler von den Parkschützern dazu:
„Bereits am Donnerstagabend konnten wir am noch nicht einmal abgesperrten Südflügel in der Freitagsausgabe der Stuttgarter Zeitung lesen, wie der bevorstehende Einsatz ablaufen sollte. Offensichtlich vertraute die Stuttgarter Zeitung so stark auf die Einschätzung der Polizei, dass die Absperrung und Räumung ruhig verlaufen werde, dass das Ende des Einsatzes gar nicht abgewartet wurde. Für mich stellt sich hier die Frage, ob der eingebettete Journalismus zum gelenkten Journalismus wird.“
Stuttgart, 18. Januar 2012