Mutter „H“ schreibt an Radio Utopie – Nicht für den Graben, Mutter!
Dokumentation: Folgender Bericht erreichte unsere Redaktion. Die kleine Geschichte eines Antrags im Original.
Im Frühling des Jahres 2011 beschloss die deutsche Regierung, für minderbemittelte Bürger und deren Kinder einmal etwas „Gutes“ zu tun. Sie beschloss, dass diesen Kindern Sportaktivitäten, ÖPNV-Monatskarten, Klassenfahrten und Nachhilfe finanziert werden könne. In zwei Fällen wollte ich dieses Angebot für meine Kinder wahrnehmen. Meine Kinder gehen beide zur Schule: eines momentan in die 8. Klasse, das andere in die 10. Klasse. Seitdem meine Kinder in die 6. Klasse gehen, habe ich ihnen eine Nachhilfe im Fach Mathematik ermöglicht, weil ich der Ansicht war, dass ein regelmäßiges Wiederholen des Lernstoffes nur gut für die beiden wäre, und, ganz ehrlich, ich auch nicht mehr so richtig erklären konnte, was sie dort im Unterricht durchnehmen.
Beide Kinder stehen aufgrund dieser qualifizierten Nachhilfe auf „befriedigend“ 3. Ich denke, wenn diese Nachhilfe nicht mehr stattfindet, rutschen sie schnell auf eine schlechtere Zensur ab.
Damals, als ich unsere Nachhilfe engagierte, arbeitete ich noch im öffentlichen Dienst und der Vater meiner Kinder im Transportgewerbe in einer der „angesagtesten Städte“ Deutschlands. Uns ging es halbwegs „gut“ – manchmal konnten wir ein paar Tage Urlaub machen…
Leider wurden meine unendlich vielen Verträge im öffentlichen Dienst in dem Moment beendet, als man mich hätte festanstellen müssen. Aufgrund der Ost/West-Verträge des Einigungsvertrages von 1990 hatte ich keine Chance, mich einzuklagen.
Also wurde ich arbeitslos, nicht erwünscht in dieser Stadt, und in keinster Weise unterstützt in der Suche nach einer neuen Arbeit vonseiten des Arbeitsamtes. Ich bin auch nicht mehr 20. Nach einem Jahr rutschten wir in die „Hartz IV-„Schiene. Nach einem weiteren halben Jahr machte ich mich selbständig. Wir bekommen also „ergänzende Hilfe zum Überleben“.
Die Nachhilfe behielt ich in der ganzen Zeit bei, weil ich es als sehr wichtig ansah, dass beide Kinder wenigstens ansatzweise im Fach Mathematik weiter eine halbwegs gute Bildung erhalten. In anderen Fächern ist das weniger ein Problem, da wir beiden dort helfen können.
Natürlich war es eine absolute Härte, jeden Samstag 30 € für die Nachhilfe aufzubringen, aber irgendwie haben wir das immer geschafft.
Da erschien der Beschluss dieser deutschen Regierung in unserem Fall fast wie ein 6er im Lotto. Ich beantragte die Übernahme der Kosten für die Monatskarten und der Nachhilfe.Das war im letzten Jahr, im Mai.
Als erstes wurde ich vorgeladen, um noch mehr Unterlagen auszufüllen, um dann einen „Berlinpaß“ ausgestellt zu bekommen. Auf meine Frage, was ich mit diesem „Paß“ denn machen könnte, bekam ich eine Broschüre in die Hand gedrückt. Fertig!
Die Kosten für die Monatskarten wurden recht schnell abgelehnt, da die Schule meiner Kinder unterhalb einer Entfernung von 3 km liegt. Sie ist nur 2,3 km entfernt und doch gut „fußläufig“ bei Wind und Wetter, Schnee und Regen erreichbar. Man denke nur, was das für ein Winter war im Januar – März des Jahres 2011. (1)
Der Antrag für Kostenübernahme der Nachhilfe war recht schnell gestellt, nach etwa 1,5 Monaten kamen dann die nächsten Formulare, die noch einfach auszufüllen waren.
Nach einem weiteren Monat kamen dann Formulare, welche die Schule auszufüllen hätte. Diese Formulare kamen genau 2 Tage nach Ferienbeginn und natürlich mit einem Abgabezwangsdatum, welches 2 Wochen danach war. Ich rief in der Schule an: Ferien. Ich rief im Schulamt an. Dort sagte man mir 1,5-1 Woche vor Schulbeginn wird niemand in den Schulen erreichbar sein. Das Amt gab sich damit erst einmal zufrieden.
Nach Schulbeginn erbrachten wir dann die geforderten Unterlagen und die Schule (also deren Mathematiklehrer) unterstützten diese Anträge. Nach einer weiteren Zeit wollte die Behörde Quittungen unserer Nachhilfelehrerin haben. Diese brachten wir bei. Mittlerweile schrieben wir den Monat November. Zwischenzeitlich hatte ich schon eine Ablehnung für eines meiner Kinder für die Mathematiknachhilfe erhalten.
Widerspruch!
Dem anderen Kind wurde im Dezember 2011 endlich rückwirkend von Januar bis Mai 2011 das Geld bewilligt. Ab Juni 2011 konnte der Antrag nicht bewilligt werden, da aufgrund des Ausstellens des „Berlinpasses“ alle Leistungen als erbracht angesehen werden! ( Zitat Brief des Jobcenter Berlin vom 13.12.2011)
Unsere Nachhilfelehrerin soll also mit dem „Berlinpaß“ im Supermarkt einkaufen gehen…..
Plötzlich, unerklärt, bekam ich für das zweite Kind auch die Gelder von Januar – Mai 2011 bewilligt. Ab Juni 2011 wurde auch hier die Kostenübernahme aufgrund der Ausstellung des „Berlinpasses“ abgelehnt!
Letzte Woche bekam ich im Rahmen meines Widerspruchsverfahrens noch einmal ganz neue Unterlagen zugeschickt, diesmal zwar vom „Hartz IV“ Amt aber mit dem Briefkopf der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft.
Ich füllte meinen Teil aus und brachte die Unterlagen in die Schule, damit sie dort schnellstmöglich ausgefüllt werden, da wieder einmal Ferien sind.
Einen Tag später rief ich in der Schule an, um nach den Unterlagen zu fragen und erhielt die Mitteilung, dass aufgrund des Zensurenstandes unserer Kinder eine Befürwortung des Antrages abgelehnt werden muss!
Ein Gespräch mit der Direktorin und der Klarstellung, dass die Kinder nur mithilfe der Nachhilfelehrerin einen Zensurenstand von 3 (befriedigend) haben, erbrachte nichts, da sie sich nur auf die Vorgaben des Senats berief, welche aussagen:
„ Notwendigkeit des ergänzenden Förderbedarfs besteht, wenn das letzte Notenzeugnis mangelhafte oder ungenügende Leistungen in mindestens einem Fach aufweisen…“. (2)
Damit sind unsere Kinder nicht förderungswürdig!
Fazit: Ich bestelle die Nachhilfe ab, warte darauf, das unsere Kinder im Fach Mathematik abrutschen, eventuell bis zu einem „Ungenügend“, und erst dann kann ich wieder eine Nachhilfe beantragen.
Die Sorge von Eltern, welche Vorsorge treffen, wird wieder einmal nicht anerkannt. Das bedeutet, wie in unserem Fall, dass die Kinder erst einmal in den Brunnen fallen müssen, damit sie dann großzügig vom Staat gerettet werden könnten.
Soviel zum „gut“ gemeinten Bildungspaket.
Quellen:
1. http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-bjw/bildungspaket/bildungspaket_elterninfo_neu.pdf?start&ts=1323808447&file=bildungspaket_elterninfo_neu.pdf
2. http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-bjw/bildungspaket/fachinfo/blatt5_lernfoerderung.pdf?start&ts=1323941969&file=blatt5_lernfoerderung.pdf