Die Piratenpartei Berlin steigt in einer monatlichen Forsa-Umfrage um drei Prozent auf 14 Prozent, überholt damit die langjährige Regierungspartei Die Linke und nähert sich den auf 16 Prozent gesunkenen Bündnis 90/Die Grünen. Über die Hintergründe wird in der Nomenklatura peinlich geschwiegen, während der Großteil der Mitglieder dieser Partei wie immer nicht begreift, was eigentlich vor sich geht. Hierzu ein paar Klarstellungen.
Am 19.August letzten Jahres schickte ich folgende Email (editierte Links sind im Original gesetzt) an den Pressesprecher einer Partei, der zu diesem Zeitpunkt niemand etwas zutraute. Niemand, das bin ich.
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Hallo Pressesprecher Piratenpartei,
hier unsere Redaktions-Adresse. Ihre Stellungnahme zum geforderten Einsatzes von Drohnen über Berlin (und offenbar bundesweit) bitte hierhin.
Diesbezüglich folgende Verweise:
– die Forderung wurde formuliert von Rainer Wendt, Vorsitzender der Polizeigewerkschaft DPolG
– der Einsatz von kamerabestückten Überwachungsfluggeräten / Drohnen gegen die Bevölkerung ist in Deutschland nach ausführender Gesetzgebung offenbar völlig legal. Sonst gäbe es keine Drohnen für ein paar Hundert Euro in jedem Elektronikfachgeschäft zu kaufen. Anzunehmen ist daher, daß auch jeder Konzerngeheimdienst oder jede Privatdetektei solche Mittel einsetzt, von den (inländischen und ausländischen) Geheimdiensten und Polizeibehörden ganz zu schweigen.
– auf dem Fest zum 60.Jahrestag zur Gründung des Bundeskriminalamtes BKA äußerte sich Kanzlerin Merkel „besorgt“ über die kontinuierliche Zerstörung von Privatautos in Berlin, heute zum vierten Mal in Folge. Interessant dazu ist dieses Agentur-Zitat:
“ Damit hat auch der bislang eher inhaltsleere Wahlkampf für die Berliner Abgeordnetenhauswahlen am 18. September sein erstes Aufregerthema gefunden.“ Wem dieses nützt, ist offensichtlich. CDU und SPD-Politiker, wie der altbekannte Dieter Wiefelspütz, reden ohne einen Beleg von den Anfängen eines neuen Linksterrorismus. Dazu äußert sich aber überraschenderweise die Polizeipräsidentin Polizeipräsidentin Margarete Koppers wie folgt: „Die linksextremistische Szene steht nicht hinter den Taten und erklärt sich damit auch nicht einverstanden“.
Persönliche Bemerkung: Die Piratenpartei würde sicherlich ein adäquates Wahlkampfthema und auch durchaus ein paar Wählerstimmen hinzugewinnen, wenn sie ein absolutes Verbot von Drohnen-Einsätzen über Berlin und Deutschland fordern würde. Auch ein entsprechendes Wahlplakat „Keine Drohnen über Berlin“ würde da sicherlich Resonanz finden.
Sämtliche Presseerklärungen der Piratenpartei können sie übrigens an diese Adresse schicken. Wir veröffentlichen sie dann unter dem entsprechenden Autorennamen („Piratenpartei“, „Piratenpartei Berlin“, etc)
Für Ihren Wahlkampf viel Erfolg.
Daniel Neun
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Vielleicht kann sich jeder denken, wie die Piratenpartei Berlin auf diese schriftliche Anfrage reagierte. Sie verweigerte, sich mit diesem Thema auch nur zu beschäftigen (ich schrieb darüber am 27. August). Ehrlich gesagt war ich nicht enttäuscht, sondern nur wieder einmal an die Realität erinnert, wie sie zu diesem Zeitpunkt verstanden wurde.
Am 18. September 2011 wurde das Berliner Abgeordnetenhaus gewählt. Am Tresen im Ritter Butzke stand niemand und dachte, mitten im Jubel über 8.9 Prozent der Piratenpartei und dem ganzen Blitzlichtgewitter, an den Abend des 17. September 2006. Nicht ganz so ruhig, dachte ich mir. Immerhin. Was sind schon fünf Jahre.
Am 19. Januar veröffentlichte Netzpolitik.org der Redaktion zugespielte Unterlagen der Polizei. Diese belegten die massenhafte Spionage der Polizei gegen Benutzer von Mobilfunktelefonen eines ganzen Stadtteils, namentlich Friedrichshain. Anlass war eine einzige, scheinbar unaufklärbare Brandstiftung an einem Auto in 2009, deren zahlreiche Fortsetzungen während des Berliner Wahlkampfes CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel schließlich zum Innensenator gemacht hatten. Keine der Parteien des Berliner Abgeordnetenhauses hatte vorher die Legenden von Bundespolizei und später auch der Berliner Polizei, samt denen ihres späteren Oberkommandeurs Henkel, in Frage gestellt. Keine Partei, kein einziger Landtagsabgeordneter, hatten dem von der Polizei geforderten Einsatz von Zeppelinen und Drohnen mit Infrarot-Kameras über Berlin widersprochen. Bis heute interessiert es niemanden, ob sie jetzt, während diese Zeilen geschrieben und gelesen werden, bereits zum Einsatz kommen. Stattdessen schalteten die informationsindustriellen Wahrheitsministerien blitzschnell von „Linksterrorismus“ auf „Rechtsterrorismus“ und ließen sich nun so ihre neuen Terrorzentren, Verzeihung, Antiterror-Zentren absegnen. Und wieder nichts von der Piratenpartei.
Der Bundestag hat den Einsatz von Drohnen über Deutschland mittlerweile legalisiert. Auch dazu kein Wort von der Piratenpartei.
Doch nachdem die massenhafte Spionage der Polizei über routinierte Funkzellenabfragen und der, quasi über Gewohnheitsrecht funktionierenden Anforderung von privaten Handy-Daten der Bewohner ganzer Kieze bekannt geworden war (offensichtlich über eine Quelle im Apparat selbst) begann wieder einmal das Flennen der Krokodile. Allen – Grüne, Linkspartei, Piratenpartei, ach, allen, es rannte ihnen in Bächen über das dicke Leder. Ja so etwas. Massenhafte Spionage gegen alle, weil Ermittler eine Straftat aufklären müssen, es aber irgendwie nicht können. Wir sind die Polizei, sagten sie. Wir können nun mal nicht anders. Sagte die Justiz, na klar – wir auch nicht. Wir können auch nicht anders als Ihr. Deswegen auch Gewaltenteilung: Wir teilen uns die gleiche Gewalt über den Bürger und seine Stadt und kümmern uns einen Dreck um irgendwelche Witzschriften. Grundgesetz?! Landesverfassung?! Pah! Sollen die doch klagen, haha…
Die Berliner sind nicht dumm. Sie sind nur schlicht in großen Teilen so verroht und so desillusioniert über dieses Pack im Roten Rathaus, im Regierungsviertel mit seinem kleinen Wuffi Reichstag und in der gesamten Mischpoke des pseudo-„politischen Berlin“, daß sie nur noch auf der Suche nach der am wenigsten verabscheuungswürdigsten Bande von Lügnern und degenerierten Kontrollfreaks sind, denen sie ihre Stimme hinterher schmeißen können. Das ist zur Zeit noch die Piratenpartei.
Ich will nicht die Arbeit aller in der Piratenfraktion Berlin schlechter machen als sie ist. Sicher macht die Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus einen Unterschied zwischen vorher und nachher. Leider ist das der Unterschied zwischen Ansgar Heveling und der Piratenpartei.
Und das langt nicht.
Das zeigte auch die windelweiche Reaktion der sich blitzschnell heraus schälenden Talkshow-Kader Sebastian Nerz und Christopher Lauer auf die ebenfalls durch andere ans Tageslicht gebrachte massenhafte Staatsspionage durch Trojanische Pferde, die Bundestrojanern untergejubelt werden, die nicht lesen können, zumindest nicht Homer.
Wer das Grundgesetz in Frage stellt, auf dem alle Rechte aller Bürger beruhen, auch das Recht diese Medienstation zu betreiben und selbst die Öffentliche Meinung mit zu gestalten, ergreift nicht für uns, nicht für die Demokratie, nicht für die Republik von 82 Millionen Menschen, sondern für einen Staat Partei, der glaubt, er kann hier machen was er will – sogar die Republik selbst und das Grundgesetz in Frage zu stellen. Die Piratenpartei Österreich hat vorgestern gezeigt, daß es auch anders geht und ihre deutsche Schwesterpartei als das geoutet, was sie ist – Teil eines sehr großen Problems, nicht Teil einer ganz einfachen Lösung.
Die wäre eine ganz normale, verfassungstreue Partei. Und die fehlt immer noch, in der zweiten gemeinsamen Demokratie auf deutschem Boden.