Dokumention: Vorabveröffentlichung der Rede der Parkschützer bei der heutigen 110. Montagsdemo gegen „Stuttgart 21“ (S21), vorgetragen von Moderator Robin Bauer am Südflügel, Hbf Stuttgart.
In der Politik geht es nicht um Wahrheit oder Lüge. Sagt unser Ministerpräsident Kretschmann.
Um was geht es dann? Um Macht? Um das Wohl des Volkes?
Kretschmanns Antwort lautet: Es geht um Alternativen. Blutleerer geht es kaum noch.
Aber wie entscheidet man sich zwischen Alternativen? Kretschmann ist ja nicht nur Katholik, er ist auch Ethiklehrer, er hat da eine feste Richtschur, der Verfassungspatriot, geradezu ein Gottesurteil: „die Mehrheit hat sich ‚letztlich‘ entschieden.“ Wahrheit und Lüge? Spielten da keine Rolle. Die Bürger wussten oder hätten wissen können, sagt Kretschmann. Die Bürger hätten doch wissen können, dass ausgerechnet Drexler nach der Volksabstimmung mit einer Neuplanung auf den Fildern kommt und den Kostendeckel erhöhen will. Was, die Bürger wussten nicht, dass die Bahn im siebten Änderungsantrag zum Grundwassermanagement bei der inzwischen dreifachen Grundwasserentnahmemenge ist?
Kretschmanns Versprechen, die Kosten zu klären, bevor Stadt und Land durch den Abriss des Südflügels und die Zerstörung des Schlossgartens in Geiselhaft genommen werden – die Bürger hätten doch wissen können, dass dieses Versprechen nichts wert ist. „Jeder der eins und eins zusammenzählen kann“ lässt uns Grube jetzt plötzlich in der Stuttgarter Zeitung wissen, erwarte nicht, dass das Projekt 2019 fertig werde. Also weiß auch jeder, der eins und eins zusammenzählen kann, dass das ganze Projekt deutlich teurer wird?
Wenn 3,2 Millionen Kubikmeter Grundwassserentnahme, für jeden, der eins und eins zusammenzählen kann, 9 Millionen bedeutet, und 2019 selbstverständlich 2025 und wenn 4,5 Milliarden Euro Kosten sicher für mindestens 7 Milliarden stehen und wenn bestgeplant bedeutet, wir haben keinen Plan, dann versteht man auch, dass das alles nichts mit Wahrheit und Lüge zu tun hat. Denn es gilt nicht, was gesagt und versprochen wird. Es gilt, was man „hätte wissen können“ und was man sich wie eins und eins zusammenzählen kann. Deshalb macht man sich auch lächerlich, wie selbst ein Grüner Stadtrat findet, wenn man einem Politiker nach der Wahl vorwirft, er hätte vor der Wahl gelogen. Und deshalb haben auch Bahn und Politik keine Schwierigkeiten, sich zu verstehen.
Die Landesregierung sagt: „Der Kostendeckel gilt“. Die Bahn weiß ja, dass er nicht zu halten ist. Und versteht also vollkommen richtig: selbstverständlich nur solange, bis er überschritten ist. Die Bahn und die Landesregierung versprechen nach der Schlichtung Stuttgart 21 plus 1:1 umzusetzen. Da aber jeder weiß, der eins und eins zusammenzählen kann, dass das nicht ohne erhebliche Mehrkosten geht, die keiner zahlen will, erwartet keiner, dass es geschieht.
Wirklich keiner?
Zu sehr daran gewöhnt alles versprechen und nichts halten zu müssen, hat sich die Bahn nach der Schlichtung vielleicht doch zu weit aus dem Fenster gelehnt. Teilnehmer der Schlichtung haben beim Eisenbahnbundesamt einen weiteren Antrag eingereicht, die Arbeiten im Schlossgarten sofort zu stoppen. Begründung: Mit ihrem uneingeschränkten Bekenntnis dazu, die Geißlerschen Forderungen für S21 plus umzusetzen, ist die Bahn eine rechtlich wirksame Selbstverpflichtung gegenüber ihren Gesprächspartnern in der Schlichtung eingegangen. Und genau das wird jetzt vor dem Verwaltungsgerichtshof eingeklagt, falls das Eisenbahnbundesamt das unnötige und dem Schlichterspruch zuwiderlaufende Fakten schaffen im Schlossgarten nicht stoppt.
Wir werden sehen, ob Wahrheit und Lüge vor Gericht noch etwas bedeuten, wenn diese Begriffe schon in der Politik keinen Wert mehr haben.
Und sie, Herr Kretschmann? Haben sie sich wirklich schon für die Alternative „Nichts tun“ entscheiden? Sie wissen, Herr Kretschmann, oder sie müssten wissen, dass die Bahn bis weit über den Oktober 2012 hinaus keine merklichen Baufortschritte im Mittleren Schlossgarten machen wird. Deshalb fordern wir sie auf: Verhindern sie die Fällung der Parkbäume.
Sorgen sie dafür, dass die Bahn erst mal ihr Planungs- und Genehmigungschaos nicht nur beim Grundwassermanagement behebt und für Transparenz sorgt.