GRIECHENLAND TICKER: Tag 1 im Sozialen Aufstand
Beginn einer Reihe von regelmäßig aktualisierten täglichen Tickern zur Situation der Republik Griechenland und dem dortigen Sozialen Aufstand der Bevölkerung gegen die Diktatur des Kapitals. Tag 1, Freitag, der 10. Februar.
Brüssel: Gestern traf sich im Hauptquartier der Organe des Staatenbundes „Europäischen Union“ die sogenannte „Eurogruppe“. Diese setzt sich zusammen aus den 17 Finanzministers der Staaten im Euro-Währungsgebiet, dem Kommissar der „Europäischen Union“ für wirtschaftliche und finanzielle Angelegenheiten, Olli Rehn, dem Präsidenten der Frankfurter Euro-Zentralbank EZB, Mario Draghi, der Präsident des 1999 eingesetzten „Europäischen Wirtschafts- und Finanzausschusses“ (dessen Mitglieder von der EZB-Zentralbank, den EU-Regierungsräten und den Kommissaren ernannt werden), sowie andere Brüsseler Beamte. Es ging um die Auszahlung von weiteren Steuer- und Staatsgeldern von EU-Mitgliedsländern an die Kapitalgesellschaften und Banken, welche Geldforderungen an den Staat Griechenland erheben.
Ein Beschluss im eigentlichen Sinne, also eine Entscheidung, wurde nicht gefasst, da die Eurogruppe nichts entscheiden kann. Entscheiden können in parlamentarischen Demokratien nur und ausschließlich Parlamente, die Gesetzgeber. Und um den Gesetzgeber in Athen am Sonntag zur Unterschrift eines weiteren Diktats zu erpressen, das vom Internationalen Finanzkartell und Bankenverband IIF, der Frankfurter EZB, „Internationalem Währungsfonds“ IWF und Brüsseler Kommissaren mit einer selbst eingesetzten Athener Übergangsregierung „verhandelt“ worden war, und um gleichzeitig die eigentlichen Vorgänge vor der Öffentlichkeit zu vernebeln (da der Bundestag der nächste Gesetzgeber war, den man erpressen wollte) erzählten die Beteiligten dieses finanziellen Angriffskrieges gegen die europäischen Demokratien wieder einmal den größten Schwachsinn, zu dem sie fähig waren. Allen voran der Meister dieses einen Fachs: Finanzminister von Deutschland Wolfgang Schäuble.
Hier nun der erste Griechenland Ticker, der mit regelmäßig aktualisierten Berichten, Analysen, Einschätzungen und allen verfügbaren Informationen versuchen wird, den Millionen Geschworenen am Gerichtshof der Öffentlichen Meinung in der Republik Deutschland zu einem gerechten Urteil über das zu verhelfen, was hier mitten in Europa, am Anfang eines weder von Gott, weder vom Schicksal, weder von den Sternen und schon gar nicht von irgendeinem dahergelaufenen Machthaber und Ausbeuter festgelegten 21. Jahrhunderts vor Ihren Augen passiert.
12.00 Uhr
Das wahre Ausmaß des Diktats der Kapitalgesellschaften und ihrer ausführenden Organe in Berliner Regierung, EU-Räten, Frankfurter Zentralbank und „Sonderorganisationen“ wie dem IWF wird vor der Öffentlichkeit in Deutschland immer noch vernebelt.
Neben einer Vielzahl von Staatsbetrieben und wertvollsten Infrastrukturen, dem öffentlichen Gasversorger Public Gas Corporation, dem Energieversorger DESFA, Hellenic Petroleum, der Wasserversorgung der Regionen Attika und Thessaloniki, sowie dem staatlichen Fernsehen, soll Griechenland ganze Landstriche, Küstengebiete und Teile der Inseln Rhodos und Korfu verkaufen. Der Mindestlohn soll um 22 Prozent gesenkt, alle Gehälter der Arbeitenden auf unabsehbare Zeit eingefroren werden. Noch dieses Jahr sollen 15.000 Arbeitende aus dem öffentlichen Dienst entlassen werden, insg. 150.000 bis 2015. Das würde sich zu den Folgen des Abbaus von Staat und Volkswirtschaft hinzu addieren, die Griechenland bereits erfasst und die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung schon jetzt verarmt oder verelendet haben. (DER WELTFINANZKRIEG (III): Griechenland im Würgegriff der Menschenschinder – Geostrategische Hintergründe)
Ebenfalls Teil des Finanzdiktats: Im gleichen Atemzug sollen umgerechnet bis zu 40 Milliarden Dollar an die in Griechenland sitzenden Banken gezahlt werden – für deren „Rekapitalisierung“.
In Griechenland hat dagegen heute ein 48-stündiger Generalstreik begonnen. Ausgerufen haben ihn die zwei etablierten und bislang zu Appeasement neigenden Gewerkschaftsverbände: die 1918 noch im Königreich gegründete Dachorganisation der Arbeitenden in den kommerziellen Betrieben GSEE und die Dachorganisation der Gewerkschaftsverbände von Angestellten und Beamten des Öffentlichen Dienstes ADEDY. Deren Vorsitzender, Ilias Iliopoulos, verlautbarte gestern zu dem seit Tagen vom internationalen Finanzkartell IIF, EU, IWF und EZB mit der eingesetzten Technokraten-Übergangsregierung vereinbarten Diktat:
„Die schmerzhaften Maßnahmen, die Elend für die Jugend, Erwerbslosen und Pensionäre erzeugen, lassen uns nicht viel Spielraum. Wir werden sie nicht akzeptieren. Wir bewegen uns auf einen Sozialen Aufstand zu.“
Ein Livestream aus Athen:
13.45 Uhr
Wie von mir vor zwei Tagen prognostiziert, versuchen Minister Schäuble und Kanzlerin Merkel im Falle eines erfolgreichen Durchmarschs in Griechenland nun einen weiteren finanziellen Blitzkrieg in Deutschland. (Analyse: Deutschland soll Banken in Griechenland-Bankrott ausbezahlen, Blitzkrieg-Versuch im Bundestag)
Konkret geht es um 30 Milliarden Euro, die Schäuble aus dem 780 Milliarden Euro Staatsgelder umfassenden „Euro-Rettungsfonds“ EFSF an Banken und Kapitalgesellschaften ausbezahlen lassen will. „Reuters“ schrieb dazu am 7. Februar:
„Nötig seien nach Angaben Schäubles zwei Abstimmungen, nämlich zum einen über neue Hilfskredite im Volumen von wahrscheinlich 100 Milliarden Euro für Griechenland und zum anderen über eine Garantie von bis zu 30 Milliarden Euro, die private Gläubiger nach einem Schuldenschnitt für die umgewandelten neuen, langfristigen Anleihen erhalten sollen. Diese Garantie müsste über den Euro-Rettungsschirm EFSF kommen. Über letzteres Element müsste der Bundestag als erstes abstimmen.“
Wie erwartet briefte heute morgen die Kanzlerin diesbezüglich die Führungen der Parlamentsfraktionen. Die Führung der sogenannten „Linksfraktion“, namentlich Führer Klaus Ernst, nannte den mit der Kanzlerin vereinbarten finalen Termin für die Bewilligung des Bundestages: den 27. Februar.
Auf der Webseite der „Linksfraktion“ dazu: kein Wort.
14.40 Uhr
Noch immer ist die größte Bank der Banken die Eigenschaft vieler inländischer Mitbürger nicht bis drei zu zählen, nicht lesen und nicht denken zu können. Noch immer glauben viele in Deutschland, ausgeraubt zu werden hieße zu sparen. Ebenso sind viele unserer MitbürgerInnen weiterhin der Ansicht, ein einziger von ihnen „gesparter“ Cent würde an andere gesparte Staaten und deren Bürger fließen, die sich ebenfalls das Zählen, Lesen und Denken sparen und die Schuld für ihr Elend wiederum bei den Untertanen in Deutschland suchen.
Genau für diese in- und ausländische Klientel der Schwachsinnigen schreibt täglich das Besitzerblatt „Bloomberg“.
Dort ist nun zu lesen, was der Parteiführer der griechischen nationalistischen Partei „Laikos Orthodoxos Synagermos“ (LAOS), Georgios Karatzaferis, heute morgen im griechischen Fernsehen erklärte, das seine „Übergangsregierung“ (neben allem anderen von Griechenland) gerade dabei ist an Kapitalisten zu verkaufen:
„Was mich besonders stört, ist die Demütigung des Landes. Natürlich kann und sollte Griechenland nicht ohne die Europäische Union auskommen, aber es könnte ohne den deutschen Stiefel auskommen.“
Für jeden Stiefel in Deutschland kann ich nicht sprechen. Aber ich weiß definitiv wo einer davon gerade landet.
15.10 Uhr
Nachdem also LAOS-Führer Karatzaferis angekündigt hat, bei der am Sonntag stattfindenden Abstimmung im Parlament gegen das Finanzdiktat zu stimmen welches er noch gestern unterzeichnet hatte, schwören die vermeintlich „Konservativen“ der Nea Dimokratia („Neue Demokratie“) ihre Abgeordneten auf die Unterschrift ein. In einem surrealen Auftritt, irgendwo weit ab vom Schuss, gab dazu ND-Parteisprecher Yiannis Michelakis die entsprechenden Parolen aus: Es gehe um die Rettung des Euro und was der Währungsgott schon alles Gutes getan hätte für Griechenland, man wolle, nein, man könne nicht ohne ihn weiter leben, etc, pp.
Die Authenzität eines in Athen kursierenden Flugblattes wiederum, auf der die griechische Polizeigewerkschaft POASY mit der Festnahme von Mitgliedern der „Troika“ (Angestellte von EZB, EU-Kommission und IWF) drohen soll, ist bis dato unklar.
In Athen haben Straßenschlachten zwischen demonstrierenden Griechen und der Polizei begonnen.
15.40 Uhr
Zur allgemeinen Situation. Die „Übergangsregierung“ unter ex- EZB-Vizepräsident Loukas Papademos, eine ohne Neuwahlen eingesetzte faktische Junta der Kapitalgesellschaften, wird von drei Parteien im Athener Parlament gestützt: der „sozialistischen“ Pasok, der „konservativen“ ND und der nationalistischen LAOS.
Hier die Sitzverteilung im Parlament von Griechenland nach den Wahlen 2009. Die Machtverhältnisse haben sich im Zuge der Staatskrise verändert, gerade der Pasok – die immer noch von Giorgos Papandreou geführt wird – sind zahlreiche Abgeordnete weggebrochen. Trotzdem werden aller Wahrscheinlichkeit nach die Abgeordneten der Fraktionen von Pasok und ND auf Befehl ihrer Parteiführungen am Sonntag mehrheitlich für das Diktat stimmen, was wiederum eine Mehrheit im Parlament bedeuten würde.
Derweil haben Angestellte des Athener Finanzministeriums dieses besetzt.
15.50 Uhr
Die vier LAOS-Minister der Papademos-„Übergangsregierung“ haben diesem ihren Rücktritt angeboten. Unklar ist, ob Papademos annimmt. Es ist jedoch offensichtlich, daß sich die Troika-Junta destabilisiert.
An den Geldmärkten fielen heute Nachmittag jedenfalls die Kurse. Das beste Zeichen für einen Kursanstieg der konkurrierenden Demokratie.
16.25 Uhr
Frank-Walter Steinmeier, der 2005 dank des EU-Rätesystems als in Deutschland ernannter Minister in Brüssel zum „Gesetzgeber“ einer halben Milliarde Menschen wurde ohne im Leben jemals zu irgendwas gewählt worden zu sein, hat heute erklärt, wie sehr es ihn, den größten Wahlverlierer der SPD seit der Weimarer Republik, gelüstet, nach einer neuen Wahlniederlage der SPD 2013 als Minister einer erneuten „großen Koalition“ unter Kanzlerin Merkel wieder in die Räte nach Brüssel zu kommen:
„Wir kennen unsere Verantwortung auch in der Opposition für dieses Europa, weil es am Ende kein schwarz-gelbes und kein rot-grünes Europa gibt, sondern das Europa, mit dem wir ab 2013 wieder in Regierungsverantwortung zu tun haben.“
Was Steinmeier, der sich am 27. September 2009 nach einem Minus von schlappen 11.2 Prozent Wähleranteil nach der ersten Hochrechnung erfolgreich selbst als Führer der neuen SPD-Bundestagsfraktion ausrief, damit sagen wollte: am 27. Februar 2012 werden die SPD-Abgeordneten der geplanten Ausschüttung von 30 Milliarden Euro Staatsgelder im EFSFS-Fonds an Finanzgläubiger zustimmen, die sich vorher in den Besitz von wertlosen Staatsanleihen eines bankrotten Staates gebracht haben, der zuvor durch Wucherzinsen auf diese Anleihen ruiniert wurde.
16.55 Uhr
Vielleicht ist es mal an der Zeit, das eine oder andere Missverständnis zu klären.
Ober-Witzbold von LAOS Karatzaferis in Athen:
„Frau Merkel hat nur ein paar Luschen auf der Hand und gibt vor, vier Asse zu haben“, sagte Karatzaferis. Griechenland könne nicht pleitegehen. Wenn sein Heimatland falle, werde es letztlich den Rest Europas mit in den Abgrund ziehen.“
Im Buch Daniel, 9, heisst es in Talmud, Bibel und Koran:
„Nach den zweiundsechzig Wochen wird ein Gesalbter umgebracht, aber ohne (Richterspruch). Das Volk eines Fürsten, der kommen wird, bringt Verderben über die Stadt und das Heiligtum. Er findet sein Ende in der Flut; bis zum Ende werden Krieg und Verwüstung herrschen, wie es längst beschlossen ist.“
Ähm, da ist von Jerusalem die Rede, nicht von Athen oder Berlin. Und Europa hat auch nicht vor im Atlantik zu versinken, nur weil sich Hunderte von Millionen Menschen durch ein paar verdammte Ausbeuter nicht mehr ausplündern lassen.
Ergo muss es sich hier um eine finanzreligiöse Verwechslung handeln. Das ist alles ein großes Missverständnis.
17.30 Uhr
Aufnahmen aus einer Stadt, die sich von den Finanzfürsten und ihren „Pro-Euro-Europäern“ nicht länger „retten“ lassen will.
Das war übrigens Athen. Das hier ist Brüssel, wo heute Feuerwehrleute Absperrungen der Polizei überwanden und vor dem Amtssitz des belgischen Premierministers klar machten, was sie von diesem „Pro-Euro-Europäer“ und seinen Einsparungen der Renten der Belgiern halten.
19.00 Uhr
Nach dem Briefing der Fraktionsführungen durch die Kanzlerin hatte bereits heute morgen neben der Führung der SPD-Abgeordneten auch die der Grünen ihre Zustimmung im Bundestag zur geplanten Ausschüttung von 30 Milliarden Euro aus dem EFSF-Staatsgelderfonds an Griechenland-Gläubiger angekündigt. Derweil ist unübersichtlich, wer in der Athener „Übergangsregierung“ überhaupt noch im Amt ist.
Bereits gestern sind Yiannis Koutsoukos (Pasok) und Yiannis Manolis (Nea Dimokratia) zurückgereten. Heute nun trat Pavlos Stasinos (Pasok) zurück. Ob alle vier LAOS-Minister tatsächlich zurücktreten sind, ist zur Stunde unklar.
Deutlich aber wird: die von der Frankfurter Zentralbank, den EU-Komisssaren, dem Internationalen Währungsfonds, sowie dem von SPD, CDU, CSU, FDP und Grünen gestützten Berliner Kanzleramt und Finanzministerium eingesetzte Junta in Athen zerfällt.
19.50 Uhr
Das schon namentlich cross-krasse Medium aus den abendländisch erleuchteten Tälern des Kapitalismus, die „Financial Times Deutschland“, ließ es sich auch heute nicht nehmen wieder einmal an den Herrenkonsumenten in uns zu appellieren:
„Griechen meutern gegen Deutschland“
Das kann doch nicht in Ordnung sein. Oder.
21.10 Uhr
In den wahrheitsministrablen Dienststuben der Informationsindustrie herrscht weltweit Verwirrung, offenkundig weil die Order mit sich selbst schwerbeschäftigten „Entscheider“ ausbleibt. Die Junta in Griechenland zerfällt einfach. Ist ja unerhört. Das war nicht vorgesehen, verlieren. Das war einfach nicht vorgesehen.
Bleibt nur die alte Platte: oh lasset uns beten zum allmächtigen Finanzgott, auf daß wir ihn retten müssen, den allmächtigen alleinigen Finanzgott „Euro“, und das mit allen Euros die wir haaaaabeeeeen. Aaaaaameeeen.
Peinlich nur, daß es sogar aus dem von den eigenen Staatsbeamten besetzten griechischen Finanzministerium per Lausprecher bis zum Syntagma-Platz schallt:
„Rebelliert jetzt, streikt weiter, gebt nicht auf!“
+++ Ende des Griechenland Tickers vom Freitag, dem 10. Februar. +++