Bundeswehr muss Ärzten Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gewähren (Foto unter CC-Lizenz, Wikipedia)
Der oberste Dienstherr der Bundeswehr und ehemalige Bundesinnenminister, Bundesverteidigungsminister Thomas de Maiziere, beweist keinen guten Instinkt zum Aufpolieren des neuen Images der „Bundeswehr im Einsatz“.
Ansonsten hätte de Maiziere bei seinem Mangel an neuen Rekruten und Deppen es nicht dazu kommen lassen, dass zwei Ärzte aus Gewissensgründen vor ein hohes deutsches Gericht ziehen müssen, um von ihrem Dienst, der auch in Afghanistan in dortigen Einsätzen mit Soldaten stattfand, befreit zu werden.
Nun pfeifen es nach der Urteilsverkündung vom 22.2.2012 des 6. Senats des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig alle Spatzen posaunenartig vom Himmel, wie „attraktiv“ eine Verpflichtung bei der Truppe ist und dieses starre militärische Festkrallen ohne Logik an „Vorschriften“, bei denen es immerhin um Leben oder Tod für den Einzelnen geht, wird sich wie ein Lauffeuer über die Kasernenhöfe bis in den hintersten Winkel verbreiten.
Die beiden Sanitätsoffiziere Friedrich Hammerschmidt und Christoph König können ihren Dienst bei der Bundeswehr nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren. Seit ihrer Ausbildung hat sich das Selbstverständnis der deutschen Armee entgegen der zustimmenden Meinung der Bevölkerung von einer Verteidigungsarmee zu einer Armee entwickelt, die „aktiv im Einsatz“ mit Berufssoldaten ist, die die wirtschaftlichen Interessen aus geostrategisch-wirtschaftspolitischen Gründen ausserhalb der Landesgrenzen Deutschlands zu wahren hat. Vor gar nicht allzu langer Zeit nahm ein Bundespräsident für diese Aussage seinen Hut und verliess gut besoldet mit Ehrenparade sein Schloss.
Mit den Begriffen „Reform“, „Aussetzen der Wehrpflicht“ und „Einsparungen“ wurde versucht, diese Umstrukturierung zu vertuschen. Sogar von der Einführung eines offiziellen Veteranentages war in den vergangenen Tagen die Rede, ein Vorstoss des Bundesverteidigungsministers – aber bitte nicht am Volkstrauertag, wurde auf feige Weise gefordert, das würde dann doch zu sehr an die Zeit der Weltkriege erinnern.
„Das ist ein Zeichen in die Gesellschaft hinein und eine Möglichkeit, den Soldaten einfach mal Danke zu sagen.“ Denn die Belastungen seien enorm. Das gelte auch für die Angehörigen. Bisher seien seit 1992 rund 300.000 Frauen und Männer im Auslandseinsatz gewesen; nur diese Soldatinnen und Soldaten könnten auch als Veteranen gelten, „weil sie einen besonderen Dienst für das Vaterland geleistet haben“ – inklusive des Risikos, dabei zu sterben.“ wurde Timmermann-Levanas, der Vorsitzende des Bundes Deutscher Veteranen auf „Soldatenglück“ zitiert.(1)
Dass in den Vereinigten Staaten von Amerika die Veteranenverbände gegen Auslandseinsätze mobil machen, wird vor der Öffentlichkeit in Deutschland tunlichst im Tornister unter Verschluss gehalten.
Aus der Pistole, die zuvor aus Gründen der Verteidigung im Notfall zur Ausrüstung eines Arztes der Bundeswehr gehörte, wurde eine vollautomatische Maschinenpistole MP7.
Nach Aussage eines Stabsarztes aus dem Bundeswehrkrankenhaus in Koblenz üben die Jahrgänge
„vor der Erstversorgung eines Soldaten das Feuer auf den Feind zu erwidern, insbesondere das Ausschalten des Gegners mit dem Sturmgewehr wurde trainiert.“
Seit dem Jahr 2009 befindet sich entgegen allen weltweiten Vereinbarungen zum Schutz der Sanitäter und Ärzte kein rotes Kreuz auf den deutschen Sanitätswagen in Afghanistan, die die gepanzerten Fahrzeuge der Soldaten auf ihren Ausflügen begleiten, um diese für die „Feinde“ nicht erkennen zu lassen.
„Heutzutage fährt der Arzt mit an die Front. Wenn es zum Gefecht kommt, ist es unausweichlich, dass er mit schiesst“,
so Hammerschmidt.
Das Bundesamt für Zivildienst (heute „Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben“ hatte den Antrag auf Kriegsdienstverweigerung abgelehnt mit der Begründung, die beiden hätten „sich freiwillig verpflichtet – und der Sanitätsoffizier sei als waffenloser Dienst eingestuft, den man nicht verweigern könne.“
Der Vorsitzende Richter Werner Neumann sagte zu dem Urteil:
„Wann sich das Gewissen regt, lässt sich ja nicht festlegen.“
Den beiden Bundeswehrärzten steht noch ein langer Gang durch die Instanzen offen, als Kriegsdienstverweigerer anerkannt zu werden, denn das Verwaltungsgericht hat die „Sachen zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen. Dieses wird zu prüfen haben, ob die Kriegsdienstverweigerung der Kläger von einer Gewissensentscheidung im Sinne des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG getragen wird.“
Der Rechtsanwalt der Bundeswehr, Thomas Kunze, meinte nach der Urteilsverkündung ganz nach Art eines Scheinangriffs, der eine Niederlage zu kaschieren sucht(2):
„Ob ein Antrag auf Kriegsdienstverweigerung auch tatsächlich begründet ist, ist eine andere Frage. An den Regularien und den Aufgaben der Sanitätsoffiziere hat sich nicht geändert.
Ob eine Pistole oder eine automatische MP7 von Heckler & Koch zur Ausrüstung gehöre, sei einzig eine technische Frage.„
Die Bundesrepublik ist ein demokratisches Land und kein Staat im Süden der USA im 19. Jahrhundert. Sklaverei, Leibeigenschaft und Methoden der Preussischen Armee gehören der Vergangenheit an – sollte man meinen.
Hier die Pressemitteilung Nr. 16/2012 BVerwG 6 C 11.11 und 31.11 – Urteile vom 22. Februar 2012 (3)
„Berufs- und Zeitsoldaten des Sanitätsdienstes haben Rechtsschutzbedürfnis für Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer
Aktive Berufs- und Zeitsoldaten des Sanitätsdienstes der Bundeswehr haben ebenso wie Wehrpflichtige und alle anderen Soldaten der Bundeswehr einen Anspruch darauf, dass das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (früher: Bundesamt für den Zivildienst) ein Anerkennungsverfahren durchführt, wenn sie einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer stellen. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute auf die Klagen von zwei Sanitätsoffizieren und Soldaten auf Zeit entschieden.
Das frühere Bundesamt für den Zivildienst und das Verwaltungsgericht Koblenz als Vorinstanz haben die Anerkennungsanträge der Kläger als unzulässig angesehen und sich dabei auf Rechtsprechungsgrundsätze berufen, die das Bundesverwaltungsgericht in den 1980er Jahren begründet hatte. Nach diesen Grundsätzen war Angehörigen des Sanitätsdienstes, die sich als Berufs- oder Zeitsoldaten freiwillig zum Dienst in der Bundeswehr verpflichtet hatten, bis zur Beendigung ihres Dienstverhältnisses kein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zuzubilligen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Rechtsprechung aufgegeben. Da das nach Durchführung eines Anerkennungsverfahrens förmlich zuerkannte Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG gemäß Art. 12a Abs. 2 Satz 3 GG das Recht einschließt, jeglichen Dienst in der Bundeswehr einschließlich des Sanitätsdienstes zu verweigern, muss jedem Grundrechtsträger jederzeit die Möglichkeit eingeräumt werden, ein solches Anerkennungsverfahren zu durchlaufen. Die der bisherigen Rechtsprechung zu Grunde liegende Annahme, dass Soldaten, die sich freiwillig zum waffenlosen Sanitätsdienst verpflichtet hätten, das Anerkennungsverfahren nicht benötigten, auch weil sie gegebenenfalls ihre vorzeitige Entlassung aus dem Soldatenverhältnis beantragen könnten, hat sich als nicht tragfähig erwiesen und in der Praxis zu einer den Betroffenen nicht zumutbaren Komplizierung der Verfahrensabläufe geführt.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Sachen zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen. Dieses wird zu prüfen haben, ob die Kriegsdienstverweigerung der Kläger von einer Gewissensentscheidung im Sinne des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG getragen wird.
BVerwG 6 C 11.11 und 31.11 – Urteile vom 22. Februar 2012
Vorinstanz:
BVerwG 6 C 11.11: VG Koblenz, 2 K 216/10.KO – Urteil vom 28. September 2010 –
BVerwG 6 C 31.11: VG Koblenz, 7 K 468/10.KO – Urteil vom 25. Januar 2011 -“
Quellen:
(1) http://soldatenglueck.de/2012/02/16/68245/memorial-day-veteranentag-bund-deutscher-veteranen-begrust-vorstos-des-verteidigungsministers/
(2) http://www.news.de/politik/855274958/bundeswehr-einsatz-in-afghanistan-wenn-aerzte-auf-menschen-schiessen/1/
(3) http://www.bverwg.de/enid/8fb2245b466e935853d009d73ac5dbdd,120f487365617263685f646973706c6179436f6e7461696e6572092d093134313034093a095f7472636964092d093133333430/Pressemitteilungen/Pressemitteilung_9d.html