Bereits am Donnerstag, dem 1. März, wurde im Landtag des Bundeslandes Hessen auf Einladung des CDU-Fraktionsvorsitzenden Christean Wagner eine Veranstaltung abgehalten. Die Veranstaltung „Bewahrung und Erneuerung des Nationalstaates im Lichte der Europäischen Einigung“ traf mit 500 Teilnehmern auf durchaus großes Echo, wenn auch nicht in der Berichterstattung von Staatssendern und Informationsindustrie. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Vosskuhle konstatierte anlässlich dieses gesellschaftlichen Ereignisses ein paar Fakten, die Kanzlerin Angela Merkel am nächsten Tag wohl irgendwie vergessen zu haben schien. Diese saß nämlich freitags in Brüssel und verlor bei der Unterzeichnung ihres „Fiskalpakts“ durch den obersten EU-Regierungsrat kein Wort über ihren Chef und dessen Anweisungen.
Merkels Chef. Das ist das Grundgesetz. Wir verstehen uns.
Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Vosskuhle erinnerte nun am Donnerstag vor edler und sicherlich schweigsamer Runde, daß es ein paar Dinge gäbe, die auch sein Chef einfach nicht mitmachen würde (die „Rheinische Post“ fasste zusammen):
1. Die Aufgabe der souveränen Bundesrepublik Deutschland und den anschließenden „Beitritt“ Deutschlands als Bundesland in ein übergeordnetes Staatsgebilde lasse der „zu wahrende Identitätskern des Grundgesetzes“ nicht zu. Vosskuhle drückte ausdrücklich sein Bedauern über den widerwilligen, eigensinnigen, renitenten und nach bald 63 Jahren mutmaßlich altersstarrsinnigen Chef aus, sowie die Hoffnung, ihn doch irgendwie noch loszuwerden – aber ohne ihn zu verletzen (?).
„Man kann die Vision eines europäischen Bundesstaates formulieren, aber das geht mit dem Grundgesetz nicht.“
2. Der Bundestag ist nicht nur eine Ansammlung von faulen Säcken und Legasthenikern, sondern zudem und in jedem Falle ein Parlament.
„Die Bürger der Bundesrepublik sollen nicht eines Tages aufwachen und feststellen, dass die Parlamentarier, die sie gewählt haben, nichts mehr zu entscheiden haben.“
Stattdessen wachen sie heute auf und müssen sich jetzt endlich fragen, wer diesen Haufen da eigentlich gewählt hat. Irgendein jammervolles „ach Gott ja, und jetzt kommen doch die und die und es hat ja alles keinen Zweck nich´“ ist überflüssig.
3. Wie Vosskuhle an diesem Donnerstag, dem 1. März, noch einmal klarstellte (es soll Leute in diesem Land geben, die sich standhaft weigern lesen zu lernen und deshalb gern vorgelesen haben möchten) garantiert Artikel 20 Grundgesetz das Demokratieprinzip. Soll heissen: das Budgetrecht als das „Zentralrecht der politischen Willensbildung der Volksvertretung“, das keinen „finanzwirksamen Mechanismen“ ausgeliefert werden darf, die zu „unüberschaubaren Belastungen des Bundeshaushalts führen“. Wie dem „Europäischen Stabilierungsmechnanismus“ (ESM) und anderen internationalen Organisisationen, um nur ein Beispiel zu nennen.
4. Das Grundgesetz gebietet eine „europafreundliche, auf verstärkte europäische Integration zielende Politik“. Zerstörung europäischer Nachbarländer, auch die des eigenen, zählt nicht dazu – auch nicht für gierige und skrupellose Kapitalisten und ihre kleinen DienerInnen in Koalition, „Opposition“ oder Kanzleramt. Darüber wacht das Grundgesetz und als ausführendes Verfassungsorgan das Bundesverfassungsgericht mittels „Identitäts-Kontrolle“ des Kerngehalts unserer Verfassung.
5. Weiterhin hat jeder Staatsbürger der Republik das Recht dies in Karlsruhe einzuklagen.
6. In Karlsruhe einzuklagen. Und damit Entscheidungen des im Zweifel untergeordneten „Europäischen Gerichtshofs“ EuGH aufheben zu lassen.
Dieses Statement des Präsidenten vom Bundesverfassungsgericht ist neu und berührt eine entscheidende Frage, vor der sich die Verfassungsrichter in Karlsruhe bisher gedrückt haben: die Höherrangigkeit des Grundgesetzes gegenüber jedem EU-Recht, also allen Verordnungen und Direktiven der Regierungen im Staatenbund und ihrer in Brüssel gebildeten Räte. Vosskuhle stellte dazu fest:
„Die Herrschaftsgewalt der EU ist eine von souveränen Mitgliedsstaaten abgeleitete Gewalt.“
Wenn also „eine EU-Institution“, wie etwa der „Europäische Gerichtshof“ (EuGH) im Rahmen etwas „tue, dass seine ihm übertragene Kompetenz überschreitet“, stelle dies einen verfassungsrechtlich „ausbrechenden Rechtsakt“ dar und könne durch das Bundesverfassungsgericht auf dem Wege der „Ultra-vires“-Kontrolle gestoppt werden. Um nur ja keinen Präzedenzfall zu beschwören, fand der Präsident des Verfassungsgerichts gleich einen und zwar im – das werden sicherlich die Meisten konstatieren – europäischen Tschechien. Das dortige Verfassungsgericht hatte mit dem Nachlesen der eigenen Verfassung nicht so lange gebraucht wie andere europäische Europäer nebenan und eine Entscheidung des EuGH schlicht als „für Tschechien nicht anwendbar“ erklärt.
Montag Morgen, im Jahre 2012. Über Berlin geht gerade ein Licht auf. Vielleicht sogar in Berlin.
(…)
zum Thema:
01.07.2009 Wir sind Souverän
Die Bedeutung des Urteils zum Lissabon-Vertrag durch das Bundesverfassungsgericht wird der neuen Berliner Republik erst langsam bewusst werden.