Florenz: Pro-demokratische Proteste gegen Schäuble-Besuch im Europäischen Hochschulinstitut
Italien: „Wir sind alle P.I.I.G.s“,“Europa ist nicht Sudoku“ – Hochschüler am European University Institute EUI in Fiesole bei Florenz protestierten gestern gegen „die Anwesenheit eines der Architekten des sozialen Gemetzels, das gerade die Leben von Millionen europäischer Bürger zerstört“: den Besuch des Finanzministers von Deutschland, Wolfgang Schäuble.
Seit den Zeiten der westeuropäischen „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ EWG (1957-2009, ab 1992 „Europäische Gemeinschaft“) ist das internationale Europäische Hochschulinstitut bei Florenz eine Vorzeige-Lehreinrichtung. Für den „Pro-Europäer“ und überzeugten Gegner der souveränen europäischen Demokratien auf dem Sessel des mächtigsten Finanzministers der Welt war das, was sich da gestern anlässlich seines ehrenwerten Besuchs in der EUI abspielte, eine Katastrophe.
Schon bei der Anfahrt und dem Betreten des Veranstaltungsraumes bekam Wolfgang Schäuble von den internationalen Hochschülern aus den Ländern Europas im italienischen Fiesole laute Buhrufe und das alte Partisanenlied gegen die deutsche Besatzung „Bella Ciao“ zu hören. Dieser Begrüßung folgten beim anschließenden Vortrag Schäubles über die Zukunft Europas, die er offenkundig mit seiner eigenen verwechselt, jede Menge deutlicher Fragen.
Dutzende der Hochschüler trugen Schweinemasken, mehrere spannten Transparente auf – „Europa ist nicht zu verkaufen“, „Schluss mit den Sparprogrammen“ („austerity“), „Wir sind alle P.I.I.G.s“, „Europa ist nicht Sudoku“. In einer englischsprachigen Erklärung von Hochschülern des European University Institute hieß es dazu:
„Als Forscher und Arbeiter der EUI, einer in jedem Sinne europäischen Institution, können wir in der Anwesenheit eines der Architekten des sozialen Gemetzels, das gerade die Leben von Millionen europäischer Bürger zerstört, nicht einfach ruhig daneben stehen. Wir sehen gegenwärtig die Mechanismen dieser Zerstörung: Einschnitte bei Bildung, Gesundheit und Wohlfahrt; Angriffe auf Arbeiterrechte; die Einschränkung demokratischer Souveränität und das Übergehen von Parlamenten in Ehrerbietung vor dem Willen von Finanzinstitutionen. Wie kann Schäuble uns einen Vortrag von Europa und seinen „Perspektiven“ halten, während hinter der pro-europäischen Rhetorik in Wirklichkeit Sparprogramme („austerity“, wörtlich: Einschränkungen) den Kontinent und seine Menschen weiter auseinander reißen, in einem Rennen den Abgrund hinab, das uns Europäer ärmer und schwächer macht? ..
Das ist etwas, auf das die neoliberale Rechte und die transnationalen Finanzeliten seit Jahrzehnten gewartet haben: die Chance diese Art von extremen anti-sozialen Maßnahmen gesellschaftlich akzeptabel zu machen, die unter anderen Umständen als die Hirngespinste von Ideologen am Rande der Gesellschaft angesehen würden. Dinge wie das Verbot von Defizitausgaben in die nationalstaatlichen Verfassungen zu schreiben, das Demolieren gemeinsamer Tarifrunden und die Privatisierung von Bildung, Gesundheit und Wohlfahrt.„
Die wütenden Zuhörer im Hörsaal, die Schäuble bei seinem Vortrag immer wieder unterbrachen, erklärten sich solidarisch mit den Staatsbürgern der europäischen Demokratien Griechenland, Italien, Spanien und Portugal, den Ländern, die unter Maßnahmen zu leiden haben, die ihnen die ferngesteuerte Regierung der Republik Deutschland im Duett mit der Frankfurter Zentralbank und dem internationalen Finanzkartell aufgezwungen hat.
Aus einer deutschsprachigen Erklärung von pro-demokratischen EUI-Hochschülern:
„In Frankreich, in den Niederlanden und zweifach bereits in Irland wurden Volksabstimmungen ignoriert. Auf eklatante Weise sichtbar wurde der Verfall der demokratischen Standards schließlich aber in den entrüsteten Reaktionen auf den Versuch der griechischen Regierung, einen Volkentscheid über den dem Land auferlegten finanziellen Würgegriff herbeizuführen. ..
Wir sind der Ansicht, dass ein anderes Europa möglich ist. Wir weisen die von Märkten und Ratingagenturen gepredigten unausweichlichen Notwendigkeiten zurück. Wir weisen die apokalyptischen Drohungen des Finanzsektors zurück, die jetzt auf pathetische Weise von dessen politischen Lakaien quer über den Kontinent verbreitet werden.
Europa ist das Europa seiner BürgerInnen und nicht das einer selbsternannten und fundamental anti-demokratischen Elite. Unser Europa wird wieder auf den Grundwerten von Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit und Solidarität begründet sein – verteidigt von gewählten, rechenschaftspflichtigen und wahrhaft demokratischen politischen Institutionen.“
Das Rausreden des Finanzministers von Deutschland, der sich in seinem Feldzug gegen die europäischen Demokratien schon als Innenminister Deutschlands (2005-2009) auf seine Antidemokraten in der „Sozialdemokratischen Partei Europas“ (Pasok, SPD) und die „Europäische Grüne Partei“ (Bündnis 90/Die Grünen, etc, pp) verlassen konnte, las man nachher u.a. in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die den Protest der Hochschüler des europäischen Vorzeigeprojektes zynisch zu „schweinisch“ erklärte. Auch die die griechische „Kathimerini“ biss nicht die Hand, die ihre Banken fütterte.
Schäuble beendete übrigens bereits vorgestern einen langen Tag. Vor seinem Besuch im Europäischen Hochschulinstitut hatte sich der gefährlichste Antidemokrat Europas am Dienstag in einer Privataudienz noch schnell den verdienten Segen des Papstes geholt, den als Ministerpräsidenten eingesetzten Mario Monti besucht (einem Vorstandsmitglied der Bilderberg-Konferenz und Mitglied der Trilateralen Kommission), sowie seinen erprobten Landser Giorgio Napolitano im Präsidentenpalast, der persönlich dafür gesorgt hatte, daß bisher alle auf einander aufbauenden und stetig eskalierten Spardiktate gegen Italien erfolgreich durchs Parlament gepeitscht wurden.
Von pro-demokratischen Protesten in Deutschland wie denen im European University Institute EUI in Fiesole ist leider derzeit nichts bekannt.