Mehr Kontinent geht nicht, Herr Präsident

Eine kleine Replik zur Rede von Joachim Gauck nach seiner Vereidigung im Parlament zum Präsidenten der Republik.

Herr Bundespräsident, Sie stellen heute im Bundestag zu Anfang Ihrer Rede eine Reihe von Fragen.

„Wie soll es nun aussehen, dieses Land, zu dem unsere Kinder und Enkel „Unser Land“ sagen sollen?
Vereinzeln wir immer weiter?
Geht die Schere zwischen arm und reich immer mehr auseinander?
Verschlingt uns die Globalisierung?
Werden Menschen, die sich als Verlierer fühlen, an den gesellschaftlichen Rand gedrängt?
Schaffen ethnische oder religiöse Minderheiten in gewollter oder beklagter Isolation Gegenkulturen? Hat die europäische Idee Bestand?
Droht im Nahen Osten ein neuer Krieg?
Kann ein verbrecherischer Fanatismus in Deutschland wie in anderen Teilen der Welt weiter friedliche Menschen bedrohen, einschüchtern, ermorden?“

Herr Präsident, ich gehe davon aus, daß in dieser Welt immer wieder Regierungen auf die dumme Idee kommen werden den Militärs ihrer Länder den Angriff auf einen anderen Staat zu befehlen. Zur Zeit hält sich diese Republik, nach Vorbild ihrer Großväter (vielleicht mittlerweile Urgroßväter), immer noch eine Besatzungszone in Zentralasien als kleines Landgut im „breiten Mittleren Osten“. Insofern ist Ihre letzte Frage mit Ja zu beantworten.

Ob nun wieder demnächst irgendeine Regierung mit dem Ungeist von Fanatikern, Terroristen und Mordgesellen auf die Idee kommt, in Asien oder Afrika ein neues Massaker durch einen Angriffskrieg anzurichten, müssten Sie eigentlich wissen, wenn Sie Zeitung lesen: erst gestern vereinbarten die „Verteidigungsminister“ der Mitgliedsstaaten des Staatenbundes „Europäische Union“ Luftangriffe auf das Territorium von Somalia, bzw seiner seit 1991 de facto unabhängigen Teilstaaten Puntland und Somaliland.

Und heute haben das die Außenminister des EU-Staatenbundes entschieden, heisst es. Das haben sie natürlich nicht. Entscheiden über einen weiteren Angriffskrieg Deutschlands in Afrika an der strategisch wichtigen Meerenge zu Asien wird das schlechteste Parlament der Welt; nämlich das, vor dem Sie gerade gesprochen haben. Dessen Abgeordnete werden natürlich zustimmen und erst hinterher sagen, daß sie nicht wussten was sie taten und so tun, als hätten sie im Leben nie von dem Angriff Äthiopiens auf Eritrea vor einer Woche gehört – zur Selbstverteidigung, natürlich. Wann was das jemals anders?

Auch von der derzeitigen Besatzungkrieg Äthiopiens in Somalia, und der seit Januar auf 18.000 Soldaten aufgerüstete Besatzungsarmee der „Afrikanischen Union“ wird dann niemand etwas wissen wollen. Auch nicht, warum 12.000 von der Bundeswehr, US-Spezialeinheiten und anderen pro-europäisch-amerikanisch-asiatischen Abendländern ausgebildete Milizionäre der „Übergangsregierung“ Somalias urplötzlich verschwinden und zu genau den terroristisch-islamistisch-fundamentalistischen „Al Shahab“-Milizen überlaufen, für deren Bekämpfung sie angeblich ausgebildet wurden. Vom Gut-Glück-Jonathan Nigerias (dessen Geheimdienst SSS von gewissen asiatischen Sturmtruppen ausgebildet wird), der just gestern zur Somalia-Konferenz besorgter Abendländer in London aufkreuzt (während in Nigeria Euroländer mit Rentenansprüchen sauer aufstoßen) mal ganz zu schweigen.

Fragen über Fragen, Herr Präsident. Aber mal ehrlich – wer will denn das wissen? Sowas macht doch nur Falten.

Ob die Europäische Idee Bestand hat, obwohl ihre Apologeten antidemokratische Gegenkulturen in allen etablierten Parteien quer über den Kontinent entwickelt haben? Sicher. Die Idee des Sozialismus, um nur ein Beispiel zu nennen, hat sogar die Sowjetunion überlebt, da wird die Europäische Idee wohl auch die Europäische Union überleben.

Aber mal zum Punkt. Quasi zum imaginären festen Punkt in der Luft von Ehrenlogen seit 20 Jahren: dem Zeppelin „Europa“ über der Ordnung einer ach so schönen neuen Welt, die wir seit der weltweiten Ausdehnung eines unkontrollierten Finanzkartells ab 1990 (a.k.a. „Globalisierung“) erleben durften.

Wissen Sie, Mr. President, „mehr Europa“ gibt´s nicht. Da können Sie noch so sehr mit den Händen rumfuchteln und die Kanzlerin kleine Pyramiden mit den Händen schmieden. Mehr Kontinent gibt es nicht. Das ist eben eine Frage der Bildung, das zu verstehen und nicht der Einbildung von Neo-Sophisten. Aber gut, wir wollen Sie ja nicht überfordern, sonst fallen Sie im Taumel der Erkenntnis noch von der Atlantikbrücke. Wie schrieb es das „Handelsblatt“ heute so schön?

„Gauck ist kein Übermensch. Er ist ein brillanter Rhetoriker.“

Man kann es eben nicht allen rechtmachen. Mein Gott, von welcher Brücke könnte ich eigentlich fallen? Es gibt eben auch Vorteile Teil der Unterschicht vom Deppendorf Berlin zu sein. Da weiß man solche fürsorgliche Hinweise aus dem Reichstagsgebäude immer zu schätzen:

„Gerade in Krisenzeiten ist die Neigung, sich auf die Ebene des Nationalstaats zu flüchten, besonders ausgeprägt. Das europäische Miteinander aber ist ohne den Lebensatem der Solidarität nicht gestaltbar. Gerade in der Krise heißt es deshalb: Wir wollen mehr Europa wagen. Mit Freude sehe ich, dass die Mehrheit der Deutschen diesem europäischen Gedanken wieder und weiter Zukunft gibt.“

Da ich, quasi von Natur aus, stets (und auch im Privatleben) immer nur die Nähe professioneller Ureinwohner gesucht habe, treffen mich ihre Freude über gedankliche Mehrheiten und weisen Worte wie ins Mark. „Das europäische Miteinander aber ist ohne den Lebensatem der Banken nicht gestaltbar.“ Uups, was so ein kleines Wörtchen hi und da doch für einen Unterschied machen kann, was? „Wir wollen mehr Europa wagen“. Man sieht sie mit Interkontinentalzangen am Erdball rumbasteln, unter lautem Gefluche und Gebete an irgendeine Beraterstube. „Oh mein Kontinent, warum hast Du mich verlassen und bist immer noch da? Ich will aber hier sein.“

„Die Völker ziehen in die Richtung der Freiheit. Ihr werdet ihren Zug vielleicht behindern, aber endgültig aufhalten könnt ihr ihn nicht.“

Worauf ich ganz besonders stehe, ist Leuten bei Selbstgesprächen zuzuhören und aus dieser ab sofort einzigen glaubwürdigen Erkenntnisquelle meine Schlüsse zu ziehen. Sie auch? Nein? Ihre kleinen Freiheitsdiener vielleicht?

Nun, Mr. Präsident, Freiheits- und Demokratielehrer sind ja nicht immer beliebt. Man denke da mal an Fahrlehrer. Was die rumschnauzen müssen, damit die Trottel nicht gegen die Wand fahren oder wenigstens den ersten Gang finden. Anschließend rockern die lieben Schüler dann ihr Leben lang über die Autobahn und lassen sich zeitlebens vom Fahrlehrer die Richtung vorgeben, weil sie so dankbar sind, halt, Moment mal, jetzt stimmt was nicht, wie war das…hmmmm…

Schlussfolgern wir also, Herr Präsident: Mehr Demokratie wurde vor ihnen gewagt, wird jetzt gewagt und wird es auch in Zukunft. Und zwar auch in Deutschland, Herr Gauck, im souveränen Deutschland. Aber danke, daß wir mal drüber geredet haben, auch über das mit dem Kontinent. Mehr wird der nicht, Herr Gauck. Wirklich nicht. Und immer auf die Vorfahrt achten.

Weiterfahren.