Schlimmer als Neusprech: 50 neue Tabu-Wörter an New Yorker Schulen
„George Carlin is rolling over in his grave.“
Während sich dystopische Zukunftsromane oft mit dem Verdrehen der tatsächlichen Zustände durch begriffliche Veränderungen beschäftigen oder die verflossenen Zeiten meist nur durch die Sichtweise der Sieger überliefert wurden, geht man im 21. Jahrhundert in den USA noch ein Stück weiter und versucht im Bildungswesen eine Manipulation, die ihresgleichen sucht.
Was die Behörden in New York im Schilde führen ist das Gegenteil eines freiheitlichen, demokratischen Verständnisses und spottet jeder Beschreibung. Es ist ein Angriff auf die menschliche Vernunft, die Lebensfreude, Kreativität und natürliche Entwicklung zur Reife.
Unter dem Deckmantel des psychischen Schutzes der Schüler ist von einigen Verfechtern der Irrationalität geplant, fünfzig Alltagsbegriffe aus dem Leben in Unterrichtstexten zu sperren. Die Begründungen dafür sind haaresträubend und sollen angeblich keine Angriffsflächen für unangenehme Assoziationen bieten.
Beamte der New Yorker Schulbehörde fordern die Streichung von fünfzig Wörtern aus den standardisierten Tests für die Schüler.
CBC New York veröffentlichte am 26. März 2012 mit dem Einleitungssatz „George Carlin is rolling over in his grave – George Carlin dreht sich im Grabe um“ die ungeliebten Kandidaten und lieferte dazu die passenden Erklärungen für die Entfernung aus dem Wortschatz durch die Bildungsbehörde.
Die uralten „Dinosaurier“ sind wegen der Empfindlichkeiten der Kreationisten zu der Ablehnung der „Evolutionstheorie“ zu vermeiden und der schönste Tag im Leben eines heranwachsenden Menschen, der „Geburtstag“ oder die „Geburtstagsfeier“ könnte wiederum den Kindern der Zeugen Jehovas psychisch schaden, die diesen Tag gemäss ihrer Glaubenslehre nicht feiern können. Überhaupt sollen Themen über „Religion“ und „religiöse Feste“ aus den Schulbüchern verschwinden.
Hoch- und weniger prozentiger „Alkohol“ wie „Schnaps“ und „Bier“ sowie „Tabak“ und „Drogen“ gehören nach Meinung der Experten eben so wenig in das Repertoire der New Yorker Leistungstests. Präventive Arbeit in der Schule zur Suchtgefahr wird somit erschwert.
Profanes „Tanzen“ soll auch herausgestrichen werden ausser „Ballett“ – die Stadt machte eine Ausnahme für diese Form des verfeinerten Tanzausdrucks – möglicherweise ein Zugeständnis an das New York City Ballet, das Institut für Choreografie und die Hochschule für amerikanisches Ballett.
„Rap-“ und „Rock and Roll„-Musik zählen ebenso zu den Tabus – warum nicht gleich die Musik im Ganzen verbieten? Vermutlich fürchtet man die gesellschaftskritischen oder frech-fröhlichen Texte dieser Genre.
„Halloween“ als ein ursprünglich heidnischer Brauch geht mit Rücksicht auf die gottesfürchtigen Gemeindemitglieder auch nicht mehr obwohl der Kommerz in der Film-, Nahrungs- und Gebrauchsgüterindustrie wochenlang werbewirksam auf die fröhlichen Parties mit Kürbisgesichtern, Fledermäusen und Hexenhüten angekurbelt wird und Millionenumsätze mit diversen Utensilien umgesetzt werden. Es versteht sich von selbst, dass die Begriffe „Hexerei„, „Zauberei“ und ähnliche Synonyme ebenfalls aus dem Vokabular getilgt werden sollen.
Es ist anzunehmen, dass aus politisch-sozialen Motiven heraus in den Schultexten „Armut„, „Obdachlosigkeit„, „Arbeitslosigkeit“ „Häuser mit Swimmingpools„, „Teure Geschenke„, „Urlaub“ und „Preise“ aus dem Blickfeld der Schüler in der Schule verschwinden sollen um die zunehmende Kluft zwischen arm und reich in den USA wenigstens an diesem Ort für nicht existent zu erklären.
„Junk Food“ ist ein weiteres heisses Eisen was gestrichen werden soll. Die industrielle Massenverarbeitungsindustrie lässt hier herzlich grüssen. Es grenzt an ein Verbrechen an der Gesundheit der jungen Generation, das Thema der gesunden Ernährung dadurch vom Tisch zu wischen.
Traumatisches Material – einschliesslich Material, das als besonders störend wie „Tierheime“ eingeordnet werden kann – stehen zur Disposition. Während in Deutschland Aufklärungsarbeit über Tiere als Geschenke geleistet wird, die durch mangelnde Pflegemöglichkeiten und kein artgerechtes Halten letztendlich in Heimen landen oder über die Massentierhaltung ausführlich recherchiert wird, sollen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten auf diese Weise kritiklose neue Konsumenten herangezogen werden.
Dazu passen auch ganz nach Orwellscher Manier, dass es keinen Diskussionsstoff über „Krieg„, „Blutvergießen„, „Waffen“ (Pistolen, Messer) geschweige denn „Atomwaffen“ in den Klassenräumen New Yorks geben soll. Die Rüstung, Atomwaffenarsenale, Kriege und Interventionen der Vereinigten Staaten von Amerika werden hier ausgeblendet und nicht mehr thematisiert, auch können so die Textaufgaben über Konflikte in anderen Ländern vermieden werden.
Weitere Wörter der Liste, die darauf schliessen lassen, das eine unselbstständige manipulierbare Generation ohne Bildung des Geistes und des Herzens erzogen werden soll:
„Politik“
„Glücksspiel mit Geld“
„Scheidung„,
„Krebs“ und andere Krankheiten,
„Tod“
„Jagd“
„intensive Gespräche über Sportarten, die Vorkenntnisse erfordern“,
„Okkulten Themen“ (Wahrsagerei), „Parapsychologie“
„Pornographie“
„Weglaufen“
„Funktionen des Körpers“
„Kinder mit ernsthaften Belangen“
„Feiern“
„Sex“
„Sklaverei“
„Terrorismus“
„Katastrophen/Desasters“ (Tsunamis und Hurricans)
„Fernsehen und Videospiele“ (exzessiv)
„Ungeziefer“ (Ratten und Kakerlaken)
„Gewalt“
„Computer zu Hause“ (akzeptabel in Schule und Bibliothek)
Die Schule als Hort der heilen Welt, wo es keine Auseinandersetzung mit den sozialen Aspekten der Gesellschaft mehr gibt und keine Diskussionen im Unterricht aufkommen können.
Anstatt die Kinder und Jugendlichen wie vorgegeben vor den Widerwärtigkeiten des Lebens zu beschützen werden sie durch das Weglassen dieser gesellschaftlichen Themen unwissend gehalten, soziale Kompetenz kann nicht entstehen und trainiert werden.
Dass, was den Menschen ausser seinem Intellekt noch ausmacht, die Emotionen – all das soll nach dem Willen der Verantwortlichen verkümmern. Solche Menschen ohne Verantwortungsbewusstsein sind keine Gefahr für das System.
„Ich halt sie dumm, halt du sie arm“
dieser Text von Reinhard Mey erlangt in dem neuen New York der Erziehungswissenschaft eine neue schauerliche Bedeutung.