Die Preisträger des BigBrotherAward 2012
Der Livestream zur diesjährigen Verleihung der BigBrotherAwards. And the Winner is…
„Datenkraken zittern mit allen Fangarmen, Firmen setzen ihre Pressesprecher in Alarmbereitschaft und Vorsitzende die Unschuldsmiene auf“, so hieß es schon vor Tagen in heller Vorfeude beim „Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e. V.“. Der in den 80er Jahren in Westdeutschland gegründete Bürgerrechtsverein, den eigentlich alle nur FoeBud nennen, verleiht seit der Jahrtausendwende die „BigBrotherAwards“ an die größten Datenkraken und Spione in der Berliner Republik.
Verliehen werden die BigBrotherAwards, in Anlehnung an den allgegenwärtigen Diktator „Großer Bruder“ aus George Orwells Roman „1984“, alljährlich durch eine Jury aus Mitgliedern des FoeBuD, der Deutschen Vereinigung für Datenschutz (DVD), dem Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF), dem Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft (Fitug), dem Chaos Computer Club (CCC), der Humanistischen Union (HU) und der Internationalen Liga für Menschenrechte (ILMR),
Am heutigen Freitag, dem 13. April, ist es nun wieder einmal soweit. Die Vorfreude vor der Verleihung in Biefefeld war nicht untertrieben – die diesjährigen Gewinner bilden einen wahren Potpourri der Prominenz aus Exekutivstaat, Informationsindustrie und spionage-technischem Komplex.
In der Kategorie „Behörden und Verwaltung“ ging der „Big Brother“ an den Innenminister von Sachsen, Markus Ulbig (CDU). In der Begründung der Jury hiess es:
„Nachdem am 19. Februar 2011 in Dresden 20.000 Menschen gegen einen Nazi-Aufmarsch. demonstriert hatten, forderten das Landeskriminalamt und die Polizei in Dresden die Telekommunikationsverbindungsdaten für 28 Funkzellen an, die Masse davon aus dem örtlichen Bereich des Versammlungsgeschehens. Bald tauchten die erhobenen Daten in Strafverfahren auf, für die man sicher keine Funkzellenabfrage genehmigt bekommen hätte. Der Preisträger verteidigt den ausgelösten Daten-Tsunami von über einer Millionen Datensätze zu inzwischen mehr als 55.000 identifizierten Anschlussinhaberinnen und -inhabern bis heute als rechtmäßig.“
Ein Minister spioniert selten allein. In der Kategorie „Politik“ ging der hochdotierte Preis (jede Menge Aufmerksamkeit ansonsten apathischer Mitbürger und Boulevard-Fritzen) an unser aller Schätzchen im Bundesinnenministerium, Hans Peter Friedrich (CSU). Die Jury:
„Der BigBrotherAward 2012 in der Kategorie „Politik“ geht an Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU) für die Einrichtung eines Cyber-Abwehrzentrums ohne Legitimation durch den Bundestag, für die Einrichtung eines Gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus (GAR), ebenfalls am Parlament vorbei, sowie für den Plan, alsbald eine gemeinsame zentrale Verbunddatei „gewaltbezogener Rechtsextremismus“ zu errichten. Mit der geplanten Verbunddatei und den neuen Abwehrzentren werden Polizei, Geheimdienste und teilweise das Militär auf problematische Weise vernetzt und verzahnt – unter Missachtung des historisch begründeten Verfassungsgebotes, nach dem diese Sicherheitsbehörden strikt voneinander getrennt sein und getrennt arbeiten müssen.“
Seit Friedrich in eben jener Verantwortung ist, mit innerer Sicherheit ein wachsames Auge über seine Untertanen zu werfen – wie ehedem so große Namen wie Arthur von Posadowsky-Wehner, Adolf Köster oder Wolfgang Schäuble – und wo der Kollege Innenminister schon mal bei der CSU ist, dürfte ihm der Name der Münchner Gamma Group irgendwie bekannt vorkommen. Schließlich sorgt man sich im BMI, rein traditonell, schon immer auch um das Wohl der lieben Kollegen in Nah und Ost. Die Jury zum Preisträger der Kategorie „Technik“:
„Den BigBrotherAward 2012 in der Kategorie Technik erhält die deutsche Niederlassung der Gamma Group in München für ihre Software „FinFisher“. Gamma wirbt damit, dass Sicherheitslücken in itunes und Skype genutzt werden, um z.B. per gefälschten Updates Spionagesoftware auf andere Rechner einzuschleusen und über ihre Software „FinSpy Mobile“ auch auf Blackberrys zugreifen zu können. Gamma-Software wird an Geheimdienste und staatliche Institutionen im In- und Ausland verkauft. Gefunden wurde sie zum Beispiel bei der Erstürmung der Kairoer Zentrale des ägyptischen Geheimdienstes durch Bürgerrechtler.“
In der Kategorie „Kommunikation“ verlieh die Jury den „Big Brother“ allgemein an das Cloud-Datensystem, als einem Trend Trend, Nutzerinnen und Nutzern die Kontrolle über ihre Daten zu entziehen. Die Jury:
„Wer Adressbücher und Fotos – und damit die Daten anderer Menschen – oder Archive, Vertriebsinfos und Firmeninterna unverschlüsselt in den undurchsichtigen Nebel der Cloud verlagert, handelt mindestens fahrlässig. Fast alle Cloud-Anbieter sind amerikanische Firmen – und die sind laut Foreign Intelligence Surveillance Act verpflichtet, US-Behörden Zugriff auf alle Daten in der Cloud zu geben, auch wenn sich die Rechnerparks auf europäischem Boden befinden. Das 2008 vom Bundesverfassungsgericht postulierte Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme wird damit eklatant verletzt.“
In der Kategorie „Verbraucherschutz“ erhielt mit Blizzard Entertainment ein US-Konzern den „Big Brother“, dessen Konzernmutti Activision Blizzard mehrheitlich der Übermutti Vivendi mit Sitz in Paris gehört, welche im Jahre 1853 als „Compagnie Générale des Eaux“ von Staatsvati Kaiser Napoleon III per Dekret geschaffen wurde, um noch heute so viel Gutes zu bescheren. Vivendi gehört u.a. die Universal Music Group, eine der vier Plattenfirmen, die zusammen als Monopol die Musikindustrie Deutschlands beherrschen – natürlich nur zu unserem Besten. Insofern ein hochverdienter Preis auch für die vielen Nebendarsteller in den Verflechtungen von Informations-, Spiele-, Musik- und Filmindustrie.
„Der BigBrotherAward 2012 in der Kategorie „Verbraucherschutz“ geht an die Firma Blizzard Entertainment für diverse Datenschutzverletzungen bei ihren Online-Spielen (z.B. World of Warcraft). Aus der protokollierten Spieldauer, erhobenen Rechnerdaten, dem Abgleich von Freundeslisten und dem Spielerverhalten (z.B. wie hat jemand eine bestimmte Aufgabe gelöst) lassen sich Persönlichkeitsprofile und Charakterstudien erstellen. Für eine entsprechende Auswertung wurde bereits 2007 ein US-Patent eingetragen – auf einen wissenschaftlichen Mitarbeiter von Google. Stück für Stück werden die Methoden zur Datenklauberei in den endlosen Nutzungsbedingungen immer weiter ausgeweitet. Viele Informationen über die Spieler und Spiel-Charaktere sind im Netz von jedermann öffentlich einsehbar. Immerhin: Der Versuch, den Zwang zu öffentlichen realen Klarnamen einzuführen, wurde durch Spielerproteste verhindert – noch.“
Wie beruhigt man nun Raubtiere? Natürlich – man füttert sie. Deshalb hören wir auch täglich auf allen Kanälen in Liveschaltungen von den Geldmärkten, daß diese gefälligst beruhigt werden wollen (und zwar dalli, dalli).
Und wie beruhigt man Geheimdienste? Man füttert sie mit Daten. Und zwar gleich mit denen von allen. Nur zur Beruhigung. Es könnte ja irgendjemand was Verbotenes machen. Zum Beispiel illegal die ganze Bevölkerung ausspionieren.
Wie beruhigt man die Arbeitenden in der Republik? Immer schlechter. Man muss es ja auch nicht besser – schließlich gibt es zur Beruhigung ja die Gewerkschaften. Aber auch die wollen beruhigt werden. Und natürlich von den Arbeitenden. Falls man nun aber bestimmte Arbeitende, z.B. immer noch beunruhigte Betriebsräte, nun doch spezialberuhigen muss, greift man bei den Bossen auf ganz besondere Beruhigungsmaßnahmen zurück. So zum Beispiel durch (gelöscht) Aktivitäten der Firma Bofrost. Womit wir zum BigBrotherAward in der Kategorie „Arbeitswelt“ kommen.
(Anm. d. Red.: Laut Aussage der Impact Agentur für Kommunikation gegenüber der Redaktion von Radio Utopie gegen 19.25 Uhr unterschrieb im Laufe des heutigen Mittags der Foebud eine Unterlassungserklärung. Dieser zufolge verpflichtet sich der Foebud, die Erklärung, warum er der Firma Bofrost den BigBrotherAward verlieh, nicht weiter verbreiten zu wollen. Dementsprechend haben wir die zuvor veröffentlichten Passagen wieder gelöscht.)
Früh übt sich, wie der Weise zu sagen pflegt. Was liegt da näher, als schon den Knirpsen der Republik gleich mal zu zeigen, wo der Vaterkonzern den Chip gelassen hat. Einfach Wasser trinken? Könnte ja jeder kommen. Die Jury zum BigBrotherAward für die Firma Brita GmbH in der Kategorie „Wirtschaft“:
„Der BigBrotherAward 2012 in der Kategorie Wirtschaft geht an die Firma Brita GmbH für ihre kostenpflichtigen Wasserspender in Schulen, die unter dem Namen „Schoolwater“ vermarktet werden. Diese Geräte geben nur dann Wasser ab, wenn ein Kind es mit einer mit einem RFID-Funkchip verwanzten Flasche abzapft. Auf die Gefahren von Funkchips, die man berührungslos auslesen kann, ohne dass der/die Träger/in das bemerkt, haben wir in den vergangenen Jahren wiederholt hingewiesen. Dieses Wasserflaschen-System zeigt in besonders eklatanter Weise den Versuch, Übertechnisierung, Überwachung und Bevormundung schon im frühen Kindesalter zu etablieren. Außerdem kritisieren wir mit unserer Preisvergabe, dass damit Leitungswasser zu einem teuren, exklusiven Lebensmittel gemacht wird, anstatt es Kindern in der Schule als allgemeine Gesundheitsvorsorge unbegrenzt zur Verfügung zu stellen.“
Zu den Hintergründen und Motiven der Verleihung der BigBrotherAwards äußert sich der 1987 gegründete „Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e. V.“ wie folgt:
„Verdatet und verkauft: die Demokratie
Eine Informationsverarbeitung, bei der die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr wissen, an welcher Stelle welche Daten über sie gesammelt werden, beeinträchtigt nicht nur ihre individuellen Persönlichkeitsrechte; sie ist auch mit dem demokratischen Rechtsstaat unvereinbar. Denn: Ein Mensch, der ständig beobachtet, registriert, vermarktet und von speziell auf ihn abgestimmten Vorschlägen und Angeboten begleitet wird, verändert mit der Zeit sein Verhalten und richtet es nach den Erwartungen derer aus, die seine Daten auswerten. Individualisierte Manipulationsmöglichkeiten und faktischer Anpassungsdruck führen zu einer zunehmenden Fremdbestimmung. Damit werden Grundprinzipien unserer Verfassung – die Menschenwürde und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit – beschädigt.
Wer sich solcherart beobachtet fühlt, nimmt möglicherweise andere von der Verfassung garantierte Rechte wie freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit nicht mehr in Anspruch. So zerstört der Verlust der informationellen Selbstbestimmung die Fähigkeit zur Kommunikation und zur Partizipation. Damit geht der Gemeinschaft eine Vielfalt von Ideen, Meinungen und Talenten verloren. Und auch das Engagement für etwas, das über die eigenen Interessen hinausgeht, schwindet.
Hier geht es also keineswegs nur um private Bedürfnisspielräume, die jeder ohne Schaden für sich selbst aushandeln könnte. Zur Disposition stehen vielmehr zunehmend Grundrechte, die nicht verhandelbar sind, sondern unverzichtbar für Gemeinwohl und den Fortbestand der Demokratie.“
Verfolgen Sie also in Ruhe den Livestream des heutigen Abends, vergessen Sie, daß Sie schon die ehrenwerte Gesellschaft der PreisträgerInnen kennen und genießen Sie eine kurze Auszeit vom Dasein als Untertan des Alltags.
Sie könnten sich natürlich auch daran gewöhnen. An die Auszeit.