Der diesjährige Ticker zu den blöden Gesichtern in NRW und Berlin
Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Beiläufiges intellektuelles Geflüster zum Wahlabend.
Liebe Mitleserinnen und Mitleser der Republik. Nachdem wir schon bei unserem Ticker zur letzten NRW-Wahl so vollständig daneben lagen, wollen wir uns auch diesmal auf etabliertes politisches Terrain wagen. Viel ist heute Abend zu erwarten. In Berlin werden die Verdammten der etablierten Erde beben, samt dem hochehrenwerten Boden unter ihren Füßen. Vielleicht öffnet sich sogar die eine oder andere Spalte, wer oder was auch immer in diese fahren möge.
Zur (erfolgverspechenden) Wahl stehen diesmal mehr als die üblichen Verdächtigen. Sogar Pro-Demokraten und Freunde des Grundgesetzes sind darunter. Von entsprechenden Panikattacken in der Nomenklatura war in den letzten Tagen bereits zu berichten gewesen.
Ob auch nach diesem Volksentscheid, äh, na, dieser wahlvölkischen Parlamentszusammensetzungsdirektive die SPD-Spitzenkandidatin wieder ein paar Monate Kraft braucht, bevor sie „nicht ohne meine CDU“ schluchzend doch noch den schweren Gang zur Ministerpräsidentin antritt, darf diesmal bezweifelt werden. Schließlich traf sie bereits das harte Schicksal der Landesmutti, wenn sie es auch unter allen Umständen hatte vermeiden wollen. Fehlt eigentlich nur das Berliner Kind.
Schauen wir also mal, was der Abend so bringt. Es ist 17.50 Uhr.
Prognose ARD, 18 Uhr
CDU: 26 %
SPD: 39 %
Bündnis 90/Die Grünen: 12 %
FDP: 8.5 %
Piratenpartei: 7.5 %
Die Linke: 2.5 %
Andere: 4.5 %
Schon mal ein Klopfer, oder. Ein wenig mager für die Piratenpartei. Christian Lindner ist mit seiner Partei, die auf ihrem Bundesparteitag Grundgesetz und Bestand der Bundesrepublik Deutschland in Frage stellte, wieder im Geschäft. Hannelore Kraft bleibt Ministerpräsidentin, diesmal aber mit satter rot-grüner Mehrheit. Tja. Und der einzige linke Landesverband der Linken GmbH verliert mehr als die Hälfte ihrer Stimmen und fliegt aus dem Landtag.
Und wen interviewt die ARD? Karl Lauterbach. Dawn of the Dead.
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18.10 Uhr
Peter Altmaier, nicht nur Geschäftsführer der Geschäfte der CDU/CSU-Fraktion, sondern auch Strippenzieher der Kanzlerin, hat sich bereits mutig vor den Kameras postiert und bekundet, das Ergebnis habe „die schlimmsten Erwartungen übertroffen“.
Plötzlich Unruhe im ZDF-Fernsehstudio. Sorry, heisst es, Norbert Röttgen in Düsseldorf. Einen Augenblick lang hängt Altmaiers Unterlippe noch tiefer als sonst,
Röttgen ist zu sehen. Wachsbleich wirkt er, aber irgendwie hält ihn die Schminke zusammen. Noch im Off sagt er „So, sind wir alle da..?“. Dann:
„ein bitterer Tag … eine eindeutige, klare Niederlage … von der CDU und von mir…und sie tut richtig weh.“
Röttgen tritt als Landesvorsitzender der CDU Nordrhein-Westfalen zurück und kündet einen Landesparteitag zur Wahl eines neuen Landesvorsitzenden an.
18.15 Uhr
Aus Berlin wird Patrick Döring zugeschaltet. Der bislang so überaus glücklich und erfolgreich agierende FDP-Generalsekretärersatz für Christian Lindner muss nun erklären, warum der vor dem Wahlantritt Christian Lindners als Spitzenkandidat der FDP NRW für unmöglich gehaltene Wahlerfolg der FDP NRW nichts mit Christian Lindner zu tun hat. Er schafft es nicht wirklich.
Auch das ZDF hält sich an die Grundregel, nur Interviewgäste an den Start zu bringen, die keiner braucht. Cem Özdemir redet über Photovoltaik.
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18.21 Uhr
Ausgerechnet Sarah Wagenknecht hat die harte Aufgabe zu erklären, warum die Wähler keine Linken brauchen, die keine Linken sind. Auch sie schafft diese Aufgabe nicht wirklich.
CDU-Parteizentrale. Generalsekretär Hermann Gröhe. Es hat die Atmosphäre einer Diskothek, nachdem das letzte Lied gespielt und irgendeine unbarmherzige Hilfskraft das Licht angemacht hat. Im Hintergrund mutmaßliche Abbauhelfer mit prachtvollen Eintrittskarten um den Hals. Keiner schenkt keinem so richtig Aufmerksamkeit. Gröhe verkneift sich das Nachtreten Richtung Röttgen.
18.27 Uhr
Hannelore Kraft in der SPD-Zentrale in Düsseldorf. Jubel, Jubel, Jubel.
„Was für ein toller Abend…“
Ein vernünftiges Wort von einer SPD-Wahlgewinnerin. Das ist ein gleich in mehrfacher Hinsicht bemerkenswertes Ereignis.
Und dann – wie sie redet…Mit Ehemann und Sohn an der Seite (und nicht mit Schatzmeister und PR-Berater) dankt sie ihrem Landesverband und spricht einfach aus, was ihr gerade durch den Kopf geht. In diesem Augenblick merkt man, warum die Menschen in Nordrhein-Westfalen teilweise auch ihre Wählerinnen und Wähler sind.
„Ganz ehrlich bin ich jetzt total kaputt. Aber es ist so ein Klasse-Gefühl..“
18. 31 Uhr
Auftritt Christian Lindner. FDP-Landeszentrale. Applaus, Applaus…aber wer lungert da als Applausfänger mit herum? Guido Westerwelle. Er schmilzt dahin, während Wahlgewinner Lindner die Worte spricht:
„drei Signale…rot-grüne Schuldenpolitik nicht zugestimmt…mit Selbstbewusstsein in den Wahlkampf gegangen..aber bescheiden aufgetreten…Tradition von Lambsdorff, Genscher und Baum…“
Das klingt jetzt aber nicht schwarz-gelb.
18.39 Uhr, Hochrechnung ARD
SPD: 38,8 %
CDU: 25,9 %
Bündnis 90/Die Grünen: 12,1 %
FDP: 8,4 %
Piratenpartei: 7,6 %
Die Linke: 2,7 %
18.42 Uhr
Philipp Rösler in der Berliner FDP-Zentrale. Durch das Gemurmel im Raum sagt er: Die Menschen hören uns wieder zu. Sie vertrauen uns wieder, sagt er. Murmel, murmel, murmel.
Was für ein Schauspiel.
18.45 Uhr
Berlin: Sigmar Gabriel im Willy-Brandt-Haus. Die Nachricht des Tages: Gabriel schließt eine SPD-Kanzlerkandidatin Hannelore Kraft nicht aus.
18.49 Uhr
Frank Plasberg schafft das an diesem Tage eigentlich Unmögliche: echtes Entsetzen bei Christian Lindner. Auf Plasbergs Frage „Können Sie jetzt über Wasser laufen?“ wirft dieser den Kopf herum, ein „Neiiin..“ heraus und muss sich erstmal um den mitfühlenden Liberalismus herum sammeln.
19.00 Uhr, Hochrechnung ZDF
Fast wird es bereits langweilig. Das Ergebnis ist eindeutig.
SPD: 38,3 %
CDU: 26,1 %
Bündnis 90/Die Grünen: 12,1 %
FDP: 8,4 %
Piratenpartei: 8,1 %
Die Linke: 2,6 %
Andere: 4,4 %
In der Runde der Spitzenkandidatin gibt es dann doch eine sehr interessante Aussage: Kraft dementiert eindeutig, als SPD-Spitzenkandidatin bei der Bundestagswahl 2013 zur Verfügung zu stehen.
Sylvia Löhrmann, Grüne: Freut sich, das die Grünen das Ergebnis halten konnten, erwähnt den „neuen Mitbewerber“ Piratenpartei dabei nicht beim Namen.
Lindner, FDP: Spricht von einem „Auftrag“ für die FDP als eigentliche Partei der bürgerlichen Opposition. Bezüglich der Frage einer möglichen Kandidatur als FDP-Vorsitzender und ob er schon Anrufe aus Berlin bekommen habe, weicht er aus und sagt, man werde „einiges zu diskutieren haben“.
Joachim Paul, Piratenpartei: Nun ja. Schwacher Auftritt. Wen soll seine Aussage, die Wähler hätten einen „Schuss Chili“ ins Parlament gewählt, ansprechen? Man werde „konsruktiv“ mitarbeiten im Parlament. „In diesem Sinne werden wir liefern“, sagt er.
Dann Hannelore Kraft: „Ich bleibe in Nordrhein-Westfalen“. „Das gilt für die gesamte Legislaturperiode“. „Die Wähler haben mein Wort.“
Ein kleiner Donnerschlag. Damit sind Sigmar Gabriel, Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier wieder allein zuhaus.
Tja, und das war´s auch schon. Die Bonner Runde, seit ein paar verloren Jahren in Berlin, kann sich jeder sparen. Vielen Dank, bis zur nächsten Wahl. Was den Ticker angeht.