Menschenjagd

“WIR WERDEN kein normales Volk sein, bevor wir hier nicht jüdische Huren und jüdische Diebe haben,“ sagte unser Nationaldichter Chaim Nachman Bialik vor etwa 80 Jahren.

Dieser Traum hat sich erfüllt. Wir haben jüdische Mörder, jüdische Räuber und jüdische Huren (obwohl die meisten Prostituierten in Israel von Sklavenhändlern aus Osteuropa über die Sinaigrenze importiert werden.)

Aber Bialik war auch anspruchslos. Er hätte noch hinzufügen sollen: Wir werden kein normales Volk werden, bis wir jüdische Neo-Nazis haben.

DAS ZENTRALE Thema in den Nachrichten all unserer elektronischen und gedruckten Medien ist heute die schreckliche Gefahr der „illegalen“ afrikanischen Einwanderer.

Afrikanische Flüchtlinge und Arbeitsuchende werden aus verschiedenen Gründen von Israel angezogen, keiner der Gründe ist der glühende Glauben an den Zionismus.

Der erste Grund ist geographisch. Israel ist das einzige Land mit einem europäischen Lebensstandard, das von Afrika aus ohne Überquerung eines Meeres erricht werden kann. Afrikaner können leicht Ägypten erreichen, und dann müssen sie nur noch die Sinaiwüste durchqueren, um an die israelische Grenze zu kommen.

Die Wüste ist die Heimat der Beduinenstämme, für die das Schmuggeln eine uralte Beschäftigung ist. Ob das libysche Waffen für die Hamas im Gazastreifen sind, ukrainische Frauen für die Bordelle in Tel Aviv oder Jobsuchende aus dem Sudan – für gutes Geld werden die Beduinen sie alle an ihr Ziel bringen. Unterwegs könnten sie für Lösegeld und die Frauen vergewaltigt festgehalten werden sollen.

Die Afrikaner – hauptsächlich von Nord- und Südsudan und Eritrea – werden vom israelischen Arbeitsmarkt angezogen. Israelis haben schon seit langem aufgehört, niedrige Arbeiten zu machen. Sie brauchen Leute, die in vornehmen Restaurants das Geschirr abwaschen, die Wohnungen reinigen und die schweren Behälter auf den Märkten tragen.

Jahrelang wurden diese Arbeiten von Palästinensern aus der Westbank und dem Gazastreifen gemacht. Nach den Intifadas hat unsere Regierung dem ein Ende gesetzt. Die Afrikaner besetzen jetzt deren Plätze.

Natürlich werden sie – nach israelischer Sichtweise – mit Hungerlöhnen bezahlt, aber genug, dass die Migranten noch Geld an ihre Familien zurückschicken können. Kleine Dollar-Summen werden dort wie ein Vermögen angesehen.

Um es möglich zu machen, Geld zu überweisen, führen die Migranten ein Hundeleben. Fast alle sind Singles, eingepfercht in alte, schmutzige Häuser in den Slums von Tel Aviv und anderen Städten, sie schielen nach den lokalen Mädchen, zur Erholung betrinken sie sich.

Die israelischen Bewohner dieser Slums, die Ärmsten der Armen, hassen sie. Sie beschuldigen sie aller möglichen Verbrechen, einschließlich Vergewaltigung, gewalttätigen Streits und Mordes. Sie glauben auch, dass sie gefährliche Krankheiten, die in Israel fast unbekannt sind, einschleppen, wie Malaria und Tuberkulose. Sie sind nicht wie die Israelis nach der Geburt geimpft worden.

Alle diese Anklagen sind natürlich weit übertrieben. Aber man kann die israelischen Slumbewohner verstehen, die mit den armen Ausländern, mit denen sie keine Verbindung haben, zusammen leben müssen.

Unter solchen Umständen blüht Rassismus. Die Afrikaner werden leicht an ihrer Hautfarbe erkannt.
Die üblichen rassistischen Slogans – „sie vergewaltigen unsere Frauen,“ „sie verbreiten unheilbare Krankheiten“, „sie sind wie Tiere“ sind zahlreich, in Israel kommt noch einer hinzu: „Sie gefährden unsern jüdischen Staat“.

Alles in allem gibt es jetzt 60 000 Afrikaner in Israel, denen noch 3000 Neuankömmlinge in jedem Monat hinzugefügt werden müssen. Dann gibt es in Israel auch eine große Anzahl von (legalen)Thais, die in der Landwirtschaft arbeiten, Chinesen und Rumänen, die in der Bauindustrie arbeiten, Philippinen, die Kranken und Alten beistehen.

(Ein im Umlauf befindlicher Witz: ein alter Palmachnik – Mitglied einer vorstaatlichen illegalen militärischen Organisation – besucht ein Veteranentreffen und ruft aus: „Wow, ich wusste gar nicht, dass so viele Philippinen in der Palmach waren!“)

Mit Israels jüdischer Bevölkerung, die sich auf 6,5 Millionen beläuft und der arabischen Bürger von 1,5 Millionen, ist es leicht, die Migranten als eine schreckliche Gefahr für die Jüdischkeit des Staates darzustellen.

WIE EIN Sumpf, der Moskitos anzieht, so zieht eine solche Situation Volksverhetzer und Aufhetzer an. Wir haben genug davon.

Vor zwei Wochen brachen Unruhen im Tel Aviver Hatikva-Viertel aus, einem der betroffenen Slums. Afrikaner wurden angegriffen, Läden, die Afrikanern gehören, wurden geplündert.

Wie durch Zauber angezogen erschienen in kürzester Zeit alle wohlbekannten faschistischen Agitatoren auf der Szene, stachelten die Menge gegen die Afrikaner und die linken „Sensibelchen“ an.

Die meiste Medienbeachtung wurde einem Likud-Mitglied des Parlamentes, Miri Regev, gegeben. Ihr genügten die üblichen Schimpfnamen nicht, sie schrie, dass die Afrikaner „ ein Krebsgeschwür“ seien.

Dieser Ausdruck aus dem Goebbelschen Lexikon schockierte viele im ganzen Land. Regev ist nicht nur eine hübsche Frau, sondern auch eine frühere Chefsprecherin der israelischen Armee (vom früheren Stabschef des verheerenden Libanonkrieges Dan Halutz ernannt, an dessen Bemerkung man sich gut erinnert: wenn ich eine Bombe über einem Wohnviertel fallen lasse, „spüre ich nur ein leichtes Rütteln am Flügel“)

Regev erreichte mit ihrer Rede die Schlagzeilen und wurde mit zahlreichen TV-Interviews belohnt, in denen man sie kennen lernen konnte. Sie sprach wie einst die Fischerfrauen. (Hier ist keine Beleidigung von Fischerfrauen beabsichtigt). Sie war, um es unverblümt zu sagen, ekelhaft.

WAS DEN Ekel betrifft: ich habe ein persönliches Hobby. Jede Woche wähle ich – streng für mich – die ekelhafteste Person im israelischen öffentlichen Leben aus. Während der letzten Wochen war mein Auserwählter Eli Yishai von der orientalisch-orthodoxen Shaspartei.

Shas wird vollkommen von einer Person dominiert: Rabbi Ovadia Josef. Er stellt ein und entlässt die politische Führung der Partei. Sein Wort ist Gesetz. Als der letzte Führer wegen Diebstahl ins Gefängnis kam, brachte Rabbi Ovadia Eli Yishai von nirgendwo her.

Als Innenminister diente Yishai vor allem als Kanal für Regierungsgelder zu den Institutionen seiner Partei. In allen anderen Funktionen hat er kläglich versagt. Es geht das starke Gerücht um, dass bei seinem in Kürze herauskommenden Bericht über den Brand im Carmelwald der staatliche Rechnungsprüfer empfehlen wird, ihn wegen krasser Inkompetenz zu entlassen.

Für Yishai ist die anti-afrikanische Hysterie ein Geschenk seines Gottes. Nachdem er der Öffentlichkeit sagte hatte, dass die Migranten Kriminelle seien, die Krankheiten mit sich bringen und den jüdischen Staat gefährden, erklärte er ihnen den Krieg.

Nun ist das ganze Land mobilisiert. Jeden Tag steht die Zahl der deportierten Afrikaner über allen Nachrichten. Yishais spezielle „Immigrantenpolizei“ wird fotografiert, wie sie Afrikaner in die Polizeiwagen stößt. Yishai erscheint täglich im TV und rühmt sich seiner Leistungen.

Auf sein Drängen hin diskutiert die Knesset eine Gesetzesvorlage, die Gefängnisstrafen (fünf Jahre) plus Geldstrafe von einer halben Million Schekel ( etwa 100 000 Euro!!) für jeden, der einen „illegalen“ Arbeiter beschäftigt, vorsieht. Zum Glück wird dieses Gesetz noch bearbeitet und wird nicht bei den Frauen des Verteidigungsministers (Ehud Barak) und des Generalstaatsanwalts (Yehuda Weinstein) angewandt, die ertappt wurden, illegale Migranten in ihren Häusern zu beschäftigen. (Ihre Ehemänner wussten natürlich nichts davon.)

Am allermeisten gibt Yishai mit der riesigen Menschenjagd an, die jetzt in Gang kommt. Afrikaner ducken sich nun in ihren miserablen Wohnungen und wagen nicht, auf die Straßen hinaus zu gehen. Nachts sind sie bei jedem Geräusch hellwach, weil sie fürchten, die Immigrationspolizei könne an ihre Türe klopfen.

Problematisch ist, dass die meisten der 60 000 Afrikaner aus Eritrea und dem Nordsudan kommen, wohin die Migranten nicht zurückgeschickt werden können, weil der Oberste Gerichtshof es verboten hat. Die Rückkehr in ihr Land würde ihr Leben in Gefahr bringen. Das lässt nur die Bürger des neuen Staates Südsudan übrig, der mit der Hilfe israelischer Militärberater und -waffen befreit worden ist. Sie werden jetzt vor den Augen der Öffentlichkeit zusammen getrieben, um deportiert zu werden.

Und was ist mit den anderen? Die Regierung ist nun fieberhaft an der Arbeit, große Zeltlager in der trockenen Negevwüste, in der Mitte von nirgendwo, aufzubauen, in denen Zehntausende von Migranten drei Jahre lang festgehalten werden sollen. Das können nur unmenschliche Bedingungen sein. Da kein anderes Land bereit ist, sie aufzunehmen, werden sie dort wahrscheinlich viel länger bleiben.

Bis jetzt gibt es dort weder Wasser noch sanitäre Anlagen; Frauen und Kinder (die in Israel geboren wurden und hebräisch sprechen) werden wohl getrennt untergebracht werden. Im Sommer mit Temperaturen, die leicht 40 Grad Celsius erreichen. Das Leben in den Zelten wird die Hölle sein.

Yishai und seine Kollegen haben ein Gespür für „gewaschene Sprache“: die Migranten werden „Infiltranten“ genannt, Deportation wird „Rückkehr“ genannt, die Gefängnislager werden „Wohnlager“ genannt. Nicht Konzentrationslager, Gott bewahre.

MIR IST bewusst, dass in verschiedenen anderen „zivilisierten“ Ländern die Migranten genau so schlecht behandelt werden oder noch schlechter. Das beruhigt mich keineswegs.

Mir ist auch bewusst, dass es ein wirkliches Problem gibt, das gelöst werden muss. Aber nicht auf diese Weise.

Als Bürger eines Staates, der sich selbst „jüdisch“ nennt oder gar der „Staat der Holocaustüberlebenden“, ekelt mich das an.

Ich habe unzählige Male über Nazi-Judenjagden gehört, als auch von amerikanischem Lynchpöbel und russischen Pogromen. Das ist natürlich kein Vergleich, aber die Bilder stecken in meinem Kopf. Ich kann mir nicht helfen.

Unsere Behandlung der afrikanischen Flüchtlinge und Migranten haben nichts mit dem alten Konflikt mit den Arabern zu tun. Sie kann nicht mit Argumenten gerechtfertigt werden, die mit Krieg und nationale Sicherheit zu tun haben.

Dies ist schlicht und einfach Rassismus.

16.Juni 2012

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)