Die gestrige Verhandlung der vom Bundesverfassungsgericht zugelassenen Eilanträge gegen die Begleitgesetze von ESM und Fiskalpakt – gerüchteweise wurden bestimmte Eilanträge schlicht nicht zugelassen – hat zunächst erst einmal folgenden Effekt: der seit dem Systemwechsel zur staatlich anerkannten „Systemrelevanz“ von Banken durch deren selbst inszenierte „Krise“ in September / Oktober 2008 begonnene Staatsstreich gegen die Demokratien im Einflussbereich von USA und „Europäischer Union“ ist in Deutschland zum Stehen gekommen.
In diesem Artikel sollen nun Einzelheiten und Taktiken der Akteure des (staats)kapitalistischen Staatsstreichs gegen Republik und Verfassung durch eine Volksabstimmung aufzeigen, die von hochrangigen Funktionären der Verfassungsorgane – darunter zwei Verfassungsrichter, Andreas Vosskuhle und Peter Michael Huber – bereits im Sommer 2011 ins Spiel gebracht wurde. (DER VERFALL DER “EUROPÄISCHEN UNION” (I) : Aufprall am Grundgesetz und radikaler Strategiewechsel)
Nach Rückmeldungen von Verfahrensbeobachtern in Karlsruhe ergibt sich derzeit folgendes Bild: die Beseitigung der vom Bundesverfassungsgericht am 19. Juni in seinem Urteil 2 BvE 4/11 erneut definierten „grundgesetzlichen Verfassungsidentität“, der in Artikel 79 Absatz 3 in Verbindung mit Artikel 1 und 20 festgeschriebenen Garantie des Demokratiegebots („Ewigkeitsklausel“), wurde im gestrigen „Eilverfahren“ nicht nur durch mehrere Verfassungsrichter und die Vertreter der Regierung, sondern auch durch Kläger wiederholt ins Spiel gebracht. Als Mittel zu diesem Zweck, der einem Sturz der Verfassungsordnung und damit einem Staatsstreich gleichkäme, wurde eine Volksabstimmung thematisiert.
Am 31. März hatte ich in Karlsruhe auf einer Demonstration vom “Aktionsbündnis Direkte Demokratie” gegen die Installation des ESM folgendes vorausgesagt:
“Was Sie sich bewusst machen sollten, ist, daß wir demnächst vor einer Volksabstimmung stehen. Die werden versuchen das Grundgesetz zu kippen. Entweder sie spielen alles oder gar nichts, dann werden sie verlieren, oder sie versuchen quasi eine Teil-Legitimation irgendwie zu bekommen, um Teile der demokratischen Ordnung außer Kraft zu setzen, um das Grundgesetz in Kernfragen, in Identitätsfragen weiter einzuschränken.”
Am 22. Juni präzisierte ich, daß ich „von einem entsprechenden Versuch nach der Sommerpause“ ausgehe. Am 25. Juni schrieb ich, daß aus taktischen Gründen (Unkenntnis der Bevölkerung über die Vertragswirkung, daher Popularität) eine Volksabstimmung über den internationalen „Fiskalpakt“-Vertrag angesetzt werden könnte, als erstem Schritt zur endgültigen Ausschaltung des Grundgesetzes.
Der Fiskalpakt als völkerrechtlicher Vertrag ist international unwirksam und ein plumper Bluff. Diesbezüglich SPD-Abgeordnetenführer im Bundestag, Frank-Walter Steinmeier, bereits am 14. Dezember 2011 in der Bundestagsdebatte:
„Das Fiskalpaket ist bei genauerem Hinsehen – ich habe versucht, das deutlich zu machen – ein Scheinriese. Von weitem sieht es bedeutsam aus, beim Näherkommen erkennt man jedoch auf Anhieb: Es ist in Wirklichkeit ein Zwerg.“
Die Radio Utopie Analyse zum Fiskalpakt vom 20. Januar hier, sowie eine der finanzfetischistischen “Deutschen Mittelstands-Nachrichten”.
Obwohl international ein Bluff, macht dieser völkerrechtliche Vertrag in Deutschland allerdings eines: er zementiert die von Wolfgang Schäuble und seinem Kompagnon Franz Müntefering in zwei „Föderalismusreformen“ 2006 und 2009 ausgeheckten Demokratiebremsen und im Grundgesetz eingebauten Selbstzerstörungsmechanismen („Schuldenbremse“, u.ä.) praktisch mit einer neuen „Ewigkeitsklausel“. Alle die Staatsfinanzierung betreffenden Grundgesetzartikel könnten – jedenfalls sehen das einige Völkerrechtler so – nach einer Unterschrift des Bundespräsidenten unter den Fiskalpakt nicht mehr geändert werden. Das macht den Fiskalpakt natürlich verfassungswidrig.
Um nun diesen Zwangsmechanismus, das Festklopfen der Finanzdiktatur durch die Hintertür, eine Quasi-„Ewigkeitsklausel“ des Fiskalpakts im Grundgesetz, also die Unterordnung unserer Verfassung unter internationale Verträge dennoch zu erreichen, könnten die Putschisten und deren Kräfte auf die Idee kommen, eben jene grundgesetzliche Verfassungsidentität selbst anzugreifen – also durch eine Änderung von Artikel 79 Absatz 3 GG.
Dies in Kombination mit einem neuen Artikel 23, der bisher durch das Demokratiegebot in Schach gehalten wurde, würde das Grundgesetz als demokratische Verfassung de facto aufheben, alle Grundrechte ihrer unmittelbaren Rechtswirkung und Einklagbarkeit berauben und nicht nur ESM, Fiskalpakt, sondern auch der „kleinen“ Änderung von Artikel 136 vom „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ (AEUV) freie Fahrt geben.
Diese „kleine“ EU-Vertragsänderung, der Bundestag und Bundesrat unter lautem Schweigen aller Parteien am 29. Juni bereits zugestimmt haben, schwimmt derzeit unauffällig im Kielwasser der Begleitgesetze von ESM und Fiskalpakt mit. Kein einziger Abgeordneter hat sie thematisiert. Auch kein einziger der in Karlsruhe von den Richtern des 2. Senats zugelassenen Kläger.
Diese „kleine“ Änderung des EU-Vertrags sieht vor, folgenden Passus in Artikel 136 Absatz 3 AEUV einzufügen:
„Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen.“
Dazu schrieb „Unser Politikblog“ bereits letztes Jahr:
„Am 25.03.2011 hat die Bürgerrechtlerin Sarah Luzia Hassel-Reusing eine neue Verfassungsbeschwerde angekündigt gegen die Zustimmung zu Art. 136 Abs.3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Denn dieser enthält eine extrem weitreichende, selbst durch die Methode der einschränkenden verfassungskonformen Interpretation nicht eingrenzbare, Blankett-Ermächtigung für Mechanismen im Namen der Stabilität des Euro-Währungsgebietes. Und alle Finanzhilfen im Rahmen solcher Mechanismen wären mit Auflagen verbunden mit einer Strenge, wie sie der Praxis des Internationalen Währungsfonds (IWF) entspricht.“
Wie gesagt: noch schützt uns sowohl vor der „Ewigkeitsklausel“ des Fiskalpakts, als auch vor der Auslegung der „Blankett-Ermächtigung“ eines veränderten EU-Vertrags, als auch vor dem ESM die in Artikel 79 Absatz 3 in Verbindung mit Artikel 1 und 20 festgeschriebene Verfassungsidentität des Grundgesetzes.
Am 19. September 2011 nun brachte in einem Interview mit der „Süddeutschen“, dessen Wortlaut nur sehr begrenzt ins Internet gestellt wurde, ein hochrangiger Jemand aus den Verfassungsorganen der Republik ausgerechnet eine „neue Verfassung“ durch eine Volksabstimmung im Sinne von Artikel 146 Grundgesetz ins Spiel. Konkret ging es um die Aufhebung eben jener Verfassungsidentität durch eine Änderung von Artikel 79 Absatz 3 und die dadurch möglich werdende weiterführende Änderung von Artikel 23 zur Ermächtigung der EU-Kommission zwecks Transformation zur paneuropäischen „Wirtschaftsregierung“.
Wer war dieser hochrangige Jemand? Es war Peter Michael Huber, ex-Innenminister von Thüringen, CDU- und vorher CSU-Mitglied und Verfassungsrichter des 2. Senats, der gestern u.a. über die zugelassene Verfassungsbeschwerde von „Mehr Demokratie e.V.“ verhandelte, obwohl er noch bis Mai deren Kurator war.
Sollte das Bundesverfassungsgericht also tatsächlich in ein paar Monaten eine Volksabstimmung mit der Option zur Aufhebung der grundgesetzlichen Verfassungsidentität ansetzen, so würde dies in der Öffentlichkeit richtig verstanden werden – als Kollaboration der Verfassungsrichter bei einem von langer Hand geplanten und zur Vernebelung, nach dem Gletscherprinzip, in Zeitlupe exekutierten Staatsstreich.