Zum Kriegsverlauf in Syrien und seinen geostrategischen Folgen, sowie zur Propaganda über angebliche Massenvernichtungswaffen und deren drohendem Einsatz, eine Einschätzung.
Am 28. Juni benannte ich in einem Artikel bezüglich des laufenden Angriffskrieges gegen Syrien, sowie des geostrategischen Versagens und Rückzugs von Russland in den 20 Jahren seit dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums, den syrischen Vize-Verteidigungsminister Assef Shaukat (Assef Shawkat) als eine der Personen, die hinter dem syrischen Regimechef Bashar al Assad massiv falsch spielen.
Am 18. Juli wurde im Libanon in einem der Hizb-Allah (Hisbollah) nahestehenden Sender ein Attentat in Damaskus vermeldet, bei dem bzw in dessen Folge der Tod von Shawkat, seinem formell übergeordneten Verteidigungsminister Daud Radschha (Dawoud Abdallah Rajiha, Daud Radja), des nationalen Sicherheitsberaters Hischam Bechtjar (Hisham Ikhtiyar), des Innenministers Ibrahim al-Schaar (Ibrahim al-Shaar), sowie von General Hassan Turkmani, dem militärischen Oberbefehlshaber des syrischen Regimes im laufenden Krieg, bekannt gegeben wurde. Zum Erstaunen der militärisch durchweg versierten „Guardian“-Redaktion wurde diese Meldung umgehend in Damaskus bestätigt.
In Washington stellte sich U.S.-Verteidigungsminister Leon Panetta, vorher leitender C.I.A.-Direktor, vor die Presse und sprach:
„Dies ist eine Situation, die zunehmend außer Kontrolle gerät. Und aus diesem Grund ist es extrem wichtig, daß die internationale Gemeinschaft, in Zusammenarbeit mit, äh, anderen Ländern, die Belange in dieser Region haben, maximalen Druck ausüben auf, äh, auf Assad, damit er das tut was richtig ist, zurücktritt und diesen friedlichen Übergang ermöglicht.“
Allenfalls diesem Artikel in der „Welt“ war ein wenig Skepsis anzumerken, ob das alles jetzt tatsächlich den Beginn vom erfolgreichen Abschluss des inoffiziellen und von keinem UNO-Mandat gedeckten Angriffskrieges gegen Syrien bedeutete.
Unmittelbar nach der Meldung vom Attentat gegen die vier leitenden Militärs und Geheimdienstkommandeure Syriens, welche bislang gemeinsam die Fäden im Regime in der Hand gehalten hatten, drehte sich der Kriegsverlauf zugunsten Syriens. Die mit Unterstützung namentlich der arabischen Monarchien wie Saudi Arabien, von Frankreich, Großbritannien und der USA unter dem Label „Freie Syrische Armee“ operierenden eingesickerten Guerillas, Todesschwadronen, Milizen und Sondereinheiten verloren wieder die Kontrolle über die kurzzeitig eroberten Stadtviertel von Damaskus.
Noch am 18. Juli bat man aus dem Weißen Haus wegen der Lage in Syrien um ein Telefongespräch mit dem Kreml. Barack Obama und Wladimir Putin wurden sich nicht einig, hieß es später. Na so etwas.
Die ethnischen Säuberungen, Vertreibungen und Fluchtbewegungen der syrischen Zivilbevölkerung hatten die vorrückenden „Aufständischen“ ausgelöst, nicht die regimetreuen Verbände. Zwei Meldungen dazu, von der britischen „BBC“ am 20. Juli, sowie dem australischen Sender „ABC“ vom 21. Juli.
Im Zuge der militärischen Niederlage der Invasionstruppen und der Neuformierung der Kommandokette des syrischen Regimes wurde nun abermals Meldungen über angebliche Massenvernichtungswaffen unter Kontrolle des Regimes in Damaskus lanciert. Es wurde behauptet, die syrischen Regimetruppen könnten – mitten in einer bereits erfolgreichen militärischen Offensive – chemische Waffen gegen die „Aufständischen“ einsetzen. Dazu sei hier lediglich die Meldung der „New York Times“ zitiert, dann dürfte sich dieses Thema ebenfalls erledigt haben:
„Besorgnis wegen Syriens Vorräten von chemischen Waffen flammten am Samstag erneut auf, als ein bislang unbekannter General, der in die Türkei übergelaufen war, von Reuters dahingehend zitiert worden war, daß Syrien seine chemischen Vorräte in Gang gesetzt hätte, um diese gegen Zivilisten einzusetzen. Der General präsentierte keine Beweise, die seine Behauptung unterstützt hätten.“
Nur einen Tag nach der Meldung vom plötzlichen Ableben Assaf Shawkats in Damaskus verstarb in den USA plötzlich und unerwartet auch auch Omar Suleiman, bei einem medizinischen Routinecheck in Cleveland, wie es hieß. Über die Rolle des ehemaligen Vizes und Geheimdienstleiters hinter Husni Mubarak in Ägypten, sowie über die viele Parallelen aufweisende Rolle von Assaf Shawkat in Syrien, empfehle ich unser Interview mit ex-BND-Agent Wilhelm Dietl vom 8. März 2010 bezüglich seiner Buchveröffentlichung „Schattenarmeen“.
Meiner bescheidenen Einschätzung nach ist der Syrien-Krieg gelaufen. In drei Tagen hat sich die militärische Lage in Syrien zugunsten des Regimes stabilisiert.
Um es klarzustellen: ich gebe einen Dreck auf das Regime in Damaskus. Es hat seine Bevölkerung in langen, bitteren Jahrzehnten unterdrückt und ausgebeutet und die Rechte der Syrer mit Füßen getreten. Gerade den, auch in Deutschland, in zehn Jahren Krieg zum völlig unkontrollierten, menschenverachtenden Moloch von Spionen, Militärs, Geheimpolizei und Regierungsbehörden mutierten „Sicherheits“-Apparat im Einflussgebiet des Nordatlantikpakts, hat das aber nicht daran gehindert engstens mit ihren lieben Kollegen in Damaskus zusammenzuarbeiten. Bis zum Angriff. Das gleiche Spiel wie in Libyen, im Irak, in Afghanistan.
In den letzten 20 Jahren, seit dem Zusammenbruch des geostrategischen Gegners Sowjetunion, hat sich nicht nur der militärische Einflussbereich der Vereinigten Staaten von Amerika ausgedehnt, sondern auch der von heruntergekommenen ehemaligen Kolonialmächte wie dem Vereinigten Königreich, Frankreich, dem Kaiserreich Japan, dem Königreich Niederlande, sowie der von diversen bizarren asiatischen Kirchenstaaten und Diktaturen wie Saudi-Arabien, die es sich im Kielwasser der USA bequem gemacht haben. Ebenso dehnte sich das im U.S.-Einflussbereich entstandene Banken-Kartell und dessen nichtstaatliche Finanzsystem über den Planeten aus, mit allen bekannten verheerenden Folgen.
Dieser seit mehr als 20 Jahren über Asien (erster Irakkrieg), Afrika (Zerfall von Somalia und anschließende Invasion), Europa (Zerfall von Yugoslawien und anschließende Invasion, Bosnien, Kosovo) und wieder Asien (2001 Afghanistan, 2003 Irak, 2011 Libyen, etc) laufende Ausdehnung des U.S.-Einflussbereichs, die einher ging mit permanenter, schleichender Entdemokratisierung, Entrechtung, Entstaatlichung und Enteignung der Bevölkerungen im Hinterland, kommt jetzt zum Stehen. Das ist, was hier passiert.
Was Syrien angeht, muss und wird das Regime einen demokratischen Erneuerungsprozess ansetzen. Das kann nur ohne Invasion, ohne Krieg und ohne Druck von außen passieren. Die Sehnsucht des Menschen nach ganz normalen menschlichen Bedingungen, nach Freiheit, nach Nahrung, nach Fairness im Umgang ohne Ansehen von Herkunft, Glauben oder Wohlstand, reicht – mit den kommunikativen und informellen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts als ihrem Instrument – dazu als Triebfeder völlig aus.
Die neoimperialen Träume der Interventionisten, Finanzoligarchen und Plutokraten aber, insbesondere der in Washington, Riad, London, Paris und Berlin, werden nun nach über 20 Jahren des Siegeszugs der „Globalisierung“ ein jähes und – im Sinne von Demokratie und Menschenrechten – gnadenloses Erwachen finden.