Dokumentation: Die Rede von Hans Heydemann auf der gestrigen 133. Stuttgarter Montagsdemonstration gegen das urbane und regionale Umbauprogramm „Stuttgart 21“ (S21).
Liebe Freunde und Mitstreiter für den Erhalt des Kopfbahnhofes! Die Bahn sitzt jetzt in der Klemme und darf an S-21 vorerst nicht weiterbauen: Noch gilt der gerichtlich verfügte Baustopp aufgrund der beanstandeten 5. Planänderung, da hat die Bahn schon die 7. Planänderung beantragt – und die ist so grundlegend, dass ein neues
Planfeststellungsverfahren mit neuen Gutachten und mit Öffentlichkeitsbeteiligung fällig ist.
Gegen diese Planänderung haben wir sehr viele gut begründete Einwände.
Vor ein paar Tagen hat Projektsprecher Dietrich öffentlich Behörden und Ämter an die Projekt-Förderpflicht erinnert und gefordert, etwaige Bedenken beiseite zu lassen und die beantragten Änderungen zügig freizugeben, damit der Weiterbau endlich beginnen und der Zeitplan eingehalten werden könne – schließlich sei doch alles durch die Volksabstimmung legitimiert! Welch ungeheuerliches Ansinnen, fordert er doch dazu auf, die Prüfpflicht nicht ernst zu nehmen und die Bahn einfach bauen zu lassen – Projektförderung durch Nichtbeachtung geltender Vorschriften und Sorgfaltspflichten der Behörden, so hätte die Bahn das gerne.
Aber nicht mit uns!
Bekanntlich reicht die genehmigte bauzeitliche Grundwasserentnahme von 3,8 Mio. m³ nicht aus; die Bahn will jetzt 6,8 Mio. m³ abpumpen, mehr als das Doppelte, und überdies 38 Schluckbrunnen anlegen anstatt 23 wie ursprünglich vorgesehen. Diesen „7. Änderungsantrag“ hat die Bahn im März diesen Jahres einen beim EBA gestellt – wohl in der Annahme, das werde einfach durchgewunken.
Doch die Fachbehörden haben Bedenken angemeldet, fordern weitere Gutachten sowie ein
neues Planfeststellungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung – zu Recht. Mit der mehr als verdoppelten Grundwasser-Entnahme wird die ursprüngliche Genehmigungsgrundlage verlassen; es ergeben sich neue und größere Risiken, viele ungeklärte Fragen tun sich auf.
Der Grundwasser-Absenktrichter wird sich durch die erhöhte Grundwasser-Entnahme vergrößern; das ergibt neue Betroffenheiten. Wie verhält sich der Untergrund, dem einerseits Grundwasser entzogen, andererseits aber zugeführt werden soll? Bleibt er wirklich stabil, wie die Experten der Bahn behaupten? Oder muß doch mit Setzungen und Rissen an den Gebäuden oder gar Hangrutschungen gerechnet werden, zumal im steilen Kernerviertel? Und wer kommt für diese dann auf?
Die Bahn sicherlich nicht; die will noch nicht einmal die Beweislast tragen! Die Bewohner des Kernerviertels müssen erst noch durchsetzten, dass ihre Häuser in die Beweissicherung aufgenommen werden. Wenn es nach der Bahn geht sind diese Menschen nämlich von S21 überhaupt nicht betroffen, haben kein Einspruchsrecht und kein Klagerecht und im Umkehrschluss betrifft es die Bahn nicht, wenn ihre Häuser Schaden nehmen. Und das obwohl die Risiken für das Kernerviertel enorm sind: Sollte gar die hohe Stützmauer an der Hausmannstraße nachgeben und einstürzen, werden die darunterstehenden Häuser verschüttet, es wird Tote und Verletzte geben!
Ähnliches geschah vor drei Jahren in Nachterstedt unweit Magdeburg, als dort am 18.7.2009 nachts plötzlich ein riesiges Stück Land in den benachbarten Tagebau abrutschte, den man geflutet hatte. Dabei wurden zwei Wohnhäuser mit in die Tiefe gerissen; es gab drei Tote, die ganze Siedlung mußte aufgegeben werden. Ursache für den Hangrutsch: Die fortdauernde Durchfeuchtung der unteren Bodenschichten durch den künstlichen See. Niemand hatte damit gerechnet; die Experten der Grubenverwaltung hielten alles für sicher. So wie die Experten der Bahn es auch für völlig unbedenklich halten, über Jahre hinweg 6,8 Mrd. Liter Wasser in den steilen Hang des Kernerviertels zu pumpen!
Die Bahn spielt hier „Russisch-Roulette“ mit uns; sie will ein „wirtschaftlich optimiertes“ Bauvorhaben durchziehen – den möglichen Schaden jedoch als ein dem technischen Fortschritt geschuldetes „Restrisiko“ auf die betroffenen Bürger abwälzen!
Die Experten der Bahn haben mit einem jetzt als völlig falsch erwiesenen Grundwasser-Modells über mehr als ein Jahrzehnt hin falsch geplant und sich ein so nicht ausführbares Baurecht erteilen lassen. Entweder war das fahrlässige Schlamperei; die Bahn hat so einmal mehr ihre Unfähigkeit bewiesen, S-21 auch wirklich bauen zu können. Oder war es womöglich gar Absicht der Bahn, zunächst mit einer bewußt zu niedrig angegebenen Grundwasser-Entnahmemenge den Planfeststellungs-Antrag leichter durch das Genehmigungsverfahren zu bringen, um dann – wie jetzt geschehen – nachzulegen in der Annahme, das werde dann unter Ausschluß der Öffentlichkeit als einfache Planänderung ohne viel Aufhebens durchgehen?
So oder so: Die Rechtfertigung des S-21-Vorhabens ist schon lange dahin!