Vielleicht weiß es der Eine oder die Andere: wenn man „Muttersprache“ als die erste Sprache der Mutter definiert, ist Deutsch nicht meine Muttersprache.
Ich höre sie trotzdem immer wieder gerne. Es ist nämlich meine Sprache.
Industrie-Schrott, Dekadenz und Lala hin oder her: Der Bundesvision Song Contest 2012 ist ein Lichtblick in der deutschen Musik- und Kunstlandschaft. Ins Leben gerufen von einem Unikat, der jetzt macht was er will und – nach Jahren im Sumpf – erst „Guildo hat Euch lieb“ (unter Pseudonym) produzieren musste, um das zu dürfen. TV Total, abendfüllende Pokerrunden, Bobfahren in Kücheninventar, Crashkurse in Auto-Entsorgung, turmspringende Bierbäuche, der erste deutsche Sieg im Eurovision Song Contest seit Jahrzehnten (nach dem Wettbewerb „Unser Star für Oslo“), als das kam nachher und wurde erst möglich durch den kunstblutigen Putsch eines zum zynischen Entertainer geronnenen, aber immer leidenschaftlichen Musikers gegen das Ralph Siegel Leichenschauhaus der Schlagerbranche im Jahre 1998. Kaum einer weiß das noch.
Irgendwann wurde dann aus Stefan Raab etwas Anderes. Hielt er sich noch 2001 / 2002 konsequent aus allem heraus, was mit der Realität nur irgendetwas zu tun hatte und konzentrierte sich darauf die neu gewonnene Geldmaschine mit allem Verfügbaren am Laufen zu halten, fing er irgendwann an seine Gäste, seine Mitmenschen und besonders andere Künstler nicht mehr wie Dreck, sondern mit Respekt zu behandeln. Es fiel wirklich auf.
Den Bundesvision Song Contest 2012 gestern gewann nun jemand, der den deutschen Gesang faktisch neu erfunden hat: Xavier Naidoo. Entdeckt, gefördert und nach oben gehoben hat den Mann nicht etwa die Industrie – allein die Vorstellung wäre ein Paradoxon – sondern derjenige, wegen dem Stefan Raab (noch als Musiker) jahrelang zwei Leibwächter auf Tour mitschleppte: Moses Pelham.
Dies nur zur Erklärung, was da gestern passierte: keine Veranstaltung der Industrie, nicht wirklich. Die hatte die Schnauze zu halten, sich hintenan zu stellen und zu betteln, dass sie ihre „Produkte“ unter und was zu Saufen bekam. Und mal zum „Focus“: wenn man schon eine Banken- und Versicherungs-Korrepondentin wie Danuta Szarek und ein Mode-Fachmännin wie Julia Bähr am Mähdienstraßenrand aufsammelt und dann an den Ticker lässt, muss man sich über die Antwort nicht wundern. Als Fazit des entsprechenden Berichts zweier Damen auf der Suche nach mittelständischem Vergnügen mögen diese Zeilen dienen:
„Das Saarland versucht es mit „Die Orsons feat. Cro“. Sie wollen eine neue Nation gründen, wenn sie gewinnen. Die Idee hat was.“
Möge sich irgendwo ein entsprechendes Auffanglager auftun. Aber nicht hier.
Meine Gewinner des gestrigen Abends waren folgende: die Gitarrenband Pickers aus Berlin (für das immer schrulliger werdende Rheinland-Pfalz angetreten) und Nina Sonnenberg.
Nina Sonnenbergs „Fiva & das Fantomorchester“ bekommt meine Medaille für…tja, für was eigentlich? Ich glaube, für ein Gesamtkunstwerk. Es macht einfach Spaß sie zu hören. Auf jeden Fall für den besten Bass des Abends.
Fiva & Das Phantom Orchester – Die Stadt gehört wieder mir. Erschienen auf Nina „Fiva“ Sonnenbergs eigenem unabhängigen…Verzeihung, eigenem Independent Label Kopfhörer Records.
Des Weiteren geht meine Medaille an Pickers für „1000 Meilen“. Vergessen wir mal die Strophenzeilen und BMWs. Sehen wir galant darüber hinweg. Das rockt einfach. Es lässt einen abheben und ja, doch etwas weiter sehen, über den Horizont hinaus. Lutz-Philipp Rodenbüsch hatte es früher auf dem Schulhof bestimmt auch nicht immer einfach. Aus Rache wird man dann Sänger (und Songschreiber) und steckt dann an einem Abend wie gestern alle in die Tasche. Zweitbester Bass des Abends: Robert Ring (eigentlich werden solche Basslinien rausproduziert). Auch Schlagzeuger Joshua Bright ist bei Playback nur halb soviel wert, deshalb hier ein Livemitschnitt aus TV Total vom 25. September.
Video zu „1000 Meilen“: Dominik Tetzlaff (coucou).