„Wir sind nicht bereit uns an Mehrkosten über der vereinbarten Obergrenze von 4,526 Milliarden zu beteiligen“
Dokumentation: Die Rede von Brigitte Lösch, Landtagsabgeordnete der Grünen, auf der gestrigen 148. Montagsdemo gegen das Industrieprogramm „Stuttgart 21“ (S21)
Liebe unermüdliche Montagsdemonstrantinnen und Demonstranten, liebe Freundinnen und Freunde des Kopfbahnhofes,
ich freue mich sehr, dass ich eingeladen worden bin, heute hier bei der 148. Montagsdemo zu reden – das erste Mal seit knapp einem Jahr, seit der Volksabstimmung, dass ich wieder hier auf der Bühne stehe. Ich muss gestehen, ich bin überwältigt und erfreut, dass immer noch jeden Montag so viele Leute kommen; dass ist gut und wichtig, denn wir – und das sag ich ganz klar auch als Politikerin – brauchen diesen anhaltenden Druck der Bewegung; mit eurem Durchhaltevermögen seit ihr wichtige Impulsgeber und Motivationsgeber weit über Stuttgart hinaus.
Das Ergebnis der Volksabstimmung wurde hinlänglich interpretiert, es bedeutet aber in keinster Weise, dass die Bahn einen Freischein bekommen hat, alles zu tun was sie will.
Ich akzeptiere nicht, dass die Bahn, weitere Baumfällungen im Rosensteinpark vornimmt ohne vorher für Kostenklarheit zu sorgen.
Ich akzeptiere nicht, dass die Bahn bis heute kein genehmigungsfähiges Brandschutzkonzept vorgelegt hat.
Ich akzeptiere nicht, dass die Bahn am GWM weiterbaut, obwohl 10 000 Einwände gegen den 7. Planänderungsantrag eingereicht worden sind und ohne, dass ein geotechnologisches Gutachten für den Ameisenberg vorgelegt wird.
Und Ich akzeptiere nicht, dass die Bahn den Kostendeckel in Frage stellt, auf dessen Grundlage übrigens auch die Volksabstimmung stattgefunden hat.
Die letzte Woche war ja das reinste Possenspiel mit den unterschiedlichsten Akteuren:
Erst verlangt die Bahn doch alles ernstes, dass sich die Projektpartner an von ihr nicht belegten Mehrkosten wegen dem Filderbahnhof beteiligen soll. In einer solchen Situation, ohne aussagekräftige Unterlagen (ein Din 4 Blatt beim Lenkungskreis), dreistellige Millionenbeträge zu fordern und dabei die Vertragspartner mit einem Ultimatum unter Druck zu setzen grenzt schon an gnadenlose Frechheit!
Aber was passiert? Anstatt gemeinsam dies kraftvoll zurückzuweisen stösst der Obertunnelkoalitionspartner Schmiedel als erster ins gleiche Horn und zaubert einen Sondertopf aus dem Ärmel – worauf hin der MP (Anm.: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann) seine Verwunderung ausdrückt und Herrn Schmiedel aufforderte dies doch erst mal im Koalitionsausschuss zu besprechen.
Danach waren wir Grünen sehr verwundert als der MP dann letzten Dienstag etwas verwirrende Aussagen zum Kostendeckel machte, die er dann aber sehr schnell wieder zurechtgerückt hat. Ich verweise auf die PM vom Stami, auf die PM unserer Fraktionsvorsitzenden und auf die PM vom Verkehrsminister Herrmann.
Und ich sage an dieser Stelle ganz klipp und klar: wir sind nicht bereit uns an Mehrkosten über der vereinbarten Obergrenze von 4,526 Milliarden zu beteiligen. Und das ist unabhängig davon, ob es 200 MIllionen, 20 Millionen oder zwei Millionen Euro mehr sind. Und das sage ich nicht nur als Privatperson Brigitte Lösch, sondern ich spreche für viele grüne Mitglieder unserer Partei und Mitglieder unserer Landtagsfraktion und knüpfe damit an unseren Fraktionsbeschluss vom 13.12. 2011 an:
„Fest steht: das Land wird sich nicht an Kosten beteiligen, die über dem vereinbarten Finanzierungsmaximum („Kostendeckel“) von 4,5 Milliarden Euro liegen.“
Das steht sowohl im Koalitionsvertrag- und es gibt einen einstimmigen Kabinettsbeschluss dazu.
Das ganze Vorgehen ist doch ein durchsichtiger Versuch der Bahn, die Projektpartner unter Druck zu setzen, um den Kostendeckel zu sprengen. Die Deutsche Bahn hat zu erfüllen, was sie – nicht nur während der Volksabstimmung – sondern auch während der Schlichtung zugesagt hat.
Aber anstatt gemeinsam dieses durchsichtige Spiel der Bahn zu enttarnen, springen alle über das Stöckchen der Bahn – vornedran die SPD und will uns Grünen auch noch den schwarzen Peter zuspielen, in der Form, die da heisst, „das war doch eure Bürgerbeteiligung auf den Fildern, dann müsst ihr doch jetzt auch zahlen“. Was für eine verquere Argumentation.
– Erstens waren alle Projektpartner gemeinsam am Filderdialog beteiligt
– Zweitens war der Kostendeckel auch eine der Prämissen unter denen diskutiert wurde
– und drittens hat sich die Mehrheit der Beteilgten (über 60%) für ein ganz anderes Modell entschieden, nämlich den Erhalt der Gäubahn mit der Entflechtung von Fern- und Nahverkehr
Und wer jetzt, für die zweitbeste Lösung, mehr Geld fordert, ohne nachzuweisen warum die Variante Flughafenstraße beim Filderbahnhof fast eine Viertelmilliarde teurer werden soll als die ursprüngliche Planung, der hat mit seriöser Politik nichts zu tun. Das ist in keinster Weise nachvollziehbar, denn die Mehrkosten stehen in keinem Verhältnis zum zusätzlichen verkehrlichen Nutzen. Deshalb lehnen wir diese Argumentation und auch diesen Sondertopf aufs entschiedenste ab. Damit wäre der Geist aus der Flasche, die Büchse der Pandorra geöffnet und es gäbe kein Halten mehr. Es ist doch völlig abstrus, dass wir bereitwillig Millionenbeträge in einen S 21-Sondertopf zahlen würden, während derzeit bei wichtigen Nahverkehrsprojekten überall im Land mühsam versucht wird die Finanzierung sicherzustellen.
Es ist vor allem abstrus, dass es die SPD ist, die sich in Vorschlägen überbieten. Gut, für alle Razavis dieser Welt ist das natürlich ein gefundenes Fressen – aber die sind ja auch in der Opposition. Aber dass sich der Fraktionsvorsitzende unseres Koalitionspartners Claus Schmiedel als erster dazu bekennt, weiter Steuergelder im Tiefbahnhof zu versenken, das finde ich schon im höchsten Masse ärgerlich und macht mich wütend. Und, dass die Kollegin Grünstein dann noch nachlegt und aufzeigt, dass die SPD auch gemeinsam mit der FDP und der CDU einen Sondertopf beschliessen könnte, macht mich nicht nur wütend sondern fassungslos.
Aber die SPD-Kollegin hat wohl nicht bedacht, dass sie zwar den Sondertopf gemeinsam mit der Opposition beschliessen können – aber nicht den Landeshaushalt. Den beschliesst die Koalition. Und ich kann ihnen hier versichern – mit meiner Stimme dann bestimmt nicht!
Die SPD ist nun zurückgerudert und hat Koalitionstreue geschworen und eine gemeinsame pragmatische Lösung angekündigt. Diese pragmatische Lösung kann nach meiner Meinung nur heissen, das die Ergebnisse der Schlichtung akzeptiert werden, dass alle vereinbarten Nachbesserungen, die Verbesserungen beim Brandschutz und die Anbindung zum Filderflughafen in dem vorgesehenen Kostendeckel enthalten sind.
Die SPD-Führung, sowohl im Land wie auf kommunaler Ebene täte gut daran, bei den bestehenden Missständen eine sofortige Behebung, Klarheit und Transparenz von der Bahn zu fordern, anstatt kritiklos auf eine schnelle Umsetzung von vereinzelnten Abriss- oder Baumaßnahmen von Stuttgart 21 zu pochen.
Deshalb appelliere ich auch an den Finanz-und Wirtschaftsminister Schmid den Gestattungsvertrag jetzt nicht zu unterschreiben.
Ich wehre mich gegen jegliche weitere Zerstörung auf Vorrat. Solange der 7. Planänderungsantrag für das Grundwassermanangement nicht genehmigt ist und den 10000 Einwendungen dagegen nachgegangen wurde, besteht keinerlei Veranlassung die Bauarbeiten und die Baumfällungen voranzutreiben.
Auch die Finanzierung der Mehrkosten ist noch in keiner Weise geregelt – deshalb besteht überhaupt kein Anlass vor der nächsten Lenkungskreissitzung Ende Januar den Gestattungsvertrag zu unterschreiben.
Es wurden schon genügend Fakten geschaffen, wie z.b. die Baumfällungen im Schloßgarten im Februar, obwohl dies für den Baufortschritt total überflüssig war, sondern nur eine reine Provokation und Machtdemonstration der Bahn.
Es wäre ein sehr schlechter Politikstil weitere Fakten zu schaffen bevor die Finanzen geklärt sind, der Brandschutz geklärt ist, das Gutachten von Dr. Engelhardt geprüft ist und auch das geotechnologische Gutachten für das Kernerviertel vorliegt.
Zum Schluß möchte ich noch einen weiteren Punkt ansprechen, um den mich das Infobündnis Zukunft Schiene aus Untertürkeim gebeten hat; einen Punkt, der bisher noch keine so große Rolle gespielt hat, nämlich, dass in Untertürkheim ein Wartungs- und Abstellbahnhof entstehen soll, der die Lebensqualität eines ganzen Stadtbezirks massiv beeinträchtigen wird, vor allem was das Thema Lärmbelästigung anbelangt.
Die Bewertung des Lärmgutachtens der Bahn, auf dessen Grundlage die Planungen eingereicht und im Sommer 2010 für das Anhörungsverfahren ausgelegt wurden, fiel von fast allen Seiten negativ aus. Selbst die Stadt Stuttgart, als auch die Umweltverbände und private Einwender kritisierten das Lärmgutachten als unzureichend und die sich daraus ergebenden, für Untertürkheim völlig unzumutbaren Planungen. Aufgrund der zahlreichen Einwendungen gegenüber dem Lärmgutachten der Bahn von 2010 halte ich es für dringend erforderlich, ein neues Lärmgutachten in Auftrag zu geben.
Am 8.8. habe ich in dieser Sache einen Brief an Herrn Fricke geschrieben. Das sind jetzt immerhin drei Monate. Bis heute, hat es die Bahn nicht nötig gehalten darauf zu reagieren!!
Nach wie vor gibt sich die Bahn überheblich, unkooperativ und intransparent – und da steht auch die Bundeskanzlerin, die Bundesregierung in der Verantwortung. Die Bahn ist eine 100%ige Tochter des Staates. Frau Merkel hat 2010 den Bau des Stuttgarter Bahn- und Immobilienprojekt zur Chefsache erklärt. Ich hoffe sehr, dass sie im Herbst nächsten Jahres auch die Rechnung dafür bekommt!
Ein Wort in eigener Sache, ich weiss dass viele von euch mit den Grünen hadern, manchmal zu recht – oftmals auch zu Unrecht. Ich spreche nicht für die Landesregierung, ich bin nicht der Ministerpräsident, ich bin Parlamentarierin und ich spreche für viele Grüne in meiner Partei.
Und ich bin ebenfalls eine gute Demokratin und habe schon viele Niederlagen einstecken müssen – aber gerade deshalb glaube ich fest, dass wir alle große Standfestigkeit beweisen müssen. Ich werde es weiterhin tun und mich lautstark einmischen.