Ein Haufen Totenköpfe

Das Kind schreit in seinem Bett, weil sich ein Monster im Zimmer befindet. Vater kommt herein, schaltet das Licht ein …

Das ist die Szenerie für Joe Dators makabren Cartoon in einem der letzten New Yorker, lustig wie ein Schlag auf die Nase. „Schau,“ sagt der Vater und zeigt auf die Wand, „da ist kein Monster in der Ecke – es ist nur ein Haufen alter Totenköpfe.“

Warum, Herrgott noch, dachte ich an diesen Cartoon, als ich über den neu herausgekommenen Global Terrorism Index las? Könnte es sein, dass die Monstren unserer Kindheit – die die Erwachsenen heutzutage Terroristen nennen – zu politischen Zwecken manipuliert werden?

Dieser erste Index dieser Art, welcher beruht auf Daten, die das National Consortium for the Study of Terrorism and Responses to Terrorism (Nationale Arbeitsgemeinschaft für die Untersuchung des Terrorismus und Reaktionen auf Terrorismus) oder START, das seinen Sitz in der University of Maryland hat, und veröffentlicht wird von dem Institute for Economics and Peace, zeigt auf, dass terroristische Vorfälle rund um den Globus Jahr für Jahr ziemlich stark angestiegen sind seit 9/11 und dem Beginn des „Kriegs gegen den Terror.“

„In den zehn Jahren seit 9/11“ haben laut dem Institute for Economics and Peace „die Todesopfer von terroristischen Attacken um 195 Prozent zugenommen, die Vorfälle um 460 Prozent und die Verletzungen um 224 Prozent.“ Die drei Länder, die an der bei weitem größten Anzahl solcher Attacken leiden, sind – Überraschung, Überraschung! – der Irak, Afghanistan und Pakistan, die Länder, die wir besetzt haben oder quasi besetzt.

In anderen Worten, dieser wahnwitzige Krieg ist in Wahrheit nichts als ein Krieg zur Förderung des Terrors – welche Bezeichnung ich diesem Krieg schon von Anfang an gegeben habe.

Wenn wir mit diesen Daten den Humor aus Dators Cartoon herauslassen, dann ist das, was übrig bleibt, die düstere Realität der Weltpolitik: selbst geschaffene Monster (die natürlich real werden) und ein Haufen Totenköpfe. Die Totenköpfe verkörpern den Schaden, kollateralen und sonstigen, den wir, die militarisierten Staaten der Ersten Welt, bei der Verfolgung unserer Interessen und unserer Monstren anrichten.

Wie Common Dreams ausführt, ist natürlich die Definition von Terrorismus, die in dem Index zur Anwendung kommt, peinlich eng: „illegaler“ Einsatz von Macht oder Gewalt seitens nichtstaatlicher Akteure, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Angst-und-Schrecken-Bombardierungen zählen nicht, obwohl deren einziger Zweck darin besteht, ein ganzes Land zu terrorisieren; Mord per Drohne zählt nicht, obwohl die Überwachung durch bewaffnete Drohnen das normale Gemeinschaftsleben ganzer Regionen paralysiert; und alle die weiteren offenen und geheimen staatlichen Aktionen, vom präventiven Einmarsch zum geheim inszenierten Staatsstreich bis zur Verseuchung mit Gift und Radioaktivität durch die moderne, hoch technisierte, „legitime“ Kriegsführung zählen nicht als Terrorismus, obwohl sie Terror in alle Richtungen verbreiten.

Ich kehre zurück zu der dokumentierten Realität, nach der keine dieser Bemühungen ihren erklärten Zweck erreicht, nicht anders als der „Krieg gegen die Drogen,“ der nie etwas erreicht hat außer der exponentiellen Ausweitung des internationalen Drogenproblems.

Aber unsere Kriege generieren einen endlosen Nachschub von Feinden (wirkliche menschliche Wesen, die uns gram sind) und Monstern (eingebildete menschliche Wesen, die uns nur Böses antun wollen). Während nun der Global Terrorism Index die ersteren dokumentiert, kümmert sich kaum jemand außer vielleicht Kartoonisten um die letzteren, außer man rechnet die Soldaten und zurückkehrenden Veteranen dazu – oft mit der Diagnose PTSD (Kriegspsychose, eine psychische Krankheit) – die zu erstaunlichen Quoten Selbsttötungen begehen.

Vor ein paar Monaten schrieb ich über das Konzept der „moralischen Verwundung,“ (>>> LINK) eine neue, breitere Möglichkeit, PTSD zu betrachten, nicht als psychische Krankheit sondern als natürliche Konsequenz der Teilnahme am Töten von Menschen auf Befehl – eine Verletzung der in der Persönlichkeit verankerten menschlichen Empathie.

Den meisten von uns fehlt eine Fähigkeit zum Töten. Dave Grossmann, ein Psychologe und ehemaliger Army Ranger, schreibt in seinem 1995 erschienenen Buch On Killing (Über das Töten), dass den größten Teil der Geschichte hindurch bis zum Zweiten Weltkrieg das tatsächliche Töten im Kampf von nur etwa 20 Prozent der Teilnehmer betrieben wurde. 75 oder 80% der Soldaten schossen über die Köpfe der Gegner hinweg oder schossen überhaupt nicht. Bis Studien im Zweiten Weltkrieg dieses Phänomen enthüllten, war es unbekannt. Im Vietnamkrieg führten laut Grossmann Änderungen bei der Ausbildung der Soldaten – der Gebrauch von wie Personen geformten statt runden Zielscheiben, intensive Entmenschlichung des Gegners und Verherrlichung des Tötens – dazu, dass die Nicht-Feuer-Quote im Kampf auf bloße 5% zurückging. Der Preis war ein enormer Anstieg bei den psychologischen Traumatisierungen unter den zurückkehrenden Veteranen.

Aus dem militärischen Zusammenhang genommen, in dem sie taten, was sie taten, waren sie allein gelassen mit ihren Gewissen – mit der schrecklichen Erkenntnis, dass sie Menschen getötet hatten. Der Schmerz darüber wurde oft bei den Veteranen aus dem Vietnam- und nachfolgenden Kriegen noch dadurch intensiviert, dass diese den Glauben in den Wert des Krieges selbst verloren, aus dem einfachen Grund, dass die Kriege höllisch unnötig waren.

Meiner Ansicht nach ist eine der wichtigsten Konsequenzen nach dem Durchbruch der Erkenntnis, dass von Schuldgefühlen geplagte Veteranen nicht an einer „Krankheit“ leiden, sondern an einer moralischen Verwundung, dass ihr Zustand nicht isoliert und individuell ist, sondern sich über die Gesellschaft erstreckt. In den Krieg zu ziehen ist eine kollektive Entscheidung und die Konsequenzen daraus müssen auch kollektiv getragen werden. Aber kollektiv bleiben wir dabei, die Tatsachen zu verleugnen und schreien, dass Monster im Schlafzimmer sind.

Orginalartikel Pile of Skulls am 5.Dezember 2012

Quelle: http://antikrieg.com/aktuell/2012_12_06_einhaufen.htm