Tanz den Kommunismus: Modesubkultur in Ostberlin

Wenn man von der Mode-Subkultur der 80er Jahre in Ostberlin spricht, so kann man diese Szene nicht kontextlos betrachten.

Die Genres im Ostberliner Offground lösten sich ineinander auf und die Wildwechsel ihre Vertreter kreuzten sich ständig. Die frühe Punkszene tollte etwa durch die Ateliers von Malern und durch die Wohnungen von Lyrikern, da sie aus dem öffentlichen Raum massiv verdrängt wurde.

Es war eine Zeit, in der Punks mit Modefreaks und Fashion-Victims, diese Kategorien gab es damals noch gar nicht, gemeinsame Sache machten. Eine selbstverständliche wie obskure Konstellation aus allen möglichen Anwandlungen, die in ihren Anfängen nicht festgelegt und durchcodiert waren. Verschiedenste Kunstrichtungen gingen Liasons miteinander ein. Die vielleicht am leidenschaftlichsten betriebene war die von Musik und Poesie, aber auch die von Musik und Malerei. Ein Musiker oder eine Band intonierte wüste Sounds und ein Maler nahm dies zum Anlaß, riesige Leinwände und sich selbst mit kübelweise Farbe zu verschönern. Später wurde diese Art angewandten Exzesses äußerst vorhersehbar und durch seine übermäßige Verbreitung zur Pest, auch die Ergebnisse waren naturgemäß dürftig. Man ging dennoch immer wieder zu solchen Happenings in Ermangelung anderer kultureller Höhepunkte.

In der DDR fühlte man sich gewissermaßen im eigenen Hause fremd und bejahte vieles, was der Staat verneinte. Heute spricht man von dem Repressionsarsenal eines Unrechtsstaates, dabei wird eine Form der Repression eher einem allgemeinen Lebensgefühl junger Leute zugeschrieben, obwohl sie eigentlich einer Strafe glich – die Rede ist dann von der allgegenwärtigen Langeweile in der DDR. Deren Mangelwirtschaft bestand ja nicht nur in der chronischen Unterversorgung mit materiellen Gütern, sie zeigte sich im vielzitierten „Leseland DDR“ auch in einem eklatanten Mangel an sogenannter geistiger Nahrung. Sicher, es gab Buchhandlungen, Theater, Kino, und andere Stätten der Bildung oder des Amusements. Aber zum einen wurde Bildung durch einen ideologischen Filter vermittelt, zum anderen war das sogenannte Freizeitangebot limitiert und im eigentlichen Sinne jugendfrei.

Das Angebot erschöpfte sich in FDJ-Festivals unter dem flotten Motto „Wir lassen ‚ne Kuh fliegen“ oder in einer Jugendsendung des staatlichen DDR-Fernsehens namens „RUND“, in der abgehalfterte Westbands wie Middle Of The Road auftraten. Zwischendurch schaltete man live in den Kuhstall einer gottverlassenen LPG und der Moderator betete im FDJ-Hemd und im Verein mit einem unbedarften Bäuerlein die Kubikliterzahlen seiner Milchproduktion runter. Dieser Background, die grassierende Depression in der DDR, war zumeist der Auslöser, sich dünne zu machen und nach Möglichkeit die DDR sich selbst zu überlassen, oder eben den Breiten zu machen und sich zu exponieren.

Einer der wichtigsten Impulse Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre war zweifellos Punk. Die früheste verbürgte Modeinitiative im Underground Ostberlins waren ccd – chic, charmant & dauerhaft. Das waren keine Punks, aber sie wurden von Punk heftig touchiert. ccd würde man heute dem Postpunk zuschlagen. Ihre Shows, auch die des Folgeprojektes Allerleirauh, entstanden eineindeutig aus dem do-it-yourself-Geist von Punk. Wenigstens zwei der Shows von Allerleirauh wurden von der Ostberliner Avantwave-Legende Ornament&Verbrechen der Gebrüder Lippok begleitet. Die Lippoks geisterten zuvor beide durch die Punkszene der Stadt, der eine als Schlagzeuger der ersten Ostberliner Punkband Rosa Extra, der andere als Teil des Lärm-gesteuerten Kurzzeitprojektes Fünf Wochen im Ballon. Der Mode-Offground war auch insofern Postpunk, da seine Aktivisten Mitte der 80er Jahre Grenzen überschritten, welche die Punks für sie unter größeren Verlusten schon eingerannt hatten. Allerdings waren sie auch um einiges cleverer als die Punks, vielleicht sollte man auch sagen, durch die Erfahrungen ihrer Repressionsgeschichte in den frühen 80er Jahren einfach nur reifer und informierter.

Die Mode-Fraktion hatte sich zu einer Zeit vom Staat losgesagt als die Staatssicherheit bereits völlig desorientiert durch eine Gegenkultur tappte, die sich längst in Subszenen, wie Punks, Anarchopunks, Hardcorepunks, Gothics, Skins, Metalheads, Hooligans usw., aufgespalten hatte. Der Staat hat nicht mehr regiert, sondern nur noch reagiert. Zudem funktionierten die Techniken, sich ihm zu entziehen, bereits viel subtiler. Die Protagonisten der Modesubkultur sind nicht mehr wie die Punks in Konfrontation zum Staat gegangen, um dann die volle Breitseite abzubekommen. Die Modefreaks ließen den Staat gewissermaßen an sich abperlen und haben den Widerstand der Funktionäre sehr Aikido-like ins Leere gelenkt. Andererseits wurden sie auch nicht wie die Punks durch eine flächendeckende Kriminalisierung politisiert. Das Modevolk bestand aus Künstlern, Freaks, Hedonisten, bekennenden Opportunisten und halbseidenen Gestalten. Das waren keine Intellektuellen, obwohl einige unter ihnen aus Künstlerfamilien stammten.

Zur Punkszene gab es etliche Kontakte, eine handvoll Punks lief auch über, vielleicht verantwortete das kurze Aufglühen der New Romantic in England und Westdeutschland einen leichteren Schub weg von der Radikalität und der Gewalt in der Szene, bevor dann die Skinheads zuschlugen. So war auch Musik kein Botenstoff einer nihilistischen oder politischen Aussage mehr, sie wurde um ihrer selbst willen eingesetzt und das zu erleben war auf eine andere Art befreiend, als das Muster, in welchem Punk Energien freisetzte. Der Einsatz von Bands bei den Modeschauen war eher ein gelegentlicher, man schwenkte schnell auf Konserven und damit einher auf Popmusik um, die, zeittypisch, mal mehr oder weniger Wave-Anteile aufwies. Natürlich sprang man zu den unvermeidlichen B-52s über den Laufsteg, aber auch die verdaulicheren Songs von PIL oder Mainstream wie jener der Eurythmics waren äußerst beliebt. Ostrock spielte, mit einer späten Ausnahme, keine Rolle.

Der geballte Frohsinn von ccd brach in einer Zeit aus als Ost und West in einem nuklearen Untergangszenario miteinander zu verschmelzen gedachten. Die vereiste bis klagende Stimme eines Ian Curtis war nur ein Beispiel für Notgesänge, die ans Licht einer vom Inferno überschatteten Welt drängten und klangen, als würde sich noch der Tod das Leben nehmen. Bands wie Joy Division, Bauhaus, Cure, The Sound, Second Layer, Comsat Angels, Siouxsie & the Banshees, Play Dead und hunderte mehr, lieferten den Soundtrack zu einer Endzeitstimmung, die aus dem Systemduell von NATO und Warschauer Pakt in der ersten Hälfte der 80er rührte. Schwarz hat ja nicht umsonst in der Punk- und später der New-Wave-Szene ganze Populationen ihrer jeweiligen Anhänger dunkel eingefärbt.

In diese Depression platzten ein paar bestens gelaunte und blutige Amateure, machten einfach Party und waren dabei unverschämter Weise positiv drauf. „Der Mob“, wie sie sich selber nannten, glich einem Libellenschwarm, beflügelt vom Enthusiasmus und den sich eröffnenden Perspektiven schlossen sich schillernde Gestalten dem Glitzer eines Momentes von vier bis fünf Jahren an. Die Modenschauen von chic, charmant & dauerhaft waren ja zuerst und zuletzt der generierte Anlaß, einer Spaßgesellschaft, einer Szene von vielleicht dreißig Leuten, eine Bühne zu verschaffen. Dies FDJ-unabhängig, ohne den Gang durch die Instanzen auf sich zu nehmen, war eine Provokation und die Freude an der Selbstinszenierung wandelte die Angst vor den Behörden und die Sorge um die Aufmerksamkeit der Staatssicherheit in puren Lustgewinn. Robert Paris, Fotograf und zum inneren Kreis gehörig, hat dieses Selbstbewußtsein mit einer wunderbar herablassenden Formel beschrieben: „Wir hatten nichts gegen die [den Staat], die hatten was gegen uns.“

Die DDR war ein verkniffenes Staatengebilde, die Jugendpolitik war verkrampft, durchorganisiert und Ideologie-gelenkt. Die Jugendmode blieb immer ein Abbild der DDR als einer Provinz, einer 16-Millionen-Seelen-Gemeinde. Zu kaufen gab es allenfalls grotesk häßliche Jeans-Imitate und sogenannte Anoraks, wahlweise in erdigen oder in kreischenden Farben mit einem unfaßbar geschmacklosen, künstlichen Pelzbesatz. Weder jugendlich noch modisch war diese Nicht-Mode so übel, dass man nur auf die Klamotten der Großeltern zurückgreifen konnte. Die Kombination von Lederjacken und biedersten Faltenröcken wirkte in seiner Abwegigkeit stimmig. Ein solch gelebter Kommentar zur DDR-Jugendmode zeugte zudem von einer Freiheit, die genaugenommen auch die Coolness-Gesetze der Szene entgrenzte. Die Charmeoffensive von chic charmant & dauerhaft bestand eben darin, dass die Leute unglaublich naiv, ohne irgendeine Vorbelastung sich ihre eigene Modewelt schufen. Sie wollten nichts sagen, nichts erreichen. Diese Naivität war eine Kraft, die viel bewegte. Ein Haufen schriller Gestalten ist einfach über improvisierte Laufstege gelaufen, gehampelt, gestöckelt, hat einen Recorder daneben gestellt, den Staat ausgetanzt und es kamen hundert Leute.

Allerleirauh war dann die nächste Ebene. ccd hat sich verkleidet, Allerleirauh hat sich kostümiert. ccd war noch improvisiert, Allerleirauh wurde inszeniert. Der Wandel vollzog sich, indem Geli Kroker und Kathi Reinwald, zwei der Frauen, die bereits bei ccd aktiv waren, begannen, nicht mehr bereits vorhandene Klamotten zu kombinieren oder zu manipulieren, sondern für die Shows Modelle aus Leder zu nähen. Sie kreierten ein komplett eigenständiges Design und dieses wurde zu einem Label. Die Models glichen Fabelwesen und sahen in den neuen Kreationen aus wie Faune oder wie martialische Feen. Ihr Haar war durch zu Hörnern deformierte Reifröcke geflochten, ein ausgestopfter Fasan trohnte als Kappe auf einem Haupt. Allerleirauh arbeitete schon damals mit Körperverlängerungen wie man sie später bei Rebecca Horn sehen konnte. Sie waren Profis, auch wenn sie manchmal geklebt haben, wo man eigentlich hätte nähen müssen. Aber ihr Ausdruckswille und dessen Umsetzung in Objekte und Inszenierungen war imponierend. Verschiedene Genres griffen ineinander, Modedesign, Bühnenbild, Musik, Schauspiel, Licht.

Um diesen Bühnenzauber tatsächlich auf Show-Format zu frisieren, war es unerläßlich, sich innerhalb der DDR-Struktur eigene Strukturen zu schaffen. Das setzte ein hohes Maß an Beschaffungsenergie voraus. Leder, welches sozusagen das tragende Element aller Kollektionen war, war in den Geschäften nicht zu sichten. Auch keine Textilfarbe, keine Nieten, keine Schnallen usw. Mit einer für DDR-Verhältnisse unglaublichen Dreistigkeit fuhren die Entschlossensten direkt vor die Tore der jeweiligen Fabriken, gaben dem Pförtner zwei Kästen Bier und bekamen dafür zum Beispiel einen Eimer Textilfarbe. Leder wurde am Handel vorbei organisiert, Geld war zum Ausgeben da, denn durch die private Billigproduktion von bedruckten T-Shirts verdiente man an einem Wochenende durchaus das Jahresgehalt eines besser verdienenden Arbeiters.

Die eigenen Bedürfnisse und Pläne waren das Primat der Stunde bzw. der letzten Jahre der DDR. Durch das Aufziehen einer florierenden Privat- bzw. Schattenwirtschaft wurde die eigene Arbeitskraft der sozialistischen Produktion entzogen. Das war mehr als ungewöhnlich und die schwer beschäftigten Arbeitslosen waren durchaus einem Rechtfertigungsdruck gegenüber den staatlichen Organen ausgesetzt. Allerdings wurde die DDR als Vormundsstaat nicht mehr wahrgenommen, niemand fragte nach Erlaubnis, in einem Akt der Selbstermächtigung wurde einfach gemacht, was einem notwendig bzw. attraktiv erschien. Die Frage, ob sich diese Leute noch „einbringen“ wollten in die Gesellschaft, die stellte sich zu diesem Moment längst nicht mehr. Alles, was man in der DDR in unabhängigen Strukturen und ohne Absegnung von oben initiiert hat, war politisch. Und deshalb waren ccd und Allerleirauh per se politisch. Sie waren Künstler und Hedonisten in einem weitestgehend lustfeindlichen, unsinnlichen Staat. Was nicht berechenbar war, wurde reflexhaft abgelehnt. Insofern war auch der nicht berechenbare Hedonismus eine politische Angelegenheit, eine Dissidenz der Unpolitischen.

Behörden und Kulturwächter überwältigte man mit einer Frechheit, die nicht nur in völligem Gegensatz zur DDR-Mentalität stand, sondern auch zu den Fantasie-Welten, die Allerleirauh kreierte. Allerleirauh war Theater, war Spektakel, das eine Märchenwelt beschwor. Hinter den Kulissen aber agierte man äußerst pragmatisch. Das gilt auch für die Tatsache, daß dieser Kreis von Leuten als Matriarchat funktionierte. Es gab wohl kaum eine Szene, die derart Frauen-dominiert war. Die Männer durften den Transport übernehmen, die Bühnen zusammenzimmern, die Technik betreuen und auch als Model repräsentieren. Das kreative Zentrum aber lag vollständig in den Händen von Frauen. Insofern bestand auch ein wesentlicher Unterschied zur Männer-dominierten Punkszene, auch wenn es viele Überschneidungen gab. Die Punks waren zudem durch ihre Härte und ihre Szene-immanente Arroganz sexuell weniger frei, konnten mit Emotionen schlecht nach außen gehen, es sei denn mit ihrer Wut. Wohl deshalb war die Frauen-Quote in der Punkgemeinde auch eher niedrig.

Die Mode-Szene war sicher nicht frei von Ironie, doch sie stand, im Gegensatz zur Punk-Szene, nicht auf Sarkasmen. Damit dürfte die Anziehungskraft des Mode-Mobs weitaus größer gewesen sein. Frauen durften weiblich sein, sich verwandeln und auch entblößen, ohne sich nackig zu machen. Schon durch die Wahl des Leders als Basisstoff für die Kollektionen wurde eine Sinnlichkeit in den Inszenierungen der Modespektakel beschworen, die der Fotograf Sven Marquardt in seinen Bildern noch zu übersteigern wußte. Am Ende wurde Allerleirauh dann zur unbeabsichtigten Travestie eines Staatstheaters. Jedenfalls, was den Aufwand anging, mit Pyrotechnik, Lichtorgeln und Tendenzen, die an Gigantomanie grenzten. Zumal in der gemeinsamen Arbeit mit Pankow, einer Band, die über eine staatliche Einstufung sowie über einen Plattenvertrag mit Amiga verfügte, auch das Experiment, wie es einst mit Ornament&Verbrechen eingegangen wurde, einer Rockshow wich.

Die letzte Aufführung fand 1990 als Rauhensee im Stadtbad Oderberger Straße statt. Ornament&Verbrechen waren in einer etwas anderen Besetzung unter dem Namen Bleibeil als Begleitkapelle wieder an Bord. Ihre Shanty-haften Songs wirkten an diesem Abend schon entrückt und wehten wie von weit her herüber. Die Show war die letzte große Inszenierung, danach fiel der Vorhang.

Es war der Schwanengesang einer Szene, die in einem scheintoten System glühte wofür sie brannte.

Dieser Text ist Auszug aus dem im Verlag “Neues Leben” erschienenen Buch “Leck mich am Leben – Punk im Osten” (Herausgeber: Frank Willmann). Der Autor Henryk Gericke war seinerzeit in der Punkbewegung der D.D.R. aktiv und betreibt heute die Staatsgalerie Prenzlauer Berg.