Netanjahu: Angezählt bis Neun
Einschätzung und Überblick über Wahl und Parteien des Parlaments von Israel.
Benjamin Netanjahu hat seine bisherige Mehrheit im Parlament von Israel verloren. Jetzt muss er sich in der Knesset eine neue basteln. Das wird schwierig. Denn diejenigen nationalistisch-militaristischen parteireligiösen und faschistischen Kräfte, die ihn bisher gestützt haben, sind entweder verdunstet oder haben schlechter abgeschnitten als erwartet.
Zuerst mal die Ergebnisse im Einzelnen (in Knesset-Sitzen, Quelle: Ynet):
Likud-Yisrael Beiteinu („Likud – Unser Haus Israel“), Vorsitzender Netanjahu: 31 Sitze
Yesh Atid („Es gibt eine Zukunft“), Vorsitzender Yair Lapid, im israelischen politischen Spektrum allgemein dem „Zentrum“ zugeordnet. Hat sich für eine von Netanjahu geführte Regierung bereits offen gezeigt: 19 Sitze
HaAvoda („Arbeits“-Partei) zionistisch-kolonialistisch, Vorsitzende: Shelly Yachimovich. Die klassisch-„sozialdemokratische“ Verräterpartei hat ein paar Aktivisten aus der ehemaligen Sozialbewegung eingeatmet und bisher eine erneute Koalition mit Netanjahu abgelehnt: 15 Sitze
Shas (Shomrei Sfarad, „Wächter der Tora“), parteireligiöse Ultras: 11 Sitze
Habayit Hayehudi („jüdisches Heim“, zionistisch-kolonialistisch, rassistisch, faschistisch). Vorsitzender und Führerfigur: Naftali Bennet. Migrationshintergrund (Sohn von Einwanderern). Ex-Soldat, als Offizier Teilnehmer an der (gescheiterten) Invasion im Libanon 2006. Im spionage-technologischen Komplex zum Millionär geworden. Wahlergebnis: 11 Sitze
Yahadut HaTorah HaMeukhedet („Vereinigtes Tora-Judentum“, parteireligiöse Ultras): 7 Sitze
HaTnuah („Die Bewegung“), Ein-Frau-Unternehmen von Zipi Livni, nachdem sie am 27. März 2012 die Wahl zur Vorsitzenden von Kadima verlor. Livni war Außenministerin unter Premier Ehud Olmert während des erwähnten Angriffs auf den Libanon 2006, sowie während des (gescheiterten) Angriffskrieges gegen den Gazastreifen zur Jahreswende 2008/2009, bei dem allein über tausend Zivilisten vom israelischen Militär getötet wurden. Entsprechend wird sie dem politischen „Zentrum“ Israels zugeordnet, was ungefähr hinkommt: 6 Sitze
Meretz („Energie“). Zionistisch. In der israelischen Definition (der sich mittlerweile die deutsche angenähert hat) „links“, was ich nicht nachvollziehen kann. 1992 gegründet fusionierte sie 2004 mit der der Partei Jachad („Gemeinsam“), nannte sich dann auch so und benannte sich dann wieder um in Meretz. Ein Haufen Parteileichen, der nichts kann außer versagen und verraten. Konsequenterweise „Beobachter“ bei der „Sozialdemokratischen Partei Europas“. 6 Sitze
Ta´al – Ra‘am (Tnu‘a Aravit LeHithadshut, „Arabische Bewegung für Erneuerung“, sowie die „Vereinigte Arabische Liste“). Ein wenig ethnisch fokussierte Vertretung „arabischer“ Israelis. Rechtsradikale und Rassisten, Verzeihung, gediegene Vertreter der Mitte Israels versuchten die Partei mehrfach zu zerschlagen und zu verbieten. 5 Sitze
Hadash („Neu“, Acronym für „Demokratische Front für Frieden und Gleichheit). Ohne Einzelpersonen zu Nahe treten zu wollen: Hadash repräsentiert einen Rest der seit Jahrzehnten auf ganzer Linie gescheiterten alten Linken in Israel. 4 Sitze
Balad (Acronym für „Nationale Demokratische Sammlung“). Wagt es ebenfalls die Interessen der „arabischen“ Israelis zu vertreten und die sogar zu Abgeordneten zu machen. Sieht sich mehr als Vertreter von Palästinensern als Vertreter von Israelis. 3 Sitze
Kadima („Vorwärts“). Wurde 2005 von Ariel Sharon gegründet und blitzschnell größte Partei des Landes. Zog alle möglichen Mitläufer und Karrieristen aus allen anderen Parteien an (natürlich auch Zipi Livni). Nachdem Sharon 2006 ins Koma fiel übernahm Ehud Olmert den Vorsitz, 2008 Zipi Livni, die Außenministerin der Regierung Netanjahu werden durfte. Wie erwähnt verlor Livni im März 2012 den Vorsitz an Shaul Mofas. Gestern nun sank Kadima, aber nur ein bisschen: von 28 Sitzen bei den Wahlen 2009 auf ganze 2 Sitze.
Um ein Haar wäre die bislang stärkste Parlamentspartei Israels an der Zwei-Prozent-Hürde gescheitert.
Insgesamt umfasst der nicht existierende „Block“ der Radikalen Rechten, der potentiellen Steigbügelhalter Netanjahus (eine Ansammlung egomanischer Heuchler die ausschließlich selbstsüchtige Ziele verfolgen und jederzeit für ein paar Schekel mehr den Parteigott wechseln) nur 62 von 120 Knesset-Abgeordneten, die fast vollständig verschwundene Kadima miteinberechnet.
Gerade die zwei Kadima-Abgeordneten spielen hier das Zünglein an der Waage. Mit deren Hilfe (es stünde dann 60:60) und ein, zwei Überläufer aus Likud oder Klerikalen könnte der nicht existierende „Block“ von nicht existierenden „Mitte-Links“-Parteien (eine Ansammlung egomanischer Heuchler, usw) Yair Lapid vom Moderator von Arutz 2 zum Moderator der Knesset befördern. Wenn der unbeschreibliche Präsident Shimon Peres mitspielt und Lapid mit der Regierungsbildung beauftragt. Das wird Peres machen, wenn aus Washington damit gedroht wird weniger Geld als bisher in das Lieblingsspielzeugland evangelikaler Verrückter am Mittelmeer zu überweisen. Es gibt eine gewisse Chance dafür, dass diese Nachricht aus Washington eintreffen könnte. Wohlgemerkt nicht aus dem Außenministerium, das hat gerade innere Probleme.
Erwähnenswert ist das völlige Verschwinden des Massenmörders und derzeitigen Verteidigungsministers Ehud Barak. Ehemals Vorsitzender der „Arbeits“-Partei gründete er Anfang 2011 seine eigene Partei „Unabhängigkeit“ (natürlich „Mitte“, „demokratisch“, etc), die in den Umfragen allerdings so regelmäßig Null bekam, dass Barak bereits letzten November lieber präventiv seinen „Rückzug“ aus der Politik verkündete.
Was schade ist: Da´am und Asma Agbarieh-Zahalka haben es leider nicht in die Knesset geschafft. Damit gibt es wieder keine Linken im Parlament von Israel. Jedenfalls keine, die man sehen oder hören kann.
Tja, ich glaube das war´s. Für heute.
(…)
Sie wissen von nichts:
11.03.2012 Netanjahu ist tot.
Über Yair Lapid schrieb bereits Uri Avnery. Lapid ist ein ganz normaler Garderobenständer aus der Unterhaltungsbranche, Teil der israelischen Oberschicht und des alten Parteiadels, sowie alter Duzfreund Netanjahus, der es aber immerhin fertiggebracht hat, ein, zwei normale Ideen zu haben und sich für diese nicht gleich in heiligen Grund und Boden zu schämen. Dazu zählt ein Rückzug aus den Besatzungszonen, soziale Mindeststandards für die gesamte Bevölkerung und eine Verfassung, die Israel nicht hat. Allein das reicht heutzutage aus, um eine ganze Bande Schurken (auch in Israel die “politische Klasse” genannt) hochgradig nervös zu machen und um die qua Protege und Gnade der heilig-wohlständigen Übergeburt (gern auch im Ausland) versprochenen Privilegien zur Ausbeutung der eigenen Gesellschaft bangen zu lassen.