„Die Zukunft hat schon begonnen“

Dokumentation: Die Rede von Dr. Eisenhart von Loeper, Rechtsanwalt und Sprecher des Aktionsbündnisses gegen S21, auf der gestrigen 163. Montagsdemo der Stuttgarter Bürgerbewegung gegen das Städtebauprojekt „Stuttgart 21“ (S21). Thema ist die heute in Berlin stattfindende Sitzung des Aufsichtsrats der Deutsche Bahn AG.

Liebe Freundinnen und Freunde,
wir erinnern uns an die Worte der Kanzlerin Angela Merkel vom September 2010, mit Stuttgart 21 entscheide sich die „Zukunftsfähigkeit Deutschlands“. Wie recht sie doch hatte, nur in ganz anderem Sinn als sie es dachte.

Wir sind zukunftsfähig, weil wir Stuttgart 21 aufarbeiten und beenden. Das geschieht jetzt: Der Pfeiler der Wirtschaftlichkeit ist eindeutig eingestürzt und auch die Säulen der Leistungsverbesserung und des Rechts sind dabei, wegzubrechen. Und wie schön für uns: Die große Mehrheit der Menschen unseres Landes will jetzt das Ende von S21. Die Wende aus dem Tal der Not ist zum Greifen nahe. Wie es im SWR-Fernsehen kam: Menschen wie die Brüder Werner und Rainer Sauerborn sind der Wahrheit wegen wieder auf gleichem Wege.

Aber Mächtige und Lobbyisten geben ihr Letztes: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und die Kanzlerin im Verein mit Bahnchef Grube erteilen die Order an die Aufsichtsräte, „Stuttgart 21 wird gebaut“. Damit verbauen sie das, wofür diese Bürgerbewegung kämpft, die Zukunft unserer Demokratie: sie veruntreuen das moralische und materielle Vermögen der Gemeinschaft, sie verschlechtern den Bahnhof und sie werden mittelbar schuldige Straftäter.
Doch das ließe sich verhindern: Morgen, am 5. März, wenn genügend Aufsichtsräte der Deutschen Bahn aufrichtige Statur zeigten und zu dem Antrag von Grube und Kefer mehrheitlich das Signal gäben: Schluss mit dem Debakel. Die Erhöhung des Finanzrahmens um zwei Milliarden Euro, die der Bahnvorstand für die Fortführung von Stuttgart 21 beantragt, wird abgelehnt.

Wenn es mit rechten Dingen zugeht, wenn die Aufsichtsräte ihre gesetzliche Kontrollaufgabe erfüllen, dürfen sie den Weiterbau von S21 nicht mehr zulassen. Das gegenteilige Machtwort des Bundesfinanzministers, Stuttgart 21 werde gebaut, haben wir in einem Schreiben an ihn als aktienrechtlich unzulässigen Übergriff zurückgewiesen. Für das Aktionsbündnis habe ich auch den Aufsichtsräten in die letzten Tage erneut eindringlich schriftlich untermauert, dass sie bei pflichtgemäßem Verhalten Stuttgart 21 jetzt in jedem Falle beenden müssen.
Und mit der gestrigen Pressemitteilung haben wir betont: Die Aufsichtsräte dürfen auch nicht der laut SPIEGEL diskutierten Schein-Lösung zustimmen, die dem Vorstand für S21 die alleinige Entscheidung entziehen und ihn zur Klage auf Milliardenzahlungen gegen Stadt und Land verpflichten soll. Statt jahrelang enorm kostentreibende und nicht erfolgversprechende Prozesse zu inszenieren, muss der Aufsichtsrat diesem S21-Irrsinn jetzt ein Ende setzen.

Warum? Weil der Bahnvorstand am 12.12.2012 eingestanden hat, dass der bis zuletzt wahrheitswidrig beschworene Kostendeckel von 4,526 Milliarden Euro um 2,3 auf 6,8 Milliarden gesprengt wird. Wenn die Bahn diese Kosten allein übernehmen muss, bedeutet das eine Negativverzinsung des Eigenkapitals von 0,3 %. Das Projekt ist damit eindeutig aktienrechtlich unzulässig, da unwirtschaftlich, weil niemand sehenden Auges dem Unternehmensinteresse schaden darf. Missachten die Aufsichtsräte ihre Kontrollpflicht zur Betreuung fremder Vermögensinteressen, drohen ihnen Schadensersatzansprüche in unbegrenzter Millionenhöhe und die Strafverfolgung durch die Justiz wegen Untreue. Übrigens bestätigen die von der Bahn eingesetzte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC und das Dossier des Bundesverkehrsministeriums , dass die 6,8 Milliarden nicht alle Kosten und Risiken belastbar einbeziehen, so dass weitere Milliarden Mehrkosten – auch des fehlenden, nicht genehmigten Brandschutzes wegen – zu erwarten sind.

Bahnchef Grube und das Kanzleramt haben dennoch einen Plan ausgeheckt, wie das Aus von S21 zu vermeiden sei: Der Finanzbedarf wird nach bekannter Täuschungsmethode heruntergeschönt auf zwei Milliarden Euro. Dieses politisch motivierte Herunterrechnen der Kosten um 300 Millionen ist ein geradezu krimineller Trick, den der Aufsichtsrat als Kontrollorgan nicht zulassen darf.

Der Löwenanteil von den 300 Millionen, nämlich 224 Millionen, betrifft den sogenannten verbesserten Filderbahnhof. Das ist aber nicht auf das Land abzuwälzen, weil damit nur eine nie genehmigte Fehl-planung der Bahn korrigiert wird. Auch weitere 76 Millionen Euro für Folgekosten der „Schlichtung“ sind unbegründet. Die Verantwortlichen der Bahn dürfen nicht auch noch millionenschwer für ihre Tricksereien belohnt werden. Im Übrigen wird S21 allein schon deshalb unwirtschaftlich, weil die Bahn beim Weiterbau bis zum bitteren Ende an die Stadt Stuttgart wenigstens 150 Millionen Euro für jahrelange Verzögerungen bei der Übergabe des Gleisvorfeldes drauflegen muss.

Was ich makaber finde: Der Beschlussantrag des Vorstands erzeugt für den Aufsichtsrat eine geradezu erpresserische Zwangslage, weil über unvermeidliche spätere Kostenerhöhungen erst später entschieden werden soll. Indirekt schafft der beantragte Freischein für zwei Milliarden die mit der Salamitaktik verbundene Nötigung, weiteren Milliardenkosten später zuzustimmen. Denn weil jeder Weiterbau etwa bei den Tunnelarbeiten mit gewaltigen Mehrkosten verbunden ist, wird der spätere Ausstieg dann aus wirtschaftlichen Gründen immer mehr erschwert.

Im unwürdigen System der Lüge bleibt die Bahn sich treu: So schönen Grube und Kefer die realen Projektkosten systematisch nach unten, aber die sog. Ausstiegskosten rechnen sie hoch auf zwei Milliarden Euro. Man höre und man staune über die größten Brocken: 795 Millionen Euro sollen für den Ausstieg an die Stadt zurückgehen, obwohl das im Wert von 150 Millionen für schon bebaute Grundstücke unmöglich ist und obwohl das vorhandene Gleisvorfeld sowieso erhalten bleiben muss für die Privatbahnen und wegen der um 30% schlechteren Leistung des Schiefbahnhofs. Weiter: 411 Millionen soll die gar nicht sichere Rückzahlung von Investitionszuschüssen betreffen und 548 Millionen Euro werden für Schadensersatz aus Bau- und Ingenieurverträgen behauptet, obwohl das in keiner Weise nachvollziehbar ist und allenfalls 10 % davon realistisch sein könnte. Die sog. Ausstiegskosten können für angefallene und noch auszugleichende Kosten bei 400 bis 500 Millionen Euro liegen. Dann kommt aber der Ausstieg für die Bahn derzeit um wenigstens zwei Milliarden Euro günstiger als der Weiterbau.

Liebe Freundinnen und Freunde, eigentlich sind wir Bürger die bürgerschaftlichen Aufsichtsräte der Bahn. Genau wie der offizielle Aufsichtsrat es tun müsste, schauen wir darauf, ob Stuttgart 21 nicht allein wirtschaftlich, sondern ob es auch sinnvoll, leistungsfähig und rechtmäßig wäre. Daran fehlt es massiv: Jede weitere tägliche Investition in den gesetzwidrigen Kapazitätsabbau des Bahnhofs von 50 auf 32 Züge schädigt strafbar fremdes Vermögen. Das allein zwingt schon zum sofortigen Baustopp. Der Aufsichtsrat muss dies und die ihm genau mitgeteilte Vielzahl der Funktions- und Rechtsmängel und die Gerichtsverfahren zu S21 bei seiner Entscheidung mit beachten.

Was ist die Perspektive? Entweder entscheidet der Aufsichtsrat als Gefangener des Vorstands und der Kanzlerin. Dann kümmern wir uns darum. Dazu wird es dann einen heißen Herbst geben, wie die letzte Großdemo und die Campact-Kampagne zeigt. Oder das Murks-Großprojekt ist morgen am Ende, weil der Aufsichtsrat seine Kontrollaufgabe erfüllt. Dann sind Aufarbeitung und konstruktiver Neubeginn gefragt.

In jedem Falle gilt: Die Zukunft hat schon begonnen: WIR BLEIBEN OBEN

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