Stuttgart 21: „Vor der Hacke ist es dunkel“
Doumentation: Die Rede des Bundestagsabgeordneten Harald Ebner (Bündnis 90/Die Grünen) auf der gestrigen 165. Montagsdemo der Stuttgarter Bürgerbewegung gegen das urbane Umbauprogramm „Stuttgart 21“ (S21).
Das Projekt Stuttgart 21 begleitet uns alle hier nun schon seit einigen Jahren. Wir haben erlebt, wie die Kosten und die Projektrisiken systematisch verheimlicht und verschleiert wurden und leider hat sich bis heute wenig daran geändert. Und das trotz aller Bemühungen, auch auf parlamentarischen Wegen Licht ins Dunkel zu bringen.
Kein Mensch glaubt doch allen Ernstes, dass die jetzt veranschlagten Kostenerhöhungen das Ende der Fahnenstange sind. Auch Herr Grube und Herr Kefer glauben das nicht. Auf meine Frage im Ausschuss mussten sie ausdrücklich einräumen, dass sie weitere geologische Risiken definitiv nicht ausschließen können. Vor dem Haushaltsausschuss äußerte Herr Grube noch in der vergangenen Woche den Spruch „vor der Hacke ist es dunkel“. Gleichzeitig stößt man in Stuttgart bei Probebohrungen auf eine erste Doline. Wie groß sie ist und welche Mehrkosten nur an dieser Stelle entstehen, kann der Projektleiter noch nicht sagen. Hier wird Herrn Grubes 77 Millionen Euro Vorteil doch schon ausgegeben, bevor er den Haushaltsauschuss wieder verlassen hat. Wer soll dem Bahnvorstand und seinen Zahlen eigentlich noch glauben? Ich jedenfalls nicht!
Da werden (die vermeintlichen) 2 Milliarden Ausstiegskosten von der Bahn in den Raum geworfen. Aber diese sind nie unabhängig geprüft worden und noch schlimmer: mit den Projektpartnern wurde nie über einen Ausstieg oder mögliche Alternativen gesprochen und die laufende Überprüfung der Kos-ten durch den Bundesrechnungshof spielte für die Herren im Aufsichtsrat keine Rolle. Sie haben munter mal die Hand für ein nicht nur unsinniges, sondern vor allem unwirtschaftliches Projekt gehoben, das eine Eigenkapitalverzinsung der DB AG mit sich bringt. Die Bahn rechnet sich den Weiterbau weiterhin schön! Denn selbst nach ihren eigenen bisherigen Be-rechnungsmethoden ist das Projekt mit der jetzt beschlossenen Aufstockung des Kosten- und Finanzrahmens um weitere 2 Milliarden Euro tief in die roten Zahlen gerutscht.
Jedes privatwirtschaftliche Unternehmen, das Steuergelder nicht mit vollen Händen zum Fenster hinauswerfen kann wie die Bahn, wäre längst Pleite bzw. hätte solch inkompetentes Führungspersonal längst entlassen. Aber bei der Bahn ist das anders, da werden als Lohn für das Verschleiern und als Dank für das Festhalten an einem unwirtschaftlichen Projekt auch noch die hochdotierten Verträge des Vorstandes verlängert. Es wäre seitens des Aufsichtsrates an der Zeit gewesen, ein Zeichen zu setzen und endlich den Verstand einzusetzen, anstatt dem Marschbefehl aus dem Kanzleramt blind zu folgen. Wir werden im Rahmen unserer parlamentarischen Möglichkeiten den Aufsichtsrat nicht aus seiner Haftung entlassen, denn er hat sich klar für ein unwirtschaftliches Projekt ausgesprochen. Aber es geht noch dreister.
Frei nach der Devise „koste es was es wolle, nur bezahlen sollen es andere“, droht Minister Ramsauer nun mit einer Erhöhung der Bahnpreise, sollten sich Land und Stadt nicht an den Mehrkosten beteiligen. Ja wo sind wir denn, Herr Ramsauer? Dieser schlechte und an Unverschämtheit kaum zu überbietende Witz ist an sich ja kaum zu glauben, aber auf meine Nachfrage bei Staatssekretär Ferlemann im Ausschuss bekräftigte dieser die Aussage des Ministers und befand den Vorschlag als eine gelungene Maßnahme. Sein Kollege Jan Mücke wollte von alledem in der Fragestun-de am vergangenen Mittwoch aber schon wieder nichts mehr wissen. Seiner Aussage nach gehen den Bund Fahrpreiserhöhungen gar nichts an. Vielleicht sollte er mal seinen Chef darauf aufmerksam machen, bevor dieser wieder über Fahrpreise spricht…
Statt Verantwortung für Merkels Entscheidung zu übernehmen, versuchen Ramsauer und seine Stellvertreter die Konsequenzen ihrer Fehlentscheidungen auf das Land Baden-Württemberg oder wahlweise die Bahnkunden abzuwälzen. Schlechter Bahnhof, schlechtes Geld – da kann nicht noch gutes Geld hinterher geworfen werden. Es ist jetzt Merkels Bahnhofsprojekt, dann soll sie gefälligst auch zusehen, wo das Geld herkommt oder noch besser, endlich zur Vernunft kommen und aus dem Projekt aus und auf Alternativen umsteigen! Frau Merkel muss damit herausrücken, welche Folgen das Projekt für die Bürgerinnen und Bürger in der ganzen Republik hat. Sie muss den Leuten endlich sagen, wie sie ein unfinanzierbares Projekt finanzieren will! Woher kommt das Geld, wenn nicht von Stadt, Land oder Bahnkunden?
Bundesregierung und DB AG wollen uns weismachen, dass sie eine Gelddruckmaschine, ein haushaltspolitisches „perpetuum mobile“ gefunden haben. Sie nennen es: Stuttgart 21. Denn angeblich kosten die 2 Milliarden Euro die Bahn nichts. Ein langsamerer Schuldenabbau und schon sei das Problem behoben, sagt Herr Grube. Für alle anderen bedeutet es jedoch, die Bahn macht weiter Schulden, aber auch das ist für die Bahn kein Problem, sie hat ja bereits 17 Milliarden Euro davon und der Staat haftet ja schließlich. Wenn nicht über die Bahnpreise, dann wird Stuttgart 21 nur über den Verzicht auf andere dringend notwendige Projekte zu haben sein. Der schnelle Ausbau der Rheintalbahn und die Finanzierung des Offenburger Tunnels sind nur zwei Projekte, die dann auf die schwarze Liste der Bahn rücken könnten. Und das alles nur, weil sich Frau Merkel einmal politisch festgelegt hat, und ein Abrücken vom Projekt aufgrund eines befürchteten Imageschadens im Wahljahr für sie nicht in Frage kommt.
Ich sage Ihnen, das ist keine Politik im Sinne des Bürgerinnen und Bürger, sondern purer Machtinstinkt! Fakt ist und bleibt nach wie vor: Das Geld, das hier in diesen unsinnigen Bahnhof vergraben werden soll, fehlt an anderer Stelle und behindert die Umsetzung wichtiger verkehrspolitischer Projekte für viele Jahre. Auf keinen Fall dürfen jedoch die Mehrkosten auf die Fahrgäste abgewälzt werden. Auch die Projektpartner Land und Stadt haben glücklicherweise ihre Position immer wieder bekräftigt. Mir gäbet nix! Weder für die Mehrkosten, noch für die Flughafenanbindung, noch für irgendwelchen anderen Murks. Hier müssen alle Teile der Landesregierung standhaft bleiben und zu den gegebenen Versprechen stehen. Wir als Grüne im Bund unterstützen den grünen Teil der Landesregierung deshalb in seiner Auffassung, sich weiterhin nicht in die Diskussion um eine Beteiligung an den Mehrkosten hineinziehen zu lassen.
Die Sprechklausel bedeutet nicht mehr als: Reden ja – aber nicht über mehr Geld! Das Ergebnis der Volksabstimmung, der einstimmige Beschluss im Landtag und der Koalitionsvertrag besagen: 4,5 Milliarden Euro und keinen Cent mehr! Die Mehrkosten für das Projekt basieren nicht auf Luxuswünschen der Projektpartner, sondern auf den Planungsfehlern der Bahn und dem Grö-ßenwahn dieses Projekts. Die Grüne Bundestagsfraktion und ich werden uns im Deutschen Bundestag weiterhin dafür einsetzen, dieses Projekt zu kontrollieren und in Frage zu stellen. Wir werden nicht aufhören, für mehr Transparenz gegenüber dem Parlament und gegenüber der Öffentlichkeit zu kämpfen.
Ohne Sie alle hier wird es jedoch nicht gehen. Ihr Protest gegen dieses unsägliche Projekt macht den Verantwortlichen immer wieder deutlich, dass ein großer Teil der Bevölkerung dieses Projekt nach wie vor für Unsinn hält und sich für bessere, kostengünstige und leistungsstärkere Alternativen einsetzt. Mein Dank gilt an dieser Stelle Ihnen! In diesem Sinn: Oben bleiben!