„Staatsanwaltschaft sucht Teufel auf Erden“ der über Dresden gekommen ist

Ein subjektiver Prozessbericht von Martin Michel (Stadtrat/DIE GUTEN)

Dresden. Zum Showdown der sächsischen Demokratie fanden sich heute über einhundert Personen im Amtsgericht Dresden ein, um den Strafprozessauftakt gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König zu verfolgen. Aus Jena fuhr ein Bus mit etwa vierzig Unterstützern als Zeichen der Solidarität mit dem Pfarrer.

Das Medienecho auf den Prozess war enorm. Zahlreiche Journalisten warteten vor dem Gebäude, interviewten Sympathisanten und stürzten sich förmlich auf König, als dieser vor dem Gebäude erschien. Gegen 9.00 Uhr war der Gerichtssaal bis auf dem letzten Platz belegt und einige Menschen mussten enttäuscht das Gebäude wieder verlassen.

Verhandelt wird vor einem Schöffengericht, welches aus einem Vorsitzenden Amtsrichter (Stein) und zwei Schöffen (berufene Laien ohne juristische Ausbildung) besteht. Jedes Mitglied des Gerichts hat eine Stimme, wodurch die Schöffen den Berufsrichter gemeinsam überstimmen können.

Der Strafverteidiger Rechtsanwalt Johannes Eisenberg aus Berlin ist bekannt für seine offensive Prozesstaktik und so startete die Verteidigung auch direkt mit zwei Anträgen in den Prozess:

Katharina König (Mitglied des Landtages / Tochter von Lothar König) sollte als Berufshelferin dem RA Eisenberg zur Verfügung stehen, um die Verhandlung zu protokollieren und so dem Anwalt ein ungestörtes Agieren im Prozess zu ermöglichen. Eisenberg begründete diesen Antrag mit der Wahlfreiheit seiner Hilfsmittel und mit dem Verweis auf seine nicht lesbare Handschrift. Diesem Antrag gab das Gericht zwar in Teilen statt, jedoch nur unter der Bedingung, dass diese nicht an der Bank des Angeklagten Platz nehmen dürfe wie beantragt.

Als nächstes beantragte die Verteidigung die Anklageschrift nicht zu verlesen. Diese sei diffus und verheddere sich in Situationsbeschreibungen, die nicht mit konkreten Tatvorwürfen in einem Kontext gebracht wurden. Die Anklageschrift sei „unscharf und lückenhaft“ und mache im Gesamtbild Stimmung gegen den Angeklagten. Als Beispiel verwies RA Voigt auf die Nennung einer Aufenthaltsverbotszone in Dresden am fraglichen 19. Februar 2011, die es nach einer Antwort der Landesregierung (Anfrage im Landtag) nie gegeben hat. Die Verteidigung befürchtete, dass hierdurch die Schöffen von Anfang an beeinflusst werden würden (die Schöffen und die Öffentlichkeit können die konkrete Anklage erst bei Verlesung sehen). Außerdem wurde bemängelt, dass ein klarer konkreter Anklagesatz, welcher für das Verfahren relevant ist, fehle. RA Eisenberg fragte den Richter, wie König als Angeklagter „nachweisen soll, was er nicht gesagt hat, ohne zu wissen was er gesagt haben soll“. Der Rechtsanwalt bezeichnete die Staatsanwaltschaft als “faul”, da diese an vielen Stellen nicht konkret ermittelt beziehungsweise Beweise nicht einbezogen habe, nicht einmal der Familienstand Königs konnte angegeben werden.

Nach einer halbstündigen Pause wurde auch dieser Antrag abgelehnt.

Die Anklageschrift, die von der Staatsanwaltschaft verlesen wird, erscheint wie die Beschreibung eines Bürgerkriegsszenarios, um Dresden dem Erdboden gleich zu machen. Konkrete Tatvorwürfe scheinen eine eher untergeordnete Rolle zu spielen. Vielmehr wird Lothar König mit seinem „Lauti“ zu einer Art “Mobiler Einsatzzentrale” stilisiert, welche die „gewalttätige autonome“ Menschenmenge (die Anklage lässt den Verdacht aufkommen, dies sei der Terminus für alle Gegendemonstranten) zu Angriffen auf die Polizei befehligte. König soll – so die Argumentation – das Ziel gehabt haben, Europas größten Naziaufmarsch zu verhindern und ihm seien folgerichtig alle Mittel recht.

Eisenberg reagiert auf die Anklage mit einer umfangreichen Stellungnahme, in der er Gericht und Staatsanwaltschaft massiv angreift:

Das Verfahren sei „von schweren, die Voreingenommenheit der Staatsanwaltschaft belegenden Fehlern und von massivem Amtsmissbrauch der Ermittlungsbehörden geprägt.“ König sei kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt worden und auch mit Mitgliedern der JG habe niemand gesprochen.

Die Aussage des Vorsitzenden Richters, ihm seien die mehr als 170 Seiten Aktenmaterial nicht aufgefallen, hinterfragt Eisenberg. Diese seien bereits seit dem 17.4.2012 Teil der Akte. „Entweder lügt der Richter oder aber er hat das Aktenstudium vor der Eröffnungsentscheidung unterlassen oder aber er hat die Originalakte nicht genutzt.“ Eisenberg betont, dass Teile der gefundenen Akten entlastendes Material enthalten, welches einzelne Anklagepunkte widerlegt.

Eisenberg arbeitet sich dann an den einzelnen Tatvorwürfen ab, welche mit Beweismitteln und vorhandenen Beweismitteln der Verteidigung widerlegbar sind. Um die Komplexität nicht zu übersteigen, sei hier auf die vollständige Stellungnahme verwiesen.

Nach der juristischen Bewertung durch den Anwalt erfolgte eine Mittagspause, in der die Prozessbeobachter_Innen und Demonstrant_Innen gemeinsam eine Mittagsandacht vor dem Gerichtsgebäude abhielten.

Im Anschluss sagte Lothar König vor Gericht aus. Wie angekündigt, wollte er nicht abstreiten, sondern darstellen was er wirklich in Dresden am fraglichen 19.2.2011 getan hat.

In einem emotionalen Monolog führte König aus, dass ihm die Vorwürfe wie von der Staatsanwaltschaft dargestellt “sehr weh getan” haben. Er sei nicht nach Dresden gekommen, um zu Gewalt aufzurufen, sondern “um Schaden abzuwenden”. Er schilderte, wie er erst gegen das System der DDR kämpfte, was ihm zunächst durch sein Engagement den Studienplatz verwehrte und wie er später Pfarrer wurde. Er berichtete über die frustrierenden 90er, in denen fast täglich Punks, Alternative und bunte Menschen in Jena gejagt und mit körperlicher Gewalt konfrontiert wurden und nur Wenige in der Stadt seinen Worten Gehör schenken wollten.

Am Wichtigsten ist König allerdings nicht der Prozess um die eigene Person sondern der Schaden, der für das Demonstrationsrecht und die Meinungsfreiheit entstehen kann, wenn auf Demonstrationen niemand mehr Verantwortung übernehmen will, aus Angst vor staatlicher Verfolgung. Oft betont er, dass den Menschen nicht die Hoffnungen verbaut werden dürfen, sie nicht vereinzelt und hilflos vor Ungerechtigkeit stehen müssen, sondern gemeinsam etwas erreichen können.

So führte er detailliert seine Arbeit mit Demonstrationen aus, die eben nicht in Aufrufen zur Gewalt, sondern in der Begleitung junger Menschen, welche in gefährliche Konfliktsituationen geraten, besteht. Er verweist auf ein Vertrauensverhältnis zu Polizisten in ähnlichen Situationen (Wendland / G8), die seine Arbeit als deeskalierend schätzten.

Der erste Prozesstag hat zwei diametral verschiedenartige Weltbilder offenbart. Auf der Seite der Staatsanwaltschaft ein Krawall-Pfarrer, der mit gewaltbereiten Jugendlichen das Land bereist und Terror verbreitet und auf der anderen Seite ein Pfarrer, wie ihn viele Jenaer kennen – der eigenwillig, überzeugt, zielstrebig aber niemals gewalttätig für seine Ideale und die Ideale von jungen und älteren Aktivisten eintritt.

König selbst hat es auf den Punkt gebracht: “Ich bin Staatsbürger und nicht Staatsterrorist”.

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