172. Stuttgarter Montagsdemo: „Keine Enteignung für Stadtzerstörung!“
Die Rede von Parkschützer Matthias von Herrmann bei der heutigen 172. Montagsdemo der Bürgerbewegung gegen das urbane Umbauprogamm „Stuttgart 21“ (S21). Titel der Rede: „Keine Enteignung für Stadtzerstörung!“
„Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.“ So steht es in Art. 14 Grundgesetz.
Bahnchef Grube gestand im März diesen Jahres ein, dass er das Tunnelprojekt S21 mit dem Kenntnisstand von heute „nicht noch einmal beginnen würde“. Angesichts der sich häufenden Erkenntnisse über die wahren Risiken, die wahren Kosten und die vielfältigen Probleme des Tunnelprojekts spricht schon lange niemand mehr vom Wohl der Allgemeinheit, nicht einmal mehr so eifrige Schönredner wie Grube und Kefer.
Ein erfreulicher Erkenntnisgewinn seitens der Bahn – gepaart mit einer weiteren Demonstration geradezu absurder Schizophrenie: Trotz dieser Erkenntnisse, trotz dem öffentlichen Eingeständnis, dass S21 doch eigentlich widersinnig ist, hält die Bahn daran fest, Menschen in unserer Stadt zu enteignen – für einen Tunnelbahnhof, den nicht einmal mehr die Bahn haben will!
Am eklatantesten ist der Fall in der Sängerstraße: Hier soll ein Wohnhaus abgerissen werden – für einen Tunnelbahnhof, den keiner braucht! Etliche Bewohner wurden bereits aus dem Haus vertrieben. Diejenigen, die nicht einfach gehen wollen, die ihr Zuhause behalten wollen, will die Bahn jetzt enteignen! Wir erinnern uns, im Grundgesetz steht in Art. 14: „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.“ Kann etwas, das keiner braucht, trotzdem „zum Wohle der Allgemeinheit“ sein? Oder geht die Bahn mal wieder davon aus, dass Gesetze nur für alle anderen gelten?
Aber nicht nur die Wohnungen in der Sängerstraße sollen nach dem Willen der Bahn dem Tunnelwahnsinn zum Opfer fallen: Etwa 2.000 bis 3.000 Eigentümern droht hier in Stuttgart eine sogenannte Teilenteignung – für einen Tunnelbahnhof, dessen Fertigstellung angesichts der enormen technischen Risiken mehr als fraglich ist.
Worum geht es bei diesen Teilenteignungen? Es geht um die vielen Häuser im Kernerviertel, am Killesberg, von Feuerbach bis Degerloch, von Gablenberg bis Wangen, die die Bahn untertunneln will. Die Bahn will also quasi den unterirdischen Teil dieser Grundstücke haben – ohne auch nur im geringsten die Haftung für ihre Buddelei und die damit verbundenen Risiken zu übernehmen.
Nun könnte man sagen: Die Untertunnelung stört doch niemanden, die meisten Häuser können ja stehen bleiben und mehr als zwei Kellergeschosse hat niemand; alles was unter dem Keller ist, gehört einem zwar, aber brauchen kann man es eh nicht. Tatsache ist aber, dass die Banken davon ausgehen, dass ein S21-Tunnel unter einem Grundstück zu einer Wertminderung von etwa 20% führt. Da sieht die Sache dann schon anders aus. Das ist eine Teilenteignung, die ganz schön weh tun kann – spätestens, wenn man eine Hypothek aufnehmen will oder das Haus verkaufen will.
Neben dem direkten Wertverlust für das Grundstück bringt so eine Untertunnelung auch enorme Risiken mit sich – für die die Bahn keine Haftung übernehmen will. Die Juristen zu S21 haben sich intensiv mit diesen Haftungsfragen beschäftigt: Alle Betroffenen sollten sich unbedingt gründlich informieren und auf keinen Fall etwas unterschreiben.
Alles in allem plant die Bahn hier also Enteignungen in großem Stil – und nicht zum Wohle der Allgemeinheit, sondern für einen Tunnelbahnhof, an dem inzwischen selbst die Bahn ganz öffentlich zweifelt!
Nicht zum „Wohle der Allgemeinheit“ wird dieser Tunnelwahnsinn betrieben; nicht zum „Wohle der Allgemeinheit“ und auch nicht mit großer Überzeugung macht die Bahn immer weiter, hält am Tunnelbahnhof fest, obwohl sie peinliche Fragen zum Brandschutz und zur Leistungsfähigkeit nicht beantworten kann, obwohl sie keine brauchbare Lösung für den Filderbahnhof anbieten kann, obwohl die Finanzierung mehr als zweifelhaft ist … Warum das alles? Sind da lauter Verrückte und Masochisten am Werk?
Oder ist es vielleicht gar nicht die Bahn, die mit solcher Verbissenheit an etwas festhält, das selbst Bahnchef Grube nicht mehr für sinnvoll hält?
Ist es eigentlich Angela Merkel, die sich mit unglaublicher Verbohrtheit an den Tunnelwahn klammert, weil sie selbst dieses unterirdische Projekt zur Messlatte deutscher Zukunftsfähigkeit erklärt hat? Vermutlich ist es die Kanzlerin, die fürchtet, sich einen Zacken aus der Krone zu brechen, wenn wir S21-Gegner Recht bekommen. Im Wahlkampf kommt ihr die Frage ungelegen, wie zukunftsfähig ihr Tunnelprojekt denn ist. Eine Ausstiegsdebatte will sie nicht im Wahlkampf haben – da soll die Bahn lieber weitermurksen, weiter unsere Stadt verschandeln, Leute enteignen, … Hauptsache, die Dame wird in ihrem Wahlkampf nicht damit behelligt.
Und genau da sollten wir als gesamte Widerstandsbewegung einhaken: Wenn wir wollen, dass Schluss ist mit S21, dann müssen wir den Verantwortlichen auf die Füße treten und zwar am besten und wirkungsvollsten im Wahlkampf, also in den nächsten vier Monaten. Wenn Frau Merkel gerne einen Wahlkampf ohne S21 hätte, dann müssen wir dafür sorgen, dass sie die Wahl hat, S21 entweder jetzt zu stoppen oder eben einen Wahlkampf mit S21 zu bekommen.
Wir können Bahnchef Grube nicht anweisen, mit dem unsinnigen Projekt aufzuhören, wir können ihm nicht befehlen, unsere Stadt und ihre Bewohner in Ruhe zu lassen. Aber wir können jeden CDU-Kandidaten fragen, ob er es für gerechtfertigt hält, dass Bürger enteignet werden, dass Menschen ihr Zuhause verlieren, für ein Tunnelprojekt, das selbst Bahnchef Grube „nicht noch einmal beginnen würde“. Jeder von uns kann immer wieder fragen, ob christliche Politik à la Merkel bedeutet, Menschen zu enteignen für einen Tunnelbahnhof, den keiner braucht. Wir können die Frage oft, laut und öffentlich stellen. Wir können auf das Unrecht hinweisen, das hier geschieht. Wir können S21 zum unbequemen Thema im Wahlkampf machen!
Verstehen Sie mich nicht falsch: Es geht nicht darum, für oder gegen irgendeine Partei oder irgendeinen Kandidaten Wahlkampf zu betreiben. Als Widerstandsbewegung können wir eh nicht darauf setzen, dass eine der im Raum stehenden Koalitionsvarianten für uns S21 beendet, da müssen wir schon selbst dran bleiben und weiter Druck machen. Dazu sollten wir die Tatsache nutzen, dass all diese Politiker gewählt werden wollen. Da kommt ein Loser-Projekt wie S21 wirklich allen Kandidaten ungelegen. Und genau deshalb müssen wir alles daran setzen, dass die Politiker jetzt Farbe bekennen müssen – vor der Wahl! Für die CDU heißt das: Enteignungen rechtfertigen oder Stuttgart 21 stoppen.
Wenn Angela Merkel zu eitel ist, sich von dem gescheiterten Murksprojekt S21 zu verabschieden, dann müssen wir den Finger in die Wunde legen, bis es weh tut. Die Kanzlerin hat die Wahl vor der Wahl: Entweder sie gibt Stuttgart 21 jetzt auf oder sie steht für eine Politik der Enteignung, die mit christlichen Werten nicht zu rechtfertigen ist. Das ist unsere Stadt, wir lassen uns nicht enteignen!
Oben bleiben!