Weissnix-Sicherheit
Arbeiten wir alle zusammen, um den Terrorismus zu stoppen!
Das Sheriff´s Office von Palm Beach County, Florida, hat ein neues Video herausgebracht, in dem es die Bürger auffordert, es anzurufen, wenn etwas ungewöhnlich oder verdächtig erscheint, wie zum Beispiel ein Tourist, der eine Brücke fotografiert, ohne dass jemand davor steht – keine Gemahlin, keine grinsenden Kinder, nur … eine Brücke.
Wenn es verdächtig erscheint, ruf an – denn, vermute ich, wenn jeder wachsam ist („Hallo, ich möchte zwei junge Männer melden, die mit Rucksäcken unterwegs sind“) und wir mit den Behörden zusammenarbeiten, dann wird Amerika in kürzester Zeit sicher sein wie Apfelkuchen.
Dieses Programm trägt den Namen Community Partners Against Terrorism (CPAT – Gemeinwesenpartner gegen Terrorismus), ich würde es allerdings als Weissnix-Sicherheit bezeichnen – die beruht auf Vorurteilen, unerforschten Ängsten, Selbstgerechtigkeit, Außenprojektionen und einer sozialen Organisation nach dem Prinzip wir gegen sie. Terroristen sind böse Leute mit undurchschaubaren Motiven. Alles, was wir wissen müssen, ist dass sie hinter uns her sind. Das ist die Botschaft der Terrorismus“experten,“ deren Autorität von ihrer Fähigkeit abhängt, uns verängstigt und wachsam zu halten.
Natürlich besteht ein realer Bedarf an Sicherheit, aber die Weissnix-Sicherheit stolziert mit diesem Bedarf herum, wobei sie oft genug die realen Gefahren, denen wir ausgesetzt sind, sowohl irgnoriert als auch verstärkt, während sie gleichzeitig Menschen massiven Unannehmlichkeiten aussetzt, die unschuldig in ihrem Netz gefangen werden, das sind die, die auf der falschen Seite der Farb- und Ethnizitätsgrenze unserer Gesellschaft stehen.
Als ich zum Beispiel über diese CPAT-Initiative las, dachte ich an einen Vorfall vor elf Jahren, der es zu seiner Viertelstunde nationaler Beachtung brachte und fein säuberlich alle Probleme mit der Weissnix-Sicherheit aufwies.
Am 12. September 2002 – einen Tag nach dem 9/11-Jahrestag – waren drei junge Medizinstudenten auf dem Weg nach Miami, wo sie ein Praktikum an einem Krankenhaus beginnen sollten. Bei Shoney´s Restaurant in Calhoun, Georgia, machten sie Halt. Eine in der Nähe sitzende Ortsbewohnerin dachte, sie hätte gehört, wie sie einen terroristischen Anschlag planten. „Wir werden es herunterbringen,“ sagte anscheinend einer von ihnen. Er sprach zwar von seinem Auto, aber macht nichts.
Die jungen Medizinstudenten waren amerikanische Bürger, aber sie waren auch Moslems. Sie rief die Polizei an.
Die drei wurden festgenommen, ihr Auto und das Motelzimmer durchsucht, ein 20 Meilen langer Abschnitt des lokalen Highways wurde einen ganzen Tag lang gesperrt – na und, nichts belastendes wurde gefunden. Immerhin waren sie ja Medizinstudenten. Sie wurden freigelassen, sie gaben einige Interviews, das Leben nahm wieder seinen normalen Lauf. Das tat es allerdings nicht.
Was dann geschah, war nichts mehr als eine ironische Fussnote zum anfangs geschilderten Nachrichtenkrampf. CNN berichtete damals: „Seit Freitag ersuchte das Krankenhaus die Studenten, einen anderen Platz zu finden, nachdem es zahlreiche Drohungen bekommen hatte. Der Präsident des Hospitals Dr. Jack Michel sagte am Samstag, sein Krankenhaus habe eine überwältigende Anzahl von e-mails und Anrufen bekommen, die er beschrieb als ‚bedrohliche rassistische e-mails, gerichtet gegen muslimische Amerikaner.’“
Kann mir bitte jemand sagen, wo in dieser Geschichte die terroristische Bedrohung steckt?
Amerikas Weissnix-Sicherheits-Team – Gemeinwesen und Polizei partnerschaftlich gegen Terrorismus – hat sich erfolgreich der Nicht-Bedrohung durch die drei muslimischen Studenten auf ihrer Fahrt durch Georgia in den Weg gestellt, aber in keiner Weise bemerkt oder sich Sorgen gemacht, oder sich vielleicht sogar beteiligt an wirklichen Drohungen mit Gewalt gegen, gütiger Gott, ein Krankenhaus. Dieser Teil war nicht einmal einen Bericht wert, nur ein „die sind halt solche Fanatiker“-Drüberstreuer, schnell vergessen, während Amerika zurückkehrte zur Ausschau nach Feinden, die sich gegen seine Lebensweise verschworen hatten.
Das wesentliche Merkmal der Weissnix-Sicherheit ist eine absolute Indifferenz gegenüber, und Unwissenheit über das Wesen von „denen“ – den Terroristen, Kriminellen und bösen Leuten, vor denen wir uns fürchten und nach denen wir Ausschau halten. Die gesamte Strategie ist darauf gerichtet, ungesetzliche Aktivitäten im Gange auszumachen und auszuschalten, hoffentlich ehe die Bombe hochgeht. Um der Explosion zuvorzukommen ist es wichtig, weitgehend rassisches Profiling und Schikanen durchzuführen: „sie“ routinemäßig zu belästigen, egal welches Chaos das in ihr Leben bringt.
Ein junger afroamerikanischer Freund, der in meiner Nachbarschaft in Chicago lebt, erzählte mir, was ihm vor kurzem passiert ist: Er hatte gerade das Restaurant seiner Mutter verlassen, sah, dass es draussen kälter war, als er gedacht hatte und kehrte um, um seine Jacke zu holen. Ein Polizist hatte ihn die ganze Zeit über beobachtet. Als der junge Mann die Richtung änderte, war das „verdächtig.“ Er wurde angehalten, durchsucht, musste sich mit ausgestreckten Gliedern an das Polizeiauto lehnen etc. Schliesslich ließ ihn der Polizist gehen. Das war Routine.
Wir investieren Milliarden von Dollars in Weissnix-Sicherheit und entfachen bei der Durchführung Ärger, Hass und gelegentlich Gegengewalt. Wenn es um wirkliche Sicherheit ginge, würden wir viel mehr Mühe und Geld investieren in Gewaltpräventionsprogramme wie CeaseFire und die wachsende Bewegung zur Stärkung der Gerechtigkeit, nicht zu reden von der Schaffung von Arbeitsplätzen.
Stattdessen erschaffen wir Feinde und führen ewigen Krieg gegen sie. Das ist eine absolute Einstellung, veranschaulicht durch die Standardprozedur des Militärs der Vereinigten Staaten von Amerika im Umgang mit dem Hungerstreik in Guantánamo, wie neulich von Al Jazeera enthüllt wurde. Common Dreams berichtet, dass „die Richtlinien des Militärs besonders beunruhigend waren, weil Ärzte und Krankenschwestern darauf hingewiesen werden, dass sie ‚Angehörige des Sicherheitsapparats’ und nicht befugt sind, bei der Erfüllung ihrer Pflichten als medizinische Fachkräfte ‚eigenständig zu handeln.’“
Sicherheit herrscht, und niemand ist sicher.
Orginalartikel Know-Nothing Security
Quelle: http://antikrieg.com/aktuell/2013_05_15_weissnix.htm