Im Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika scheint sich bezüglich der dem Präsidenten vor elf Jahren für weltweite Kriegführung erteilten „Carte Blanche“ ein Umdenken anzubahnen. Zu verdanken ist dieser Schwenk des Establishments auf Capitol Hill vor allem einer Frau: Barbara Lee.
Washington: Vor dem Militärausschuss des Senats erklärte gestern der Vize-Verteidigungsminister Michael Sheehan, zuständig für „Sonderoperationen“, der von den U.S.A. nach den Attentaten von 11. September 2001 ausgerufene weltweite Krieg werde „noch eine ganze Weile“ weitergehen, „mindestens 10 oder 20 Jahre“, so Sheehan. Die rechtliche Legitimation diesen Krieg überhaupt zu führen, basiert auf einer unmittelbar nach den Attentaten am 14. September 2001 durch beide Kongresskammern Präsident und Militär erteilten Ermächtigung: der „Authorization for Use of Military Force“ (Public Law 107-40; 50 U.S.C. 1541 note), kurz A.U.M.F..
Diese gilt noch heute.
Über eine Million Menschen in Afghanistan, Irak, Libyen und anderen Staaten der Welt, die durch Militärs, Agenten oder Söldner unter U.S.-Kommando oder -Verantwortung starben, wurden durch diese dem Präsidenten vom Parlament der U.S.A. pauschal erteilte Autorisation zur Anwendung militärischer Gewalt zu einem „Feind“, „Kollateralschaden“ oder einfach „Verdächtigen“, den man nach eigenem Gesetz berechtigt schien zu eliminieren.
Eine einzige Abgeordnete aus beiden Kongresskammern, Repräsentantenhaus und Senat, hatte seinerzeit den Mut gegen die faktische Kriegsvollmacht zu stimmen: Barbara Lee. Im Januar dieses Jahres nun brachte Congresswoman Lee zusammen mit anderen Abgeordneten den Gesetzentwurf H.R.198 „Repeal of the Authorization for Use of Military Force“ zur Aufhebung der A.U.M.F.-Ermächtigung ins Repräsentantenhaus ein. (U.S.-Gesetz zur Aufhebung der “War on Terror”-Ermächtigung vom September 2001).
Die Abgeordnete Lee dazu im April in einem TV-Interview.
„Ich bin überzeugt, wenn wir diese Autorisation für die Anwendung von Gewalt, gegen die ich in 2001 gestimmt habe, nicht aufheben, werden wir diesen Zustand perpetuitiven Krieges für immer erleben“
Die Regierung von Barack Obama und sein Militär unter Verteidigungsminister Chuck Hagel benutzen die in 2001 erteilte Kriegsvollmacht u.a. für ihren (zunehmend über Flugroboter / Drohnen geführten) Krieg in Pakistan und Jemen, der bereits Zehntausende Tote gekostet hat (genaue Zahlen sind nicht bekannt).
In 2011 bombardierten während der Invasion Libyens U.S.-Kampfflugzeuge das Land, C.I.A. und Sondereinheiten operierten am Boden. Präsident Barack Obama weigerte sich die verfassungsmäßig vorgeschriebene Autorisation des Kongresses für einen Krieg einzuholen und brach damit nicht nur Artikel 1 Absatz 8 der U.S. Constitution, sondern auch den wegen dem damaligen Krieg in Asien vom Kongress 1973 gegen den damaligen Obama Richard Nixon durchgesetzten War Powers Act. Obamas Legitimation: er führe gar keinen Krieg in Libyen. Der Kongress murrte ein bisschen und tat dann, was er seit elf Jahren gegen den Krieg tut: nichts.
Das deutlichste Anzeichen dafür, dass sich nun die Abgeordneten um Barbara Lee gegen die Kriegslobby langsam und zäh durchsetzen und die Stimmung auf dem Parlamentshügel Capitol Hill kippt, sind Äußerungen von Wetterhähnen wie Angus King. Der unabhängige Senator und ex-Gouverneur, Mitglied in den Senatsausschüssen für Geheimdienste, Militär und Staatsfinanzen (Haushalt), zeigte sich während der gestrigen Anhörung im Militärausschuss gegenüber Chuck Hagels Vize Sheehan und Pentagon-Berater Robert Taylor ungewöhnlich unverblümt. Nachdem beide Militärfunktionäre Kriegseinsätze wie in Pakistan und Somalia mit der A.U.M.F.-Ermächtigung aus 2001 gerechtfertigt hatten, äußerte sich der Senator wie folgt:
„Das ist die beunruhigendste Anhörung die ich seit langem erlebt habe. Ihr Kerle habt die Verfassung umgeschrieben.“
King warf den beiden Pentagon-Funktionären vor, sich sich selbst die Macht des Kongresses angemaßt zu haben den Krieg zu erklären.
Selbst Neokonservative wie ex-Präsidentschaftskandidat John McCain („Republikaner“) sind auf den Zug aufgesprungen. Der Senator warf den Zeugen während der Anhörung im Militärausschuss vor, sie betrachteten die seit 2001 geltende A.U.M.F.-Ermächtigung offensichtlich als eine „Carte Blanche für das was sie in der Welt tun“.
Der derzeitige Präsident der U.S.A. steht vor keiner Entscheidung. Der Kongress steht es. Sollte das Parlament der Vereinigten Staaten von Amerika seine dem Präsidenten in 2001 erteilte faktische Kriegsvollmacht aufheben und die Entscheidung über einen Kriegseinsatz u.s.-amerikanischer Soldaten wieder an sich reißen, käme dies dem (von Präsidenten und Militär sicherlich gleichermaßen nicht gewollten) Ende des perpetuitiven, sich verselbstständigten Krieges gleich, den die Welt seit über 11 Jahren erlebt hat.