Spionage-Affäre in Berlin: Kanzleramtsminister Pofalla sagt vor dem „Parlamentarischen Kontrollgremium“ (P.K.G.) der Geheimdienste aus. Ex-Kanzleramtsminister Steinmeier, der überraschend aussagen will, wird die Aussage verweigert. „Kontrollgremium“-Vorsitzender Oppermann vergleicht U.S.-Präsident Barack Obama indirekt mit Michael Gorbatschow.
Die unvollständige Zusammenfassung eines Tages in Berlin, den wieder kaum jemand verstehen wird, obwohl er durchaus historisches Potential hat.
Thomas Oppermann, Vorsitzender des „Parlamentarischen Kontrollgremiums“ der Geheimdienste des Deutschen Bundestages, ließ kurz vor Beginn der heutigen Sitzung in einem überraschenden Statement vor Reportern gleich mehrere politische Bomben platzen.
Zunächst sagte Oppermann, ihm sei das von der Regierung Merkel bekanntgemachte “Memorandum of Agreement” bezüglich der Kooperation von N.S.A. und B.N.D. vom 28. April 2002 überhaupt nicht bekannt.
Wie bitte?!
Am 7. August hatte die Regierung über ihren Sprecher Georg Streiter in der Bundespressekonferenz folgendes verlesen lassen:
„Es gibt bis heute keine Anhaltspunkte dafür, dass die NSA personenbezogene Daten deutscher Staatsangehöriger in Deutschland erfasst.
Unter anderem in der „Berliner Zeitung“ von heute wird auf eine Vereinbarung zwischen der NSA und dem BND Bezug genommen, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 geschlossen worden sei. Dazu kann ich Ihnen sagen:
Am 28. April 2002 wurde ein „Memorandum of Agreement” zwischen dem BND und der NSA zur zukünftigen Zusammenarbeit über die Einrichtung einer gemeinsamen sogenannten SIGINT-Stelle in Bad Aibling geschlossen, also eine gemeinsame Stelle für die geheimdienstliche Gewinnung von Informationen aus Signalen. – Das ist sozusagen die wörtliche Übersetzung dieses Fachbegriffs SIGINT.
Dieses Dokument ist bis heute die Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen BND und NSA in Bad Aibling. Dieses Abkommen geht zurück auf eine Grundsatzentscheidung des damaligen Chefs des Bundeskanzleramtes Frank-Walter Steinmeier.
Der Chef des Bundeskanzleramts, Bundesminister Ronald Pofalla, wird zu diesem Dokument und zu der Zusammenarbeit zwischen den Nachrichtendiensten insgesamt am kommenden Montag im Parlamentarischen Kontrollgremium ausführlich berichten.“
Thomas Oppermann, seit mehreren Jahren Vorsitzender der parlamentarischen „Kontrolleure“ der staatlichen Spione verlautbarte nun vorhin, er freue sich darauf, dieses „Memorandum of Agreement“ zum ersten Mal zu sehen. Er kenne es nicht.
Politbombe Nr. 2.: Oppermann sagte, bestimmt nicht zufällig, der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Barack Obama, habe in Washington „Glasnost“ ausgerufen. Das ist für alle relevanten „Spieler“ der Politik in Deutschland eine Sensation. Erstens vergleicht er Obama dadurch mit Michael Gorbatschow, dann das Imperium U.S.A. mit dem Imperium Sowjetunion und gibt drittens einen dezenten Hinweis auf genau die souveräne Demokratie, welche die im Schatten des großen Bruders im „Westen“ zu Profit, Posten und Privilegien gekommene Nomenklatura fürchtet wie der Vampir das Sonnenlicht der Öffentlichkeit.
Zudem versucht Oppermann und seine Witzpartei, die ehemalige Sozialdemokratische Partei Deutschlands, offensichtlich einen Begriffsvorsprung bezüglich der vom Auftritt Edward Snowdens ins Rollen gebrachte Spionage-Affäre aufzuholen.
Dazu folgender Hinweis: bei seiner letzten Rede und anschließenden Pressekonferenz am 9. August gab U.S.-Präsident Obama nicht nur äußerst vage Zusagen, man werde sich – eventuell – irgendwann mit der Parlament darüber unterhalten, ob man nach dem 11. September durch den Kongress gepeitschte Ermächtigungsgesetze für den Spionage-Komplex (der genau solche Attentate hätte verhindern müssen) wie den „Patriot Act“ wieder ein kleines bisschen zurückfahren könne (selbst das war den in 12 Jahren Krieg auch in Washington unumschränkt herrschenden Terrorkriegsrechtlern schon zuviel).
Die tatsächliche Brisanz in der Rede Obamas lag aber noch woanders.
Von mir während der Live-Übertragung vor lauter „gay and lesbian“, „Michelle“ und „did the dishes“ überhört, sagte Obama bei der Beantwortung der Frage eines Reporters folgendes:
„Wie ich in meinen Bemerkung zu Beginn gesagt habe, ich habe eine gründliche Überprüfung unserer Überwachungs-Operationen anberaumt, bevor Mr. Snowden diese Leaks verursacht hat.“
Nun, so hatte er das in der Rede nicht gesagt. Das hatte der Präsident bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch nicht gesagt.
U.a. bei der „American Civil Liberties Union“ A.C.L.U. zeigte man sich auf Anfrage der schwer irritierten „Chicago Tribune“ ahnungslos. Auf die Frage, was Obama damit gemeint haben könnte, äußerte sich A.C.L.U.-Direktorin Laura Murphy wie folgt:
„Ich habe keine Ahnung.“
So geht es zur Zeit einer Menge Leute auf dem Planeten. Hier übrigens das Statement von Julian Assange dazu, dem ebenfalls dieses nicht uninteressante Detail auffiel. Meiner bescheidenen Meinung nach liegt Julian in dieser Einschätzung übrigens grundfalsch. Mir ist dieses Rumgejuckel auf Edward Snowden peinlich. Mir ist die deutsche Öffentlichkeit, das Parlament, die Bevölkerung der Republik peinlich, die zu dumm ist die Zeitung zu lesen, zu feige ihren Job zu tun und wieder mal einen AMERIKAANAAA braucht, um dem seit fast 12 Jahren Krieg außerhalb von Verfassung und Recht agierenden Terrorkriegsrechtlern im Apparat eine einzige Frage zu stellen, deren Antwort sie bereits kennen würde, wäre sie nicht zu dumm die Zeitung zu lesen und zu feige ihren Job zu tun.
Zurück zum Statement des Vorsitzenden das „Parlamentarischen Kontrollgremiums“.
Oppermanns Politbombe Nr.3: er verkündet, S.P.D.-Fraktionsführer und ex-Kanzleramtsminister (1998-2005) Frank-Walter Steinmeier sei vor Ort und bereit, Auge in Auge zu Aussagen vom derzeitigen Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (C.D.U.) Stellung zu nehmen. Er werde, so Oppermann, dem „Kontrollgremium“ vorschlagen Steinmeier zur Sitzung einzuladen.
Das war gegen 10.15 Uhr.
11.25 Uhr. Steinmeier tritt vor die Kameras. Das „Kontrollgremium“, in dem C.D.U., C.S.U. und F.D.P. die Mehrheit haben, hat seinen Auftritt abgelehnt.
Abgelehnt! Nach der ganzen Arie von Vorwürfen, explizit gegen Steinmeier.
Eine unfassbare Blamage für die zweite Regierung Merkel, nachdem man sich mit Steinmeier und seiner von Schröder geerbten Partei doch zwischen 2005 und 2009 so gut verstanden hatte. Und nun das.
Steinmeier nutzt dann auch die Gunst der Stunde, blendet aber seine vier Jahre als Steigbügelhalter der Kanzlerin Angela Merkel und ihrem damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble völlig aus. Stattdessen lässt Steinmeier weitere Sensationen folgen.
Steinmeier, auf genau das von ihm mutmaßlich als Kanzleramtsminister selbst bewilligte “Memorandum of Agreement” bezüglich der Kooperation von N.S.A. und B.N.D. vom 28. April 2002 angesprochen, von dem eben sein Parteifreund und P.K.G-Vorsitzender Thomas Oppermann ausgesagt hat dass er es nie gesehen hat, tut zunächst ebenfalls so, als kenne er dieses nicht und möchte, dass ihm dieses vorgelegt wird. Dann sagt er sinngemäß, nun ja, er könne sich vorstellen, welches Agreement gemeint sei, nämlich die Übernahme der U.S.-Spionage-Einrichtung in Bad Aibling durch die deutschen Regierungsbehörden in 2002.
Dieses Abkommen hätte damals aber, so Steinmeier, keine Maßnahme zur „Ausweitung“ von Überwachungsmaßnahmen a la PRISM, etc, dargestellt, sondern im Gegenteil deren „Einschränkung“ bedeutet. Seine damalige Regierung von S.P.D. und Bündnis 90/Die Grünen hätte „nicht im rechtsfreien Raum“ agiert. Im Gegenteil hätte dieses Abkommen mit den U.S.-Behörden die in Bad Aibling getätigten Spionage-Maßnahmen zum ersten Mal „deutschem Recht und Gesetz“ unterstellt. Zum ersten Mal. In 2002.
Die Tragweite dieser Verlautbarungen und tatsächlichen Enthüllungen wird, so fürchte ich, wieder einmal kaum jemand begreifen.
Aber immerhin: sie passieren.
In unserer aus ex-Wessi / ex-Ossi zusammengesetzten Mannschaft von Radio Utopie ist der Vergleich mit der 1989 aufkeimenden Stimmung in Deutschland immer wieder Thema.
Es herrscht, zumindest das berühmte bisschen, Glasnost in Berlin.
(…)
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