„Soll die Bahn doch klagen, dann müssten endlich Fakten auf den Tisch“
Die Rede von Dipl.-Phys. Wolfgang Kuebart, Ingenieure22, auf der heutigen 185. Stuttgarter Montagsdemo der Bürgerbewegung gegen das Städtebauprojekt „Stuttgart 21“ (S21). Die Rede, mit dem Titel „Kein Moos für Murks, Herr Finanzminister Schmid!“, wurde zuerst auf Bei Abriss Aufstand veröffentlicht.
Die nächste Tranche der Landeszahlungen für das Projekt Stuttgart 21 steht an, 25 Millionen Euro soll das Land (als Konsortialführer der Projektpartner) zum 31.8.2013 an die Deutsche Bahn bezahlen, als zweite Halbjahresrate für den sogenannten „Baufortschritt“. Wir wollen uns ansehen, ob das gerechtfertigt ist.
Als Ingenieure sehen wir zunächst unsere ureigensten Themen: Gleisneigung, Brandschutz, Grundwassermanipulation, Eichenpfähle, Verkehrsbehinderung, Feinstaubbelastung, geologische Gefahren, ganz zu schweigen von dem, was auf den Fildern als Filderbahnhof entstehen soll – eine nicht enden wollende Liste von Murks, der nicht funktioniert, nicht durchgeplant, nicht zeitgerecht realisierbar ist, wenn es denn überhaupt schon einen fertigen Plan dafür gibt. Man baut ein Projekt auf Sicht, bei dem eine konkrete Vorplanung über mehr als ein Jahrzehnt notwendig wäre. Manche Planung ist, wie wir wissen, noch nicht einmal auf dem Genehmigungsweg der Planfeststellung resp. Planänderung. Wie Architekt Gerkan zu Berlin Schönefeld schreibt: Kein Konzept, nur unstillbares Verlangen!
In den vergangenen Wochen und Monaten haben wir hierüber genug Grausamkeiten offenbart. Wann immer wir uns an die Bundesregierung, das Land oder die Stadt wandten, um die Unzulänglichkeit der Planung anzuprangern, wurde uns stereotyp die Formel entgegen geschleudert, „Stuttgart 21 sei ein eigenwirtschaftliches Projekt der Deutschen Bahn, mithin könne man zu den Problemen keine Stellung nehmen noch den Bauträger beeinflussen“. Das alles wollen wir heute beiseite lassen. Am Vorabend der nächsten Millionenzahlung widmen wir uns nur einem Thema, dem Geld.
Rufen wir uns noch einmal ins Gedächtnis, warum die meisten Menschen, die das Projekt befürworten, gegen den Ausstieg des Landes aus der Finanzierung von Stuttgart 21 gestimmt haben: Erstens fürchteten sie die hohen Ausstiegskosten, zweitens wollten sie unbedingt, dass die Mittel, die Baden-Württemberg in den Länderfinanzausgleich zahlt, auf diese Weise wieder zurück ins Musterländle fließen. Wir wissen es besser: Die Ausstiegskosten wurden zu allen Zeiten exorbitant übertrieben, und dass wir erheblich weniger durch Stuttgart 21 zurückbekommen als wir mittelbar und unmittelbar für das Projekt bezahlen, wurde bereits 2011 in der Broschüre „Abgezockt und abgehängt“ und mit Hilfe der Animation „Wer zahlt Stuttgart 21?“ dargelegt.
Schon damals wurden die finanziellen Hauptgewinner genannt: die Deutsche Bahn und ihr Eigentümer, die Bundesrepublik Deutschland.
Im April 2009 wurde die Finanzierungsvereinbarung unterschrieben, die einen Ausstieg aus dem Projekt praktisch unmöglich machen sollte. Kündigen konnte man den Vertrag nur bis Ende 2009. Trotz einer ersten Kostenexplosion von 3,1 auf 4,9 Milliarden Euro, die vor der Gefahr der Kündigung durch die Projektpartner vom „ehrlichen Hamburger Kaufmann“ Grube auf angeblich 4,1 Milliarden Euro gedrückt wurde, haben die Projektpartner nicht von ihrem Kündigungsrecht Gebrauch gemacht, obwohl die Aufteilung von Mehrkosten nicht geregelt war. Das ist grob fahrlässig oder bewusste Untreue.
Nachdem Ende 2011 mit der Volksabstimmung über einen möglichen Ausstieg des Landes aus der Finanzierung weite Teile der Bevölkerung hinsichtlich der wahren Kosten erneut hinters Licht geführt worden waren, konnte man 2012 langsam aber sicher die Katze aus dem Sack lassen. Die Deutsche Bahn holte sich insgesamt drei Beratungsbüros McKinsey, Freshfield und Emch+Berger zur Projektsteuerung ins Boot. Man nannte das Ganze 6-Punkte-Programm (6PP, s.u.) und versuchte ein dreiviertel Jahr, das aus dem Ruder laufende Projekt einzufangen. Ende 2012 holte man sich als weiteren Berater PricewaterhouseCooper dazu, das 6PP mutierte zum 10PP.
Ich möchte nur ein Highlight aus diesem Projektcontrolling zitieren: Es stellte sich heraus, dass mit Stand September 2012 von 1084 notwendigen Vereinbarungen zu Leitungsverlegungen und Kreuzungen noch 1011 nicht bearbeitet, ja ohne technische Lösung waren, woraus extreme Terminrisiken erwuchsen, da etwa ein Viertel der Leitungen bauvorbereitend verlegt sein müssten. Mit anderen Worten, die DB kann schon deswegen nicht bauen, weil sie das Baufeld gar nicht frei bekommt.
Im Dezember 2012 war selbst dem Aufsichtsrat der DB klar, dass die Projektkosten um mindestens 1,1 Milliarden Euro angewachsen waren, trotzdem wurde weiterhin im Projekt mit dem alten Gesamtwertumfang, im Volksmund auch Kostendeckel genannt, gerechnet. Liest man sich das Gutachten des zuletzt hinzugekommenen Gutachters durch, bekommt man den Eindruck, dass es nicht möglich war, die Kosten im Projekt plausibel von der Management- bis zur operativen Ebene nachzuvollziehen.
Und so hatte man am Ende vor der Aufsichtsratssitzung im März 2013 ein verwirrendes Zahlenwerk, das jedoch nichts anderes signalisierte als das, was bereits im März 2011 aus der Liste der „Chancen und Risiken“ eines Hany Azer herauszulesen war: dass nämlich das Projekt um mindestens 1,1 Milliarden Euro teurer wird und weitere Risiken beherbergt, die noch einmal mindestens 1 bis 2 Milliarden Euro ausmachen.
Hätte man diese bereits offensichtliche Wahrheit im März 2011 zugegeben, es hätte keine Volksabstimmung, keine Finanzierungsvereinbarung, kein Zerstören des Bahnhofs und des Schlossgartens geben können.
So wollte im März 2013 selbst der Aufsichtsrat der DB in weiten Teilen aus dem Projekt aussteigen. Doch nun war das Projekt plötzlich nicht mehr eigenwirtschaftlich: Auf dringendes Geheiß aus dem Kanzleramt und dem Bundesverkehrsministerium beschloss der Aufsichtsrat an diesem denkwürdigen 5. März 2013 die Übernahme der 1,1 Milliarden Euro; weitere 0,9 Milliarden wollte man so lange tragen, bis sich Stadt und Land nicht mehr gegen die Übernahme dieser Kosten wehren könnten. 300 Millionen Euro ließ man von vornherein aus der Kostenbetrachtung aus, um damit auf jeden Fall einen Fuß in der Tür zu behalten, durch die man Stadt und Land zur Beteiligung an den Kosten wegen „Sonderwünschen“ wie sogenannter Schlichtung und Filderbahnhof zwingen will.
Im Moment geht es nur um eins: so schnell wie möglich die Löcher an allen Stellen aufreißen, damit Stadt und Land mehr und mehr erpressbar werden. Wie wurde unser Ministerpräsident Kretschmann nicht müde, vor der Landtagswahl, vor der Volksabstimmung und auch danach zu betonen:
„Ich werde mich nicht als Ministerpräsident auf eine Situation einlassen, in der ich nachher erpressbar bin, weil niemand die größte Baustelle Europas jahrelang liegen lassen kann. Deshalb erwarte ich von der Bahn eine verbindliche Erklärung zur Kostenübernahme, wenn der Kostenrahmen überschritten wird.“
Die Bahn hat sich um diese Aussage erfolgreich gedrückt. Doch warum lässt sie sich durch die Kanzlerin „überreden“, dieses eigenwirtschaftliche Projekt weiterzuführen, wenn es doch angeblich längst in der Verlustzone ist? (Anton Hofreiter sprach bereits von 10,7 bis 11,3 Milliarden Euro für Stuttgart 21.)
Das Geheimnis liegt darin, dass durch die verdeckten Zuzahlungen einschließlich Zinsen auch unter widrigsten Bedingungen bei der Bahn mehr hängen bleibt, als sie reinsteckt. Die Differenz zahlen wir Steuerzahler. Im „Wer zahlt Stuttgart 21“ haben wir das gezeigt bekommen:
„S21 ist für die Bahn und ihre Manager ein Bombengeschäft. Alles in allem setzt die Bahn, wenn man die ihr parallel zugeschobenen oder übernommenen Kosten und die projektbegleitenden Immobilienerlöse dagegen rechnet, für Stuttgart 21 gar keine Eigenmittel ein, sondern behält per saldo sogar die rund 1,5 Milliarden Euro aus der vernachlässigten Instandhaltung und der unterlassenen Modernisierung als dauerhaften Überschuss. …Als Winfried Hermann noch Vorsitzender des Verkehrsausschusses des Bundes war, nannte er S21 einen ‚absurden Fall von volkswirtschaftlichem Wahnsinn, der aus betriebswirtschaftlichem Kalkül nicht gestoppt wird‘ (FR 18.12.2009).“
Will man die Wirtschaftlichkeitsdaten von S21 einsehen, speist einen die Bahn mit „Kefer-Folien“ ab, mit denen man nichts anfangen kann: Eine Veröffentlichung der geheimen Daten ist strafbewehrt und kostet mindestens 100.000 Euro plus Schadensersatz. Auf diese Weise entsteht keine Transparenz, die Bahn ist ein Staat im Staate. Dort, wo es nützt, beansprucht sie hoheitliche Rechte, dort, wo es Geld bringt, beansprucht sie, ein privatwirtschaftliches Unternehmen zu sein.
Wir haben einmal nachgerechnet: Bis Mitte 2013 hat die DB laut Plan ca. 400 Millionen Euro aus Landesmitteln, aus BSWAG- und BVFG-Mitteln erhalten, aber allenfalls 300 Millionen Euro an Planungs- und Baukosten verbraucht. Somit ist das Land in Vorleistung gegangen, obwohl für die Zahlungen laut Finanzierungsvereinbarung eindeutig Nachschüssigkeit vereinbart wurde.
Die Landesregierung muss sich fragen lassen, ob die Zahlungen für die offiziellen Kostenbeteiligungen, die sie gemäß Finanzierungsvertrag für die drei Projektpartner jährlich in zwei Tranchen leistet, nicht gestoppt werden müssten, weil die EIU die Voraussetzungen dafür nicht erfüllen; sprich: mit dem Bauen hinterherhinken und darüber hinaus ihrer Nachweispflicht mutmaßlich nicht vertragsgemäß nachkommen.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die Landesregierung weitere Zahlungen nicht generell zurückhalten müsste, bis die Kostensteigerungen en détail belegt sind und die Übernahme von Mehrkosten durch Land und Stadt definitiv ausgeschlossen werden kann.
Diese fundamentalen Fragen bewusst offen zu lassen bzw. das Druckmittel eines Zahlungsstopps angesichts von Vertragsverletzung und ungeklärter Mehrkostenbelastung aus der Hand zu geben, erfüllt unseres Erachtens den Tatbestand der Untreue – ganz in der Tradition der alten Landesregierung.
So geht das nicht. Wir fordern Finanzminister Schmid daher auf, die nächste Tranche der Zahlungen des Landes, die zum 31.8.2013 fällig wird, auszusetzen. Soll die Bahn doch klagen, dann müssten endlich Fakten auf den Tisch.
Oben Bleiben!
Abkürzungen:
6PP: 6 Punkte Programm
10PP 10 Punkte Programm
BSWAG BundesSchienenWegeAusbauGesetz, (auch BSchwAG)
BVFG BundesVerkehrswegeFinanzierungsGesetz
LuFV Leistungs- und FinanzierungsVereinbarung
EIU EisenbahnInfrastrukturUnternehmen