Amerikas Kindersoldaten

Eine weitere Woche, eine weitere Enthüllung über Bespitzelung durch die National Security Agency NSA. Dieses Mal war es das Eindringen der NSA in die Welt der Online-Videospiele und virtuellen Reiche wie World of Warcraft und Second Life. Und das war kaum ein Schock. Vor über zehn Jahren begann TomDispatch mit Berichten über die Zusammenarbeit des Militärs der Vereinigten Staaten von Amerika mit der Videospieleindustrie, darunter eine virtuelle Welt namens There („Dort“). Im Lauf der Jahre verstrickte sich das Militär immer weiter in die digitale Welt. Als ich 2008 über die 26. Konferenz über Armeewissenschaft berichtete, sprach ich mit dem Chef des U.S. Army Training and Doctrine Command über eine neue Rekrutierungsinitiative, die er im Fantasiereich Second Life aufbaute. General William Wallace war überglücklich über die Möglichkeit, sich mit den „vier Millionen jungen Leuten“ zu beschäftigen, die auf diese virtuelle Internetwelt abonniert waren.

Während die Armee ein offenes Spiel für neue Rekruten im digitalen Universum spielte, nahm die NSA geheim virtuelle Welten für verborgene Aktivitäten ins Visier. Ein streng geheimes NSA-Dokument aus dem Jahr 2008, das der ehemalige Vertragspartner der NSA Edward Snowden an The Guardian weitergab sowie an The New York Times und ProPublica, bezeichnet Online-Spiele als „Kommunikationsnetzwerk, reich an Zielen.“ Man glaubte (obwohl wenig darauf hinwies), es handle sich hier um potenzielle Terroristenschlupflöcher und somit, wie ein Dokument schwärmte, um „eine Chance!“

Seit ich mit General Wallace sprach, sind virtuelle Welten aufgeblüht. Die Anzahl der Second Life-Konten ist zum Beispiel auf 36 Millionen registrierte User angewachsen, nach Angaben des Produzenten Linden Labs. Und es scheint, wie Times und ProPublica berichteten, dass eine überraschend hohe Zahl dieser neuen User aus den Geheimdienstkreisen der Vereinigten Staaten von Amerika kamen. Second Life wurde in der Tat dermaßen übervölkert von Spionen aus dem Pentagon, der CIA und dem FBI, dass es notwendig wurde, eine, wie sie in einem der durchgesickerten Dokumente genannt wurde, „Entflechtungsgruppe“ einzurichten, um sie davon abzuhalten, sich mit großer Anstrengung gegenseitig zu bespitzeln und ihre Online-Bemühungen in ein digitales Gewirr zu verfilzen.

Und dennoch gibt es nach all diesem digitalen Schnüffeln keinerlei Hinweis, dass die unermesslichen Millionen Dollars, die ausgegeben wurden, um digitale Spione in Welten von Elfen, spärlich bekleideten Löwendamen und Ponyskelett-Avataren (nein, ich mache mich nicht darüber lustig) zu entsenden, irgendwelche Terroristen enttarnt oder Anschläge von al-Qaeda vereitelt haben. Sie haben es allerdings der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika ermöglicht, in die Lebensbereiche der Jungen (und in zunehmendem Ausmass der nicht so Jungen) auf neue und zudringliche Weisen einzudringen.

Heute untersucht Ann Jones, die Autorin des gefeierten neuen Dispatch-Buchs „Sie waren Soldaten: Wie die Verwundeten aus Amerikas Kriegen zurückkehren – die unsägliche Geschichte,“ einen weiteren Weg, wie das Militär der Vereinigten Staaten von Amerika Amerikas Jugend ins Visier nimmt – via einem ganz und gar nichtvirtuellen, offline, sozialen Netzwerk der alten Schule: dem Junior Reserve Officers Training Corps (JROTC – Ausbildungskorps junger Reserveoffiziere). Es ist ein bestürzender Einblick in die Art von alltäglicher militärischer Indoktrinierung, die vielleicht gerade in Ihrer nächsten Nachbarschaft stattfindet, und fast so leise, wie die Regierungsagenten in ihren favorisierten digitalen Fantasiewelten ein und aus gehen.

Nachdem sie vor kurzem das höchst notwendige Licht auf das gerichtet hat, was mit Amerikas Veteranen passiert, sobald sie aus den Kriegszonen ihres Landes zurückkommen, richtet Jones ihren einfühlsamen Blick auf einen Weg, wie das Militär junge Männer und Frauen von Anfang an vereinnahmt. Wenn Sie gedacht haben, dass nur Länder wie Jemen, Südsudan und Tschad Kindersoldaten haben, dann denken Sie noch einmal. Nick Turse

JROTC und die Militarisierung Amerikas

Ann Jones

Der Kongress meinte sicher, er mache das Richtige, als er im Herbst 2008 das Gesetz zur Vorbeugung gegen Kindersoldaten (CSPA) beschloss. Das Gesetz sollte weltweit Kinder davor beschützen, zum Kampf in den Kriegen der großen Leute gezwungen zu werden. Ab damals sollte jedes Land, das Kinder dazu zwang, Soldaten zu werden, alle militärische Hilfe der Vereinigten Staaten von Amerika verlieren.

Es stellte sich jedoch heraus, dass der Kongress – in einem seiner seltenen Momente, in denen er sich Sorgen um die nächste Generation machte – ganz daneben stand. In seiner größeren Weisheit befand das Weisse Haus Länder wie Tschad und Jemen so lebenswichtig für die nationalen Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika, dass es vorzog, nicht zu sehen, was mit den Kindern in diesen Ländern geschah.

Wie von CSPA verlangt, listete heuer das Außenministerium 10 Länder auf, die Kindersoldaten benutzen: Burma (Myanmar), die Zentralafrikanische Republik, Tschad, die Demokratische Republik Kongo, Ruanda, Somalia, Südsudan, Sudan, Syrien und Jemen. Sieben von diesen waren vorgesehen für den Empfang von Millionen Dollars an Militärhilfe der Vereinigten Staaten von Amerika wie auch das, was als „Finanzierung ausländischen Militärs durch die Vereinigten Staaten von Amerika,“ bezeichnet wird. Das ist ein Hütchenspiel, das zum Ziel hat, das Pentagon und amerikanische Waffenproduzenten dadurch zu unterstützen, dass Millionen Dollars der Steuerzahler an derlei fragwürdige „Alliierte“ übergeben werden, die damit „Dienstleistungen“ des Pentagon oder „Material“ von den üblichen Händlern des Todes kaufen müssen. Sie kennen den Haufen: Lockheed-Martin, McDonnell Douglas, Northrop Grumman, und so weiter.

Das war eine Chance für Washington, eine Reihe von Ländern zu lehren, ihre jungen Menschen wertzuschätzen und nicht als Kanonenfutter zu verwenden. Aber im Oktober gewährte das Weiße Haus wieder, wie es jedes Jahr getan hatte, nachdem CSPA zum Gesetz geworden war, fünf Ländern eine nachträgliche Aussetzung von der „die bekommen nichts“-Liste des Aussenministeriums: Tschad, Südsudan, dem Jemen, der Demokratische Republik Kongo und Somalia.

Zu schlimm für die Jugend – und die Zukunft – dieser Länder. Aber betrachten Sie es doch einmal so: Warum sollte Washington den Kindern von Sudan oder Jemen helfen, dem Krieg zu entkommen, wenn es hier im eigenen Land keine Kosten scheut, um unsere eigenen leicht zu beeindruckenden, idealistischen, ambitionierten amerikanischen Kinder in den militärischen „Dienst“ zu pressen?

Es sollte kein Geheimnis sein, dass die Vereinigten Staaten von Amerika über das größte, am effizientesten organisierte, effektivste System der Welt für die Rekrutierung von Kindersoldaten verfügen. In ganz uncharakteristischer Bescheidenheit bezeichnet das Pentagon es allerdings nicht als das. Seine Bezeichnung lautet „youth development program“ („Jugendentwicklungsprogramm“).

Betrieben von mehrfach durchschlagskräftigen, hoch bezahlten Werbe- und Inseratenfirmen, die in einem Vertragsverhältnis zum Verteidigungsministerium stehen, ist das Programm eine ganz wunderbare Sache. Seine bedeutendste Erscheinungsform in der Öffentlichkeit ist das Junior Reserve Officers Training Corps oder JROTC.

Was dieses Kindersoldaten-Rekrutierungsprogramm so bemerkenswert macht, ist dass das Pentagon es ganz offen in hunderten und aber hunderten von privaten, militärischen und öffentlichen High Schools überall in den Vereinigten Staaten von Amerika betreibt.

Im Gegensatz zu den berüchtigten westafrikanischen Warlords Foday Sankoh und Charles Taylor (beide landeten unter der Anklage von Kriegsverbrechen vor internationalen Tribunalen) entführt das Pentagon Kinder nicht wirklich und zerrt sie leibhaftig in die Schlacht. Stattdessen versucht es, seine jungen „Kadetten“ zu dem zu machen, was John Stuart Mill einst als „willige Sklaven“ bezeichnet hat, die so in der Denkwelt des Herren gefangen sind, dass sie ihre Rollen mit einem Enthusiasmus akzeptieren, der geradezu einer persönlichen Entscheidung gleichkommt. Auf dieses Ziel hin arbeitet JROTC mit ihren noch nicht voll entwickelten Ansichten und impft ihnen ein, was die Schriften des Programms als „Patriotismus“ und „Führung“ bezeichnen, zusammen mit einer reflexiven Beachtung von autoritären Befehlen.

Das Schema ist viel komplizierter – so viel „zivilisierter” – als jedes, das jemals in Liberia oder Sierra Leone entwickelt worden ist, und es wirkt. Das Ergebnis ist jedenfalls dasselbe: Kinder werden ins Soldatentum hineintheatert, eine Tätigkeit, die aufzugeben sie nicht die Freiheit haben werden, und in deren Verlauf sie gezwungen werden könnten, persönlichkeitsbrechende Grausamkeiten zu begehen. Wenn sie zu jammern beginnen oder unter dem Druck zerbrechen, gleich ob in den Vereinigten Staaten von Amerika oder in Westafrika, dann kommen die Drogen zum Einsatz.

Das JROTC-Programm, das sich noch immer über High Schools im ganzen Land ausweitet, kostet die Steuerzahler der Vereinigten Staaten von Amerika hunderte Millionen Dollars jährlich. Eine unbekannte Anzahl von Steuerzahlern hat es ihre Kinder gekostet.

Die Akne- und Zahnspangen-Brigaden

Zum ersten Mal stiess ich auf JROTC-Kinder vor ein paar Jahren bei einer Parade in Boston am Veterans Day. Ehe diese sich in Bewegung setzte, ging ich umher unter den uniformierten Gruppen, die ihre Plätze entlang dem Boston Common einnahmen. Da gab es ein paar alte Knacker, die die Fahnen ihrer American Legion-Posten trugen, ein paar High School-Bands, und ein paar zackige junge Männer in schmucken Uniformen: die militärischen Anwerber der Region Boston.

Und dann gab es die Kinder. Die Akne- und Zahnspangenbrigaden, 14- und 15-Jährige in Militäruniformen, die Gewehre an ihren Schultern trugen. Einige der Mädchengruppen trugen schicke weiße Handschuhe.

Viel zu viele solche Gruppen, mit viel zu vielen minderjährigen Kindern erstreckten sich über die Länge des Boston Common. Sie repräsentierten alle Bereiche des Militärs und viele unterschiedliche lokale Gemeinschaften, obwohl nahezu alle von ihnen der Hautfarbe nach schwarz oder braun waren: Afroamerikaner, Hispanics, die Kinder von Einwanderern aus Vietnam und anderen Gegenden im Süden. Erst letzten Monat sah ich in New York City ähnlich farbige JROTC-Trupps am Veterans Day. Eines ist JROTC nicht – eine Regenbogenkoalition.

In Boston fragte ich einen 14-jährigen Buben, warum er JROTC beigetreten ist. Er trug eine Heeresuniform in Kindergröße und ein Gewehr, das fast so groß war wie er selbst. Er sagte: „Mein Vater, er verließ uns, und meine Mutter arbeitet in zwei Jobs, und wenn sie nachhause kommt, nun, sie hat´s nicht sehr mit Struktur. Aber sie sagten uns in der Schule, dass man sehr viel Struktur haben muss, wenn man es zu etwas bringen will. Ich denke, man könnte sagen, dass ich deswegen hier dazu ging.“

Eine Gruppe von Mädchen, alle JROTC-Mitglieder des Heeres, sagten mir, dass sie gemeinsamen Unterricht mit den Buben hatten, aber ihr eigenes Mädchen(sie waren alle schwarz)-Ausbildungsteam, das Wettkämpfe gegen andere austrug, und teilweise bis nach New Jersey kam. Sie zeigten mir ihre Medaillen und luden mich ein in ihre High School, um ihre Trophäen zu besichtigen. Auch sie waren 14 oder 15. Sie hüpften herum wie die enthusiastischen Teenager, die sie waren, als wir redeten. Eine sagte: „Ich habe bisher noch nie Preise bekommen.“

Ihre Aufgeregtheit trug mich zurück in meine Vergangenheit. Wie ich in ihrem Alter war und im Mittleren Westen aufwuchs, stand ich vor Tagesanbruch auf, um um ein Fussballfeld herum zu marschieren und Formationsmanöver in der Dämmerung zu üben, ehe die Schule begann. Nichts hätte mich abgehalten von dieser „Struktur,“ diesem „Drill,“ diesem „Team,“ aber ich war in einer Marschmusikkapelle und die Waffe, die ich trug, war eine Klarinette. JROTC hat dieses ewige Streben der Jugend eingefangen, Teil von etwas Größerem und Wichtigeren zu sein als dem eigenen erbärmlichen, unbeachteten, aknebesudelten Selbst. JROTC fängt jugendlichen Idealismus und Ehrgeiz ein, verdreht sie, schult sie, bewaffnet sie und stellt sie auf den Kriegspfad.

Eine kleine Geschichte

Das JROTC der Armee der Vereinigten Staaten von Amerika wurde verstanden als Teil des National Defense Act (Landesverteidigungsgesetz) 1916 mitten im Ersten Weltkrieg. Nach diesem Krieg nahmen jedenfalls nur sechs High Schools das Angebot des Militärs an, Material und Ausbildner zur Verfügung zu stellen. Eine Version für Ältere – ROTC – wurde an vielen staatlichen Colleges und Universitäten verpflichtend eingeführt, ungeachtet der damals kontroversiell geführten Auseinandersetzung darüber, ob die Regierung Studenten dazu zwingen könne, eine militärische Ausbildung zu machen.

1961 war ROTC ein freiwilliges Programm, populär an einigen Schulen, aber unwillkommen an anderen. Bald verschwand es gänzlich von vielen Elitecolleges und fortschrittlichen staatlichen Universitäten, vertrieben durch die Demonstrationen gegen den Krieg gegen Vietnam und zurückgezogen vom Pentagon, das auf die Beibehaltung von diskriminierenden Vorgangsweisen (besonders bezüglich sexuellen Präferenzen und Geschlecht) beharrte, die in den Verhaltensregeln der Universitäten verpönt waren. Als das Pentagon 2011 „Don´t Ask, Don´t Tell“ („Frag nicht, sag nichts“) aufließ und derartigen Institutionen eine Reihe von substanziellen Forschungsaufträgen anbot, hießen Eliteuniversitäten wie Harvard und Yale die Rückkehr des Militärs mit unziemlicher Ehrerbietung willkommen.

Während der Abwesenheit von ROTC von solchen Institutionen schlug es andererseits Wurzeln in Universitäten in Staaten, die sich nicht um Diskriminierung kümmerten, während das Pentagon sein Rekrutierungsprogramm in High Schools ausweitete. Fast ein halbes Jahrhundert, nachdem das JROTC der Armee gegründet worden war, eröffnete das Reserve Officers Training Corps Vitalization Act (Gesetz zur Aktivierung des Ausbildungskorps für Reserveoffiziere) im Jahr 1964 eine derartige Ausbildung von Jugendlichen für alle Bereiche des Militärs. Dazu kommt, dass die Anzahl von JROTC-Einheiten, die landesweit ursprünglich auf 1.200 beschränkt war, bis 2001 rapid anstieg, wo dann jeder Gedanke daran verschwand, dem Programm Grenzen zu setzen.

Der Grund war klar genug. 1973 schaffte die Nixon-Administration die Wehrpflicht zugunsten einer stehenden professionellen „Freiwilligen“ Armee ab. Wo aber sollten diese Professionals gefunden werden? Und wie genau sollten sie überzeugt werden, „freiwillig zu dienen“? Seit dem Zweiten Weltkrieg haben ROTC-Programme an Institutionen der höheren Bildung rund 60% der Offiziere erbracht. Aber eine Armee braucht Fußsoldaten.

Offiziell behauptet das Pentagon, dass JROTC kein Rekrutierungsprogramm ist. Inoffiziell allerdings hat es dieses niemals als etwas anderes betrachtet. Das derzeitige JROTC der Armee bezeichnet sich selbst als „hervorgegangen aus einer Quelle eingetragener Rekruten und Offizierskandidaten zu einem Bürgerprogramm, das gewidmet ist dem moralischen, physischen und erzieherischen Aufstieg der amerikanischen Jugend.“ Der ehemalige Verteidigungsminister William Cohen bezeichnete in einer Aussage vor dem Militärausschuss des Repräsentantenhauses im Jahr 2000 JROTC als „eines der besten Rekrutierungsinstrumente, das wir haben könnten.“

Mit dieser uneingestandenen Mission in der Hand drängte das Pentagon auf ein Ziel, das zum ersten Mal 1991 von Colin Powell erreicht wurde, damals Generalstabsschef: der Einrichtung von 3.500 JROTC-Einheiten, um landesweit Studenten in High Schools „hochzuheben.“ Der Plan war, in „bildungsmäßig und wirtschaftlich benachteiligte Bereiche“ vorzudringen. Die schäbigen Schulen der Innenstädte, der Rostgürtel, der tiefe Süden und Texas wurden zu ergiebigen Jagdgründen. Mit Beginn 2013 reaktivierte die Armee allein 4.000 pensionierte Offiziere, um ihre Programme in 1.731 High Schools druchzuführen. Zusammen genommen gedeihen JROTC-Einheiten von Armee, Luftwaffe und Marine in 3.402 High Schools im ganzen Land – 65% von ihnen im Süden – mit insgesamt 557.129 Kindern.

Das Programm

Und so funktioniert das Programm. Das Verteidigungaministerium gibt ein paar hundert Millionen Dollars aus – $365 Millionen waren es 2013 – um Uniformen, vom Pentagon genehmigte Bücher und Ausrüstung für JROTC zur Verfügung zu stellen, sowie einen Teil der Gehälter für die Instruktoren. Diese Instruktoren, die vom Militär (nicht von den Schulen) zur Verfügung gestellt werden, sind Offiziere im Ruhestand. Sie beziehen weiterhin ihre Ruhestandsbezüge, während die Schulen Zahlungen leisten müssen, die die Differenz zu den Bezügen ausgleichen, die sie im aktiven Dienst bekommen würden. Das Militär erstattet dann der Schule etwa die Hälfte der saftigen Beträge, aber auch die Schule blecht noch immer heftig.

Vor zehn Jahren fand das American Friends Service Committee heraus, dass die wahren Kosten von JROTC-Programmen für lokale Schulbezirke „oft viel höher – in einigen Fällen mehr als doppelt so hoch waren wie die Kosten, die vom Verteidigungsministerium angegeben wurden.“ 2004 berappten lokale Schulbezirke „mehr als $222 Millionen allein für Personalkosten.“

Einige Schulleiter, die mit mir über das Programm sprachen, lobten das Pentagon, weil es das Schulbudget subventionierte, aber in dieser Angelegenheit verstehen sie offensichtlich nicht die Finanzen ihrer eigenen Schulen. Tatsache ist, dass öffentliche Schulen, welche JROTC-Programme anbieten, in Wirklichkeit die Rekrutierungsbemühungen des Pentagon subventionieren. In der Tat kostet eine JROTC-Klasse die Schulen (und Steuerzahler) bedeutend mehr als ein regulärer Unterricht in Leibesübungen oder amerikanischer Geschichte – für beide wird es oft als geeigneter Austausch betrachtet.

Lokale Schulen haben keine Kontrolle über die vom Pentagon vorgeschriebenen Lehrpläne, die von Natur aus einseitig militaristisch ausgerichtet sind. Viele Schulsysteme übernehmen JROTC-Programme, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen, was die Schüler unterrichtet werden sollen. Das American Friends Service Committee, die Veterans for Peace und andere Bürgergruppen haben Beweise dafür gesammelt, dass diese Klassen nicht nur teurer sind als regulärer Unterricht, sondern auch qualitativ schlechter.

Was außer minderwertiger Qualität sollte auch erwartet werden von eigennützigen Textbüchern, die von konkurrierenden Bereichen des Militärs geschrieben und von pensionierten Militärs ohne pädagogische Qualifikation oder Erfahrung eingesetzt werden? Sicher ist, dass weder die Texte noch die Instruktoren die Art kritischen Denkens unterrichten, die heutzutage im Mittelpunkt der besten Lehrpläne steht. Stattdessen indoktrinieren sie Gehorsam gegenüber der Autorität, wecken die Furcht vor „Feinden“ und bläuen den Primat der militärischen Macht in der amerikanischen Aussenpolitik ein.

Bürgergruppen haben eine Reihe von weiteren Bedenken gegenüber JROTC geäußert, reichend von diskriminierenden Praktiken – gegenüber Homosexuellen, Immigranten und Moslems zum Beispiel) – bis zu gefährlichen, etwa Mitbringen von Schusswaffen in Schulen (allerorten). Einige Einheiten errichten sogar Schießstände, wo Gewehre und scharfe Munition benutzt werden. JROTC beschönigt den geheimnisvollen Nimbus solcher Waffen, macht sie zu Objekten der Begierde, der Begeisterung und zum Anreiz auf die Chance, sie zu benutzen.

Zu seiner eigenen Rechtfertigung publiziert das Programm ein Verkaufsargument, das in den Vereinigten Staaten von Amerika weitgehend akzeptiert wird: dass es „Struktur“ zur Verfügung stellt, dass es verhindert, dass Kinder aus der Schule ausfallen, und Jungen (und jetzt Mädchen) mit „problematischem“ Hintergrund zu „Männern“ macht, die wenn es kein JROTC gäbe, um sie zu schützen (und den Rest von uns vor ihnen), rauschgiftsüchtig oder kriminell werden würden oder schlimmer. Colin Powell, der erste ROTC-Absolvent, der es bis zum obersten Job des Militärs schaffte, hausierte mit dieser Argumentationslinie in seinen Memoiren My American Journey (Meine amerikanische Reise). „Kinder der Innenstädte,“ so schrieb er, „viele aus zerbrochenen Familien, finden im Junior ROTC Stabilität und Rollenvorbilder.“

Es gibt keine Beweise, die diese Behauptungen bestätigen, abgesehen von Aussagen von Schülern wie die des 14-Jährigen, der mir gesagt hat, dass er wegen der „Struktur“ beigetreten ist. Dass Kinder (und ihre Eltern) auf derlei Verkaufsschmähs hereinfallen, zeigt höchstens ihre eigenen beschränkten Optionen auf. Die große Mehrheit der Schüler finden bessere, mehr auf das Leben orientierte „Strukturen“ in der Schule selbst: in akademischen Kursen, Sport, Chören, Bands, Wissenschafts- oder Sprachclubs, Praktika – oder was immer – in Schulen, in denen solche Möglichkeiten bestehen. Und so kommt es auch, dass gerade Schulen mit solchen Programmen, in denen Administratoren, Lehrer, Eltern und Kinder zusammenarbeiten, mit großer Wahrscheinlichkeit erfolgreich JROTC draußen halten. Es bleibt den „wirtschaftlich und pädagogisch benachteiligten“ Schulsystemen überlassen, vom Pentagon ins Visier genommen zu werden, um solche „Schnörkel“ zu stutzen und ihre Budgets aufzublasen für einen Oberst oder zwei, die Schülern mit Bedarf an „Stabilität und Rollenvorbildern“ eine vielversprechende, wenn vielleicht auch sehr kurze Zukunft als Soldaten anbieten können.

In der Schule

In einer derartigen Schule in der Bostoner Innenstadt, überwiegend schwarz, saß ich in JROTC-Klassen, wo die Kinder endlose Filme von Soldaten bei Paraden ansahen, dann das selbst machen sollten auf dem Schulhof mit Gewehren in der Hand. (Ich muss zugeben, dass sie viel besser marschieren konnten als Truppen der afghanischen Nationalarmee, welche ich ebenso beobachtete, aber ist das etwas, auf das man stolz sein soll?) Nachdem diese Unterrichtsstunden oft in Herumhängen zu bestehen schienen, hatten die Schüler jede Menge Zeit, um sich mit dem Armeeanwerber zu unterhalten, dessen Schreibtisch zweckdienlich im JROTC-Klassenraum stand.

Sie unterhielten sich auch mit mir. Ein 16 Jahre altes afroamerikanisches Mädchen, die die Erste in ihrer Klasse war und sich bereits für die Armee verpflichtet hatte, sagte mir, dass sie ihre Karriere beim Militär machen werde. Ihr Instruktor – ein weißer Oberst, den sie als den Vater ansah, den sie zuhause nie hatte – hatte ihrer Klasse beigebracht, dass „unser Krieg“ lange Zeit weitergehen wird, oder, wie er sagte, „bis wir den letzten Moslem auf Erden umgelegt haben.“ Sie wollte helfen, Amerika zu retten, indem sie ihr Leben dieser „großen vor uns liegenden Aufgabe“ widmete.

Perplex platzte ich heraus: „Aber was ist dann mit Malcolm X?” Der wuchs in Boston auf und eine Straße in der Nähe der Schule war zu seinen Ehren benannt. „War er nicht ein Moslem?“ fragte ich.

„Oh nein, Ma’am,” sagte sie. „Malcolm X war ein Amerikaner.“

Ein älterer Junge, der sich ebenfalls beim Anwerber verpflichtet hatte, wollte der Gewalt auf den Strassen der Stadt entkommen. Er unterschrieb kurz nachdem einer seiner besten Freunde in einem Feuergefecht in einem Verbrauchermarkt nur einen Häuserblick von der Schule entfernt getötet worden war. Er sagte zu mir: „Ich habe hier keine Zukunft. Genauso kann ich in Afghanistan sein.“ Er dachte, dass seine Überlebenschancen dort besser wären, aber er machte sich Sorgen, weil er noch die High School beenden musste bis zur „Pflicht.“ Er sagte: „Ich hoffe, dass ich es schaffe bis zum Krieg.“

Welche Art von Schulsystem bietet Buben und Mädchen solche „Wahlmöglichkeiten“? Welche Art von Land?

Was geht in den Schulen in Ihrer Stadt vor? Wird es nicht Zeit, dass Sie das herausfinden?

erschienen am 16. Dezember 2013 auf > www.antiwar.com > Artikel, ursprünglich auf > TomDispatch > Artikel

Quelle: http://antikrieg.com/aktuell/2013_12_21_amerikas.htm

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