Stadthaushalt: Mit Stuttgart 21 in soziale und ökologische Schieflage
Die Rede von Tom Adler, Gemeinderat Stuttgart, Fraktion SÖS/Linke, auf der 203. Montagsdemo der Bürgerbewegung gegen das Industrieprogramm „Stuttgart 21“ (S21) am 23. Dezember.
Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,
Herr Prälat Klumpp hat in seiner Rede am Anfang unserer Kundgebung gemahnt, dass in einer Stadtgesellschaft, die Demokratie, Transparenz und Aufklärung für sich reklamiert, Regeln gelten müssten: Regeln, die verhindern, dass bei Beschlüssen über Projekte wie S21 Zahlen, Fakten und Probleme verheimlicht und geschönt werden und gar nicht erst zur Sprache kommen, Regeln die verhindern, dass bei solchen Beschlüssen nicht das Wohl der Stadt, sondern vor allem Profitinteressen zählen. Dafür bin ich ihm ausgesprochen dankbar, denn in den letzten Wochen wurde im Gemeinderat der Stuttgarter Stadthaushalt für 2014/2015 diskutiert.
Nichts wurde da so oft wiederholt, wie der Satz, dass sich alle Abstimmungen am Wohl der Stadt zu orientieren hätten. Vor der Schlussabstimmung am letzten Freitag hat uns auch der Oberbürgermeister aufgerufen, zum Wohl der Stadt diesem Haushalt zuzustimmen. Fast alle Parteien haben das dann
auch getan, von CDU/FDP bis zu SPD und Grünen. Wir Stadträte von SÖS und LINKE haben ihn mehrheitlich abgelehnt, weil wir finden, dass dieser
Haushalt nicht ausgewogen ist, sondern eine ausgesprochene soziale und ökologische Schieflage hat, weil dieser Haushalt nicht die dringend nötigen Weichen stellt, damit Stuttgart eine „Stadt für alle“ wird, in der alle gleichermaßen Zugang zu Bildung, Kultur, Gesundheitsversorgung, anständig bezahlter Arbeit und bezahlbarem Wohnraum haben – unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, ihrem Geldbeutel, und egal welches Schicksal sie aus ihren ursprünglichen Herkunftsländern hierher verschlagen hat.
Ein Stadthaushalt für alle müsste dringend auch wirksam Weichen stellen, damit die Innenstadtbereiche nicht weiter im Autoverkehr und Feinstaub ersticken und die Kessellagen bei zunehmenden Extremwettersituationen bewohnbar bleiben! Auch die nötigen Beschlüsse dazu sind im Haushalt ganz
dünn gesät, ein 2-Zonen-Jobticket für die KollegInnen und Kollegen bei der Stadt oder Tempo 30 vor Schulen sind ja gut und richtig, bleiben aber weiße Salbe bei der Größe der absehbaren Probleme!
Wir sagen auch Nein zum Haushalt 2014/2015, weil es nicht zum Wohl dieser Stadt ist, wenn in den nächsten Jahren wieder Schuldenlasten aufgetürmt werden, z.B. für Reparaturkosten für die jahrelang vernachlässigten Infrastruktur, statt auf überflüssige und für uns alle schädliche Projekte wie
den Rosensteintunnel und Stuttgart 21 zu verzichten!
Damit und mit dem Rückzug aus der LBBW-Beteiligung, die der Stadt ja sowieso mehr Probleme bereitet als Erträge bringt, wäre Stuttgart nicht nur schuldenfrei, sondern bekäme Spielräume für Investitionen und Projekte in eine Stadt, die „nicht nur eine Maschine zur Förderung von Wirtschaft, Handel und Gewinn ist“, wie Herr Prälat Klumpp sagte, „sondern ein Gemeinschafts-, ein Wohn-, ein Wohlfühlort und Heimat für die Menschen.“
Der Rosenstein-Tunnelbau allein kostet uns 2015 20 Millionen Euro, 2016 bis 2018 weitere 50 Millionen, der Autobahn-Ausbau der Heilbronner Strasse kommt noch dazu mit 1,2 Millionen. Und jeder, der nicht blind ist oder ignorant oder selber dran verdient, weiß: so kommen nie und nimmer 20% weniger Autos in die Stadt, sondern mehr! Deshalb haben wir beantragt, den Rosensteintunnelbau zu beenden, damit wären auch 157 Bäume mit Stammumfang über 80 cm gerettet, die sollen ja schon wieder ab Januar/Februar gefällt werden. Ohne Erfolg, weil auch da die SPD ganz Auto-
Infrastrukturpartei bleibt an der Seite von CDU und FDP. Vor ihrer angekündigten „Erneuerung“ für die Kommunalwahl werden noch schnell Fakten geschaffen, die Bäume sind dann ja schon mal weg, die Gelder beschlossen und bis zum nächsten Haushalt 2016 die Löcher gegraben und man kann sich wunderbar herausreden wie bei Stuttgart21: ist ja alles schon beschlossen, am Laufen und unumkehrbar!
Da machen wir nicht mit, liebe MitstreiterInnen, gemeinsam mit Ihnen sagen wir: das „Wohl der Stadt“ ist etwas anderes. Deshalb haben wir zweitens beantragt, dass die rund 290 Millionen Rücklagen für Stuttgart 21 aufgelöst und sinnvoll verwendet werden, drittens, dass die Grundstücksgeschäfte mit der Bahn, abzüglich dem Areal C, rückabgewickelt werden. Allein das wären über 500 Millionen Euro, mit der KiTas gebaut, Schulen saniert, wieder Hausmeister eingestellt werden könnten und vieles mehr. Die einzigen, die diese Anträge unterstützt haben, waren wir selbst, dasselbe Spiel bei all unsern Anträgen zu S21 – interessant auch, dass es vor 2 Jahren dafür noch vereinzelte
Stimmen aus der grünen Fraktion gegeben hatte.
Wir dagegen haben selbstverständlich den Grünen-Antrag, den Gäubahn-Trassenkauf rückgängig zu machen, unterstützt – weil einfach alles, was gegen die Stadtzerstörung durch Stuttgart 21 angeschoben werden könnte, unsere Unterstützung hat, denn für uns ist der Käs‘ eben noch nicht gegessen!
Viertens wollten wir genauso selbstverständlich die fast 600.000 Euro aus dem S21-Propaganda- Etat des Oberbürgermeisters gestrichen haben. Der nennt sich zwar neutral „Öffentlichkeitsarbeit“, aber was in der Rathausausstellung und vom Turmforum geboten wird, ist mit Propaganda eher noch schmeichelhaft beschrieben – und deshalb sollte eigentlich ein grüner OB dafür auch keinen Cent mehr beim Gemeinderat für den Haushalt wollen!
So großzügig hier unser Steuergeld verbrannt wird, so knapp gehalten werden viele Kulturschaffende, z.B. die Schaupielbühnen. Die hätten dringend zwei mal 100.000 Euro gebraucht – die hätte die CDU dafür gern der Volkshochschule weggenommen, wir wollten dagegen den Stuttgart 21-Propagandatopf für das Turmforum nehmen – weiß Gott keine Einrichtung, unter deren Verschwinden die Stuttgarter Kulturlandschaft leiden würde…
An dem, was geht und was nicht geht mit den heutigen Mehrheiten im Rathaus sieht man deutlich, was zum „Wohl der Stadt“ ist, davon haben verschiedene politische Richtungen höchst verschiedene Vorstellungen: Einem Haushaltsvolumen von über 5 Milliarden steht ein Betrag von über 1 Milliarde
gegenüber, der durch Stuttgart 21 gebunden wird. Der 2. Stock für die Erinnerungs- und Lernort-Arbeit im Hotel Silber findet keine Mehrheiten, Grüne stimmen mit der CDU dagegen. Hessen lässt schön grüßen.
Aber damit auf einem bisher brach liegenden, vom S21-Tunnel unterfahrenen Gelände Luxuswohnungen in der Maybachstraße am Killesberg besser verwertet werden können, zahlt die Stadt der Bahn für Erschütterungsdämpfung im Tunnel 350.000 Euro. Dafür wird abgelehnt, die Mieterhöhung für SWSG-MieterInnen zurückzunehmen, und so wenigstens ein bisschen preisdämpfend auf die Mietenentwicklung in Stuttgart einzuwirken. Dem Gazi-Stadion wird für fast eine Million eine Rasenheizung finanziert, aber für ein kostenloses Mittagessen für Kinder mit Bonus-Card in Ganztagsschulen bzw. Schülerhäusern (Kostenpunkt: 350.000 Euro) will die übergroße Mehrheit kein Geld ausgeben.
Wenigstens ein Projekt konnten wir dieses Jahr im Haushalt durchsetzen: ein 2-Zonen-Sozialticket im ÖPNV für Menschen mit niedrigem oder keinem Einkommen, also Bonuscard-Inhaber. Der ÖPNV in Stuttgart ist ja auch für Leute, die nicht in Not sind, zu teuer und wird ja bald auch dank der kropfüberflüssigen S21-Baustellen der SSB noch teurer. Nur an sehr wenigen Stellen wie dieser war es möglich, ein paar soziale und ökologische Akzente zu
setzen, es führt zu weit, alles aufzuzählen, kann aber auf unseren Homepages nachgelesen werden. Und wer nicht online kann: einfach nach den Feiertagen mal anrufen, wir drucken das auch gern aus!
Und sagen sie uns dann, ob Sie es sehen wie wir: Ob Parteien und Politiker zum Wohle der Stadt arbeiten, dafür gibt es einen zuverlässigen Prüfstein, und der heißt: kämpfen sie mit uns gegen Stadtzerstörung durch Stuttgart 21, auch auf der Straße, weil der Käs eben nicht gegessen ist – ohne wenn und aber – auch wenn es im Rathaus dafür heute noch keine Mehrheiten gibt? Daran lassen wir uns gern von Ihnen messen und wollen mit Ihnen Oben Bleiben!