1971 gestohlene F.B.I.-Dokumente zu Schattenprogramm COINTELPRO: Aktivisten offenbaren jetzt Identität
COINTELPRO Programm (1956 und 1971):
Ein kleine Anzahl mutiger Dissidenten, die ihre berufliche Existenz und ihr Familienleben aufs Spiel setzten, brachten 1971 den Stein ins Rollen und das geheime Inlandsspionage-Projekt des Hoover-Imperiums gegen linke Gruppen zum Kippen. Drei Monate später veröffentlichte auch Daniel Ellsberg die hochgeheime siebentausend Seiten umfassende Studie der Entscheidungsfindung in Bezug auf den Vietnam-Krieg des U.S.-Verteidigungsministeriums, die als die Pentagon-Papiere bekannt wurden.
Nach 43 Jahren haben sich die Einbrecher in die F.B.I.-Filiale in Media, einem Vorort von Philadelphia im U.S.-Bundesstaat Pennsylvania dazu entschieden, ihre Identität der Öffentlichkeit zu offenbaren. Im Jahr 1971 befanden sich die soziale Bürgerrechts- und die Antikriegs-Bewegung gegen den Vietnamkrieg seit Ende der sechziger Jahre mit zahllosen Demonstrationen und Strassenschlachten mit der Polizei auf ihrem Höhepunkt.
Das F.B.I. unter dem damaligen Direktor J. Edgar Hoover (Gründer und Chef des Geheimdienstes von 1924 bis 1972) und die C.I.A. reagierten mit geheimen Überwachungsprogrammen, um Misstrauen unter den Protestgruppen zu säen und mit Zersetzungs- und Zerstörungsstrategien zur Eliminierung der Aktivisten. So wurde COINTELPRO ins Leben gerufen.
In Philadelphia, einer der Hochburgen des Widerstandes gegen die U.S.-amerikanische Kriegspolitik, bildete sich eine kleine Gruppe von acht Personen (darunter ein Taxifahrer, zwei Professoren, ein Sozialarbeiter, ein Student), die die von der Öffentlichkeit und den Politikern als unbewiesen bezeichneten Behauptungen, dass Dissidenten bespitzelt und vernichtet werden, mit orginalen Dokumenten aus dem Spionageapparat als Beweis belegen wollten.
„Es sieht aus, als sind wir furchtbar leichtsinnig Menschen. Aber es war absolut niemand in Washington – Senatoren, Kongressabgeordnete, auch nicht der Präsident – die gewagt hätten, J. Edgar Hoover zur Rechenschaftspflicht zu ziehen.
Es war ziemlich offensichtlich für uns, dass, wenn wir es nicht tun, es niemand machen wird.„
Die Gruppe ging vor, während und in den Jahrzehnten nach ihrem Einbruch ausgesprochen professionell vor und kein einziger von ihnen wurde als Täter ermittelt. Die Mitglieder hatten ein Schweigegelübde über ihre Rolle in der Operation abgelegt, sich anschliessend zerstreut, so gut wie keinen Kontakt mehr gepflegt und sich nie mehr zusammen getroffen.
Die gestohlenen Dokumente hatten sie anonym mehreren Zeitungen geschickt, so der Washington Post und der New York Times, die diese veröffentlichten. Die Gruppe war zufrieden, zu wissen, dass ihre Aktionen den ersten bedeutenden Schlag gegen eine Institution geführt hatte, die eine enorme Machtfülle und Prestige während J. Edgar Hoovers langer Amtszeit als Direktor – die fast ein halbes Jahrhundert währte – angehäuft hatte.
Der Einbruch war die Idee von William C. Davidon, Professor für Physik am Haverford College, der frustriert darüber war, dass die jahrelangen, von der Friedensbewegung organisierten Demonstrationen wenig Wirkung erzielt hatten. Im Sommer 1970 – Monate, nachdem Präsident Richard M. Nixon die Invasion der Vereinigten Staaten in Kambodscha angekündigt hatte – begann Davidon, ein aktiver Friedensaktivist, mit der Zusammenstellung eines Teams aus einer Gruppe von Aktivisten, denen er in ihrem Engagement und Diskretion vertraute. Dazu gehörten Bob Williamson, das Ehepaar Bonnie und John Raines (heute 80 Jahre alt, damals Professor für Religion an der Temple University und Keith Forsyth (heute 63 Jahre alt). Die Familie Raines ging ein besonders hohes Risiko ein, denn das Paar hatte drei Kinder, von denen es bei Entdeckung jahrelang oder für immer getrennt worden wäre. Niemand von ihnen wusste zudem, welche Aufzeichnungen und Akten in diesem Büro überhaupt aufbewahrt wurden.
Sie mieteten sich in der Nähe der F.B.I.-Zweigstelle in einem Mehrfamilienhaus gegenüber dem Kreisgerichtsgebäude ein und begannen über mehrere Monate hinweg, sich die nächtlichen Gewohnheiten der Bewohner der Umgebung einzuprägen: wann die Menschen von der Arbeit nach Hause kamen, wann ihre Lichter in den Wohnungen ausgingen und sie zu Bett gingen, wann sie in der Früh aufgewachten. Einige Wochen vor dem Einbruch suchte sogar Bonnie Raines persönlich das Innere der F.B.I.-Zentale auf, um festzustellen, ob sich dort eine Alarmanlage befand. Sie tarnte sich als Studentin des Swarthmore College, die nach Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen beim F.B.I. vorstellig wurde.
Am 7.März 1971 fand der Einbruch reibungslos statt. Als einziges Hemmnis erwies sich der Haupteingang, der von innen mit einem starken Riegel gesichert war. Der Mannschaft gelang der Zutritt über eine Seitentür, die mit einer Brechstange aufgehebelt wurde. In dieser Nacht fand der im Fernsehen übertragenen Titelkampf im Boxen zwischen Muhammad Ali und Joe Frazier im New Yorker Madison Square Garden statt, der von Millionen Zuschauern auf der ganzen Welt angesehen wurde.
Mit Koffern voll gepackt mit fast allen Dokumenten fuhren sie in verschiedenen Fluchtfahrzeugen in ein kleines abgelegenes Farmhaus und sichteten dort die gestohlenen Papiere. Ihr Coup war ein voller Erfolg, denn der grösste Teil waren knallharte Beweise: die Aufzeichnungen enthielten genaue Angaben über die Bespitzelung von Aktivisten und die Überwachung der Post und Telefongespräche Tausender von U.S.-Bürgern.
Ein Dokument enthielt die Anleitung für verdeckte Agenten, in Gesprächen mit Antikriegs-Aktivisten und Mitgliedern der regimekritischen Studentengruppen unter diesen Paranoia zu erwecken, dass bei ihnen flächendeckend die Post vom F.B.I. überwacht wird, um so Furcht zu erzeugen und sie von ihrem weiteren politischen Engagement abzuhalten. Ein weiteres Dokument, das von Hoover selbst unterzeichnet war, enthielt die Anweisung einer breiten F.B.I.-Überwachung der schwarzen Studentengruppen an den Hochschulen. Ein interner Laufzettel, datiert von 1968, enthielt das geheimnisvolle Wort „Cointelpro“, welches bis dahin Aussenstehenden, auch den Medien, unbekannt war – das schwarze, geheime Counterintelligence Program (Spionageabwehr-Programm) des F.B.I. Erst einige Jahre später, als der NBC News-Reporter Carl Stern mehrere Dateien aus dem F.B.I.-Archiv unter dem Freedom of Information Act erhalten hatte, offenbarten sich die Inhalte dieses Programms.
Das F.B.I. schloss den Fall ergebnislos am 11. März 1976, nachdem die Verjährungsfrist der Strafverfolgung für Einbruch abgelaufen war. Nun erst, im Jahr 2014, brachen die Verantwortlichen ihr Schweigen. Auf Initiative der damaligen Redakteurin der Washington Post, Betty Medsger, die 1971 zwei Wochen nach dem anonymen Erhalt die brisanten Inhalte veröffentlicht hatte und die der Fall in all den Jahren nie loslies, entstand das Buch „The Burglary: The Discovery of J. Edgar Hoover’s Secret FBI“ mit Interviews einiger der Beteiligten. Ein Teil von ihnen (drei Personen) zog es vor, auch heute noch mit ihrer Identität unerkannt zu bleiben. Der Initiator, Davidon, verstarb erst Ende letzten Jahres, am 8.November, an den Komplikationen der Parkinson-Krankheit. Der Professor, Mitglied der American Civil Liberties Union, wollte in diesem Jahr vor öffentlichem Publikum über den Einbruch sprechen.
Ausser dem Buch entstand das Retro-Video zum Thema. Unter beiden genannten Quellenangaben ist der hochinteressante Filmbeitrag mit Bezug zu den aktuellen Enthüllungen der ungehemmten Spionagetätigkeit der N.S.A. zu sehen:
New York Times: http://www.nytimes.com/2014/01/07/us/burglars-who-took-on-fbi-abandon-shadows.html
Common Dreams: https://www.commondreams.org/headline/2014/01/07-0