„General, man is very useful.
He can fly and he can kill.
But he has one defect: He can think.“
Diese Zeilen von Bertolt Brecht wurden zur Hymne des Widerstandes der Soldaten gegen den Vietnam-Krieg.
In den 1960er Jahren entstand innerhalb der Armee der Vereinigten Staaten von Amerika eine gewaltige Widerstandsbewegung der einfachen Soldaten, die den Verlauf des Vietnam-Krieges als stärkste und aktivste Partei massgeblich beeinflusst hatte – effektiver als die Demonstrationen der Bürger und Studentenbewegung. Fast die Hälfte der eingesetzten Truppen meuterte gegen den Krieg. Doch nur wenige wissen heute noch um diese, die damalige Kriegsgeschichte grundlegend verändernden Ereignisse, denn sie wurden erfolgreich aus dem kollektiven Gedächtnis der Menschheit durch Verfälschung der Geschichtsschreibung gelöscht.
Diese versuchte Tilgung des bedeutenden Aufstandes der Soldaten wurde mit der im Jahr 2005 veröffentlichten Dokumentation „Sir! No Sir! – The G.I. Revolt“ vereitelt. Um dieses wichtige Ereignis nicht wieder dem Vergessen anheim fallen zu lassen, möchten wir diese Geschichte hinter dem erneuten Vorhang des Schweigens darum hervor holen, denn die Vereinigten Staaten von Amerika sind noch immer entschlossen, die gesamte Welt mit allen Mitteln unter ihr Diktat zu zwingen.
Dokumente und Berichte über diese mächtige Antikriegs-Bewegung wurden für die nachfolgenden Generationen bis heute von den Regierungen, den wissenschaftlichen Kadern und Medien verschwiegen, beseitigt oder unter Verschluss gehalten. Die G.I.-Revolte, die zu ihrer Zeit durchaus mit Tausenden von Artikeln in lokalen Zeitungen, Zeitschriften und Beiträgen im nationalen Fernsehen erwähnt wurde und die immer noch in den Archiven vorhanden sind, wurde unter den nachfolgenden Administrationen durch völliges Ignorieren aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein getilgt.
Die interne antimilitärische Bewegung in der Armee fing klein an. In dem Zeitraum von 1965 bis 1967 widersetzten sich zunächst nur einzelne Personen, die auf das Härteste bestraft wurden. Leutnant Henry Howe wurde zu zwei Jahren Zwangsarbeit für die Teilnahme an einer Antikriegs-Demonstration verurteilt. Die als „Fort Hood 3“ bezeichneten Kriegsverweigerer zu drei Jahren Zwangsarbeit für die Verweigerung der Pflicht in Vietnam. Dr. Howard Levy, ein Militärarzt, weigerte sich, Special Forces-Truppen zu trainieren und kam vor ein Kriegsgericht. Donald Duncan, ein gefeiertes Mitglied der Green Berets des United States Army Special Forces Command (U.S.A.S.F.C.), trat nach einem Jahr in Vietnam vom Dienst zurück. Korporal William Harvey und Private George Daniels wurden im Jahr 1967 bis zu zehn Jahre Gefängnis verurteilt wegen eines Treffens mit anderen Marinesoldaten auf dem Militärstützpunkt Camp Pendleton für Diskussionen, ob die Afroamerikaner in Vietnam kämpfen sollten.
Nachdem die Soldaten, die unter Vortäuschung der U.S.-Regierung, Frieden und Demokratie nach Vietnam zu bringen und zu verteidigen, vor Ort den wahren grausamen Vernichtungsfeldzug, befohlen von ihren eigenen Vorgesetzten, gegen die einheimische Bevölkerung erleben mussten, setzte ein erbitterter Widerstand ein. U.S.-Präsident Lyndon B. Johnson (amerikanischer Staatschef von 1963 bis 1969) hatte zunächst von einer kleinen „Polizeiaktion“ gesprochen, die zu einem totalen Krieg mit dem Ziel der Vernichtung der einheimischen Bevölkerung führte.
Es gab keine einheitliche Organisation oder einen Führer innerhalb der Armee sondern es bildeten sich zwischen 1966 und 1975 Gruppen oder einzelnen Personen, die lokale spontane Aktionen durchführten, die sich schliesslich mit beschleunigter Dynamik zu einer alle gemeinsam verbindenden Welle gegen Krieg und Rassismus vereinigten.
In Verlauf der Jahre 1968 bis 1969 eskalierte der Vietnam-Krieg mit unbeschreiblichen Grausamkeiten gegenüber der Zivilbevölkerung. Die Friedensbewegung wurde zu einer internationalen Massenbewegung. Innerhalb der U.S.-Armee explodierte der Widerstand gegen den Vietnam-Krieg so gewaltig, dass er nun die gesamte militärische Kultur dieser Zeit und den Verlauf des Krieges änderte.
Jetzt begannen die Soldaten, sich zu organisieren und kollektive Massnahmen zu ergreifen. Immer mehr Soldaten füllten die Armee-Gefängnisse in den U.S.A. und in Vietnam. Am Weihnachtsabend des Jahres 1969 gründeten fünfzig GIs die bis heute aktiven Vietnam Veterans Against the War (VVAW), die unmittelbar zuvor in Saigon an einer illegalen Antikriegs-Demonstration teilgenommen hatten.
Dieser Widerstand fand innerhalb der Kasernen und nahegelegenen zivilen Stätten wie Cafés, die von Soldaten frequentiert wurden, statt. So wurde unter anderem das Kaffeehaus „Oleo Strut“ in Killeen in Texas zur Kommandozentrale der GIs, wo die Veröffentlichung einer Untergrund-Antikriegszeitung, die Organisation von Boykotten, die Einrichtung eines Rechtsamts und die Planung von Friedensmärschen generalstabsmässig durchorganisiert wurden.
Auf ausländischen U.S.-Militärstützpunkten, auf Schiffen und Flugzeugträgern wurde Widerstand geleistet, der auch die militärischen Elitehochschulen wie die West Point-Akademie erreichte. Bis 1971 hatte die Bewegung die gesamten Streitkräfte durchdrungen.
Im Laufe von wenigen Jahren wurden nun über einhundert Untergrund-Zeitungen, erstellt von Soldaten, auf der ganzen Welt veröffentlicht, lokale und nationale Antikriegs-G.I.-Organisationen verbanden Unzählige von Gleichgesinnten. 1970 und 1971 demonstrierten Tausende auf jedem grossen Militärstützpunkt in der Welt, einschliesslich auch in Vietnam. Mit Palisaden und Zäunen gesicherte Plätze und Bundesgefängnisse in den U.S.A. füllten sich mit Soldaten, die für ihre Opposition gegen den Krieg und das Militär inhaftiert wurden.
Ab 1970 bis 1971 erreichte diese Antikriegs-Bewegung ihren Höhepunkt und wurde militant. 92000 Soldaten wurden zu Deserteuren erklärt, über zehntausend gelang die Flucht nach Kanada, Frankreich und Schweden.
Tausende von Soldaten beteiligten sich am 15. Mai 1971, dem „Tag der Streitkräfte“ (Armed Forces Day) an Demonstrationen auf neunzehn U.S.-Militärstützpunkten. In Vietnam entstanden zahlreiche Underground-Funk-Netzwerke. Schwarze und weisse Soldaten indentifizierten sich mit der Antikriegs- und der Befreiungsbewegung der afroamerikanischen Bevölkerung für gleiche Rechte. Kampfverweigerungen und das Eliminieren von Offizieren in Vietnam durch Granaten (Fragging) wurden zu von den Führungsspitzen als eine sich ausbreitende „Epidemie“ bezeichnete Gegenwehr.
In diesem Zeitraum landeten weiterhin Tausende von Soldaten für ihre Ablehnung zu kämpfen oder wegen Widerspruch gegenüber den Militärbehörden in Militärgefängnissen. In fast jedem U.S.-Militärgefängnis in der Welt kam es zu Unruhen. Die FTA Show mit den Filmstars Jane Fonda und Donald Sutherland wurde von Zehntausenden von Soldaten auf den Militärstützpunkten bejubelt.
Das Pentagon kam zu dem Schluss, dass „über die Hälfte der Bodentruppen offen gegen den Krieg rebellieren“ und verlagerte seine Kampfstrategie von einem Bodenkrieg zu einem Luftkrieg, doch auch in der U.S.-Marine und der Luftwaffe waren Meutereien und Sabotageakte an der Tagesordnung.
Die VVAW veranstaltete mit einhundertneun Veteranen und sechzehn zivilen Mitarbeiter der U.S.-Armee vom 31. Januar bis zum 2. Februar 1971 in Detroit im U.S.-Bundesstaat Michigan die Winter Soldier Investigation, um Kriegsverbrechen der U.S.-Armee und ihrer Verbündeten in Vietnam in den Jahren von 1963 bis 1970 durch das persönliche Zeugnis der Veteranen aufzudecken. Nur das Pacifica Radio berichtete über die Winter Soldier Investigation. Einige wenige Journalisten und ein Filmteam zeichneten diese Veranstaltung auf, erst ein Jahr später, 1972, wurde die Dokumentation „Winter Soldier“ veröffentlicht. Hunderte von Veteranen warfen ihre Medaillen vor das Capitol.
Ein vollständiges Transkript der Aussagen der Zeugen der Kriegsverbrechen in Vietnam auf der Winter Soldier Investigation wurde 1971 von Senator Mark Hatfield in den Congressional Record eingetragen und in den Fulbright-Anhörungen im April und Mai 1971, die von Senator J. William Fulbright, Vorsitzender des United States Senate Committee on Foreign Relations einberufen wurden, diskutiert.
Nach eigenen Angaben des Pentagon ereigneten sich zwischen 1966 und 1971 503926 Fälle von Fahnenflucht und in einem alarmierenden Tempo wurden Offiziere mit Splittergranaten von ihren eigenen Truppen getötet. Bis zum Jahr 1971 weigerten sich ganze Einheiten in beispielloser Anzahl in die Schlacht zu ziehen.
Als sich das U.S.-Militär und seine Verbündeten im Frühjahr 1975 fluchtartig aus Vietnam zurückzog, begann die Regierung im Zusammenspiel mit den Medien und Hollywood in dem folgenden zwanzigjährigen Zeitraum mit dem Löschen der GI-Bewegung aus dem kollektiven Gedächtnis der Nation und der Welt. Ronald Reagan‘s Kampagne „Resurgent America“ (Wieder erwachendes/auflebendes Amerika) schrieb die Geschichte von Vietnam neu und verhinderte jeden Hinweis auf die GI-Bewegung. Bis 1990 sind mehr als einhundert Kinofilme über den Vietnamkrieg produziert worden und kein einziger von den Streifen portraitierte die GI-Antikriegs-Bewegung oder eine Opposition des Krieges durch diese Soldaten.
Dreissig Jahre nach Beendigung des Vietnam-Krieges, im Jahr 2005, während die U.S.-Truppen als Besatzungsmacht im Irak herrschten, erschien über diesen ehemaligen Widerstand innerhalb der Armee der Vereinigten Staaten von Amerika die Dokumentation „SIR! NO SIR!“ von David Zeiger (Produzent, Direktor und Drehbuchautor). David Zeiger arbeitete als Teenager im oben erwähnten „Oleo Strut“ in Killeen, dass 1972 geschlossen wurde und war so selbst Augenzeuge der damaligen Vorgänge im „Hauptquartier“ der Untergrundbewegung.
Die Uraufführung fand auf dem Los Angeles Film Festival statt und gewann den Audience Award für die beste Dokumentation. Anschliessend wurde der Beitrag im Jahr 2006 in achtzig amerikanischen und kanadischen Städten gezeigt. Zahlreiche andere Auszeichnungen folgten, die BBC, CBC/Canada, ARTE/France, ABC/Australia, Sundance Channel in den U.S.A., SBC Spain, das ZDF, YLE Finland, Russia Today und einige andere strahlten die Dokumentation aus.
Darin werden Interviews mit den beteiligten Soldaten geführt und nie zuvor veröffentlichtes Archivmaterial gezeigt. Die tiefgreifenden Auswirkungen, die die Bewegung auf das Militär und den Krieg selbst hatten, werden nachvollzogen. Das Feature in der neunzig Minuten-Version erzählt auch die Geschichte, wie und warum die GI-Bewegung aus dem öffentlichen Gedächtnis gelöscht worden war.
Doch auch diese vielfach preisgekrönte Dokumentation wird seitdem bis heute nicht mehr medial beworben, so dass die Verleugnung der Ereignisse nach altbewährten Vorgehen des Totschweigens weitergeführt wird. Auf Internet Archive wurde der Film unter „Sir! No Sir! – The Suppressed Story of the GI Movement to End the War in Vietnam“ mit dem Hinweis auf seine Bedeutung für den weiteren Kriegsverlauf in Vietnam bereitgestellt.
Neun Jahre sind nun seit der Publizierung des Zeitzeugen-Dokumentes in 2005/2006 vergangen. Seither wird diese nicht mehr erwähnt während über die parallele zivile Friedensbewegung der damaligen Zeit ausführliche Beiträge einschliesslich der damaligen Pop-Kultur produziert wurden, meist unter dem Label „Hippy-Kultur“.
Die Dokumentation „Sir! No Sir!“ mit Interviews der Zeitzeugen, die unter falschen Versicherungen ihrer Regierung in diesen Krieg zogen und Teil der G.I.-Gegenbewegung wurden („wir realisierten, dass das, was wir dort taten nicht gut war“), mit Orginal-Filmauschnitten, offiziellen und inoffiziellen, eigenen Kriegsaufnahmen der Kriegsgegner des Vietnam-Krieges, die die verschwiegene Seite in diesem Krieg zeigen:
Menschen wollen von Natur aus keinen Krieg, in den sie durch Propaganda getrieben werden. Heute, im Zeitalter der weltweiten Vernetzung, besteht Hoffnung und die Chance, durch Aufklärung Kriege zu beenden oder zu verhindern. Die U.S.-Soldaten, die sich im Vietnam-Krieg den erteilten Befehlen widersetzten, hatten nicht diese Möglichkeit und haben dennoch ihre menschlichen Werte nicht dem blinden Gehorsam verkauft und folgten ihrem Gewissen.
In Protestsongs, Gedichten oder anderen Werken wird der Widerstand gegen die Teilnahme am Krieg durch Befehlsverweigerung der Soldaten beschworen wie in diesen treffenden Zeilen von Wolfgang Borchert „Dann gibts nur eins – Sag NEIN!“
Vor fünfzig Jahren taten es über eine halbe Millionen Soldaten einer einzigen, straff organisierten Armee – und kaum einer hat heute darüber Kenntnis.
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