„Pofalla konnte das. Und er tat dies auf Geheiß seiner Chefin, der Kanzlerin.“
Die Rede von Winfried Wolf, Verkehrswissenschaftler, auf der gestrigen 208. Stuttgarter Montagsdemo der Bürgerbewegung gegen „Stuttgart 21“ (S21).
Liebe Freunde,
Stuttgart 21 ist exemplarisch und doch zugleich verallgemeinerbar. Das Projekt ist hinsichtlich des Zerstörerischen etwas Besonderes. Aber doch zugleich charakteristisch für allgemeine Tendenzen in unserer Gesellschaft. Ich möchte dies heute an drei Beispielen verdeutlichen.
Erstens am Beispiel der STUVA, zweitens am Beispiel der Möhrchen der Herren Grube und Kefer und drittens am Beispiel Pofalla.
Zum ersten Beispiel.
STUVA e.V. – das klingt bereits unterirdisch. Ist aber höchst irdisch-unterirdisch. Es handelt sich da um die „Studiengesellschaft für unterirdische Verkehrsanlagen – STUVA e.V.“. Diese tagte Ende
November in Stuttgart. Es tagten 1600 Leute mehrere Tage lang. Sie hatten sich im XXX versammelt.
Das Hauptreferat dort hielt ein gewisser Dr. Volker Kefer. Kefer entwickelte in seinem Vortrag die bekannte Theorie, wonach in Zukunft immer mehr Menschen in Metropolen wohnen werden. Die wollten dann gerne Metropolen-Hopping betreiben – von Großraum zu Großraum sausen. Deshalb setze die Bahn auf den Ausbau der Hochgeschwindigkeit-Strecken. Und dafür brauche man eben viele Tunnels.
Heute gebe es im deutschen Schienennetz 692 Tunnels mit einer Gesamtlänge von 492 Kilometern. In den nächsten 15 bis 20 Jahren seien weitere 184 Tunnelkilometer für Ersatzbauten und vor allem für
Aus- und Neubauten vorgesehen. All das zusammen soll schlappe 25 Milliarden Euro kosten – Steuergelder, versteht sich. Soweit Kefer zum Allgemeinen. Das Besondere, das Exemplarische dann – man tagte ja in Stuttgart!: S21 und die Neubaustrecke über die Schwäbische Alb soll den größten Teil dieser Summe in die Kassen der Baumafia spülen. Hierfür nannte er die Gesamtsumme von 9,3 Milliarden Euro. Für S21 allerdings nur 5,978 Milliarden – obgleich ja bereits 6,8 Milliarden Euro eingestanden wurden.
Das zweite Beispiel – Die Möhrchen der Herren Grube und Kefer.
Was hier mit „Möhrchen“ gemeint ist, kennt ihr vielleicht. Es geht nicht um Bio-Gelbe-Rüben. Sondern um Boni-Bimbes, um Gratifikationen für Top-Manager. Der Begriff stammt von dem Grube-Vorgänger Mehdorn. Ende September 2008 wurde bekannt, dass dieser als Bahnchef und auch seine Vorstandskollegen Extra-Vergütungen für den Fall erhalten hätten, dass der Bahn-Börsengang geklappt hätte, dazu Mehdorn (Spiegel, 31.10.2008):
„Es ist allgemein üblich, dass es einen Anreiz fürs Management und Führungskräfte gibt. Der Eigentümer gibt denen, die die Aktien verkaufen, Möhrchen, damit sie sich anstrengen, diese möglichst teuer zu verkaufen.“
Nun gab es anlässlich des Falls Pofalla im „Handelsblatt“ – vom 7. Januar 2014 – eine Debatte über die Zusammensetzung der Vorstandsgehälter der Deutschen Bahn AG. Grube pflegt ja immer zu sagen, von den 3,5 Millionen Euro Jahresgehalt sei der größte Teil eine „erfolgsabhängige Zahlung“.
Jetzt wurde laut Handelsblatt-Bericht bekannt: Die Kriterien für diese „Erfolge“ sind absolut vage. Das führte dazu, dass Grube im Jahr 2012 bei rund 100 Prozent Erfolg lag. Oder auch: 3,5 Millionen Euro erhielt. Bei Kefer waren es rund 2 Milliönchen Grundgehalt einschließlich der Möhrchen. Soweit erneut zum Allgemeinen. Das Besondere: Bei Grube und bei Kefer hängt laut Handelsblatt ein wichtiger Teil der Erfolgskriterien mit Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wendlingen – Ulm zusammen.
So ist Grube vertraglich verpflichtet „regelmäßige Treffen mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann“ durchzuführen. Bei Kefer
steht im Vertrag: Erforderlich – für Möhrchen – sei die „intensive Kommunikation mit den Projektpartnern, der Geschäftsführung und dem Beirat der Projektgesellschaft“ S21. Im Klartext: Je mehr Zerstörung
in Stuttgart, desto größer das Gehalt von Grube und Kefer. Oder auch: Wenn wir gewinnen, verlieren Grube und Kefer Möhrchen.
Das dritte Beispiel – der Fall Pofalla.
Ende letzten Jahres wurde bekannt: Der langjährige Chef des Bundeskanzleramts, der im Rang eines Ministers monatlich nur um die 20.000 Euro verdiente, Herr Ronald Pofalla, will aus der Politik aussteigen und bei der Bahn ganz oben einsteigen – im Vorstand. Als Vorstandsmitglied für den Bereich Politik / Lobbyarbeit. Grundgehalt inklusive Möhrchen: um die 1,5 Milliönchen. Das hatten bereits im November die Kanzlerin Merkel, der Bahnchef Grube und der Aufsichtsratschef der Bahn, Herr Utz-Helmuth Felcht, miteinander verabredet. Vertraulich versteht sich.
Nun entscheidet laut Aktiengesetz der Aufsichtsrat über die Zusammensetzung des Vorstands. Felcht wusste über die Personalie
Pofalla Bescheid. Die anderen 19 Aufsichtsratsmitglieder wussten jedoch nicht Bescheid. Legal, illegal, scheiß-der-Hund-drauf-egal. Nun ist dieser Vorgang bereits auf der allgemeinen Ebene doppelt skandalös: Skandalös ist, dass der Politiker, der im Kanzleramt mit Angelegenheiten der Deutschen Bahn zu tun hatte, zu dieser wechselt. Es handelt sich um den berüchtigten Drehtür-Effekt. Das gewinnbringende Da-raus-da-rein. Und es ist skandalös, dass die Deutsche Bahn ein Millionen-Salär dafür zahlt, dass jemand Lobbyarbeit im Bereich Politik macht.
Die Deutsche Bahn befindet sich – noch! – zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes. Im Klartext: Der Angestellte im Bahnvorstand kriegt ein Millionen-Salär dafür, dass er bei seinem Chef gute Stimmung macht. Oder auch: Der Schwanz wedelt hier ausgesprochen heftig mit dem Hund.
Soweit erneut zum Allgemeinen. Und auch hier gibt es wieder das Besondere, das Stuttgart 21 betreffende: Es stellte sich heraus – und es wurde mit der ganz ausgezeichneten Strafanzeige, die die Freunde Conradi, von Loeper und Reicherter am 12. Januar 2014 bei der Staatsanwaltschaft Berlin gegen Herrn Ronald Pofalla einreichten, dokumentiert – dass Herr Pofalla sich besonders um Stuttgart 21 verdient gemacht hat. Vor genau einem Jahr gab es hier in Stuttgart ein weiteres Mal berechtigte Hoffnungen, dass S21 scheitern würde. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass der angeblich eherne „Kostendeckel“ bei dem Projekt in Höhe von 4,5 Milliarden Euro gesprengt, dass S21 bis zu 2 Milliarden Euro teurer
werden würde. Dass damit das Projekt auch nach den Rechenarten der Deutschen Bahn unwirtschaftlich sein würde. Dass spätestens damit die Grundlagen der Volksabstimmung verlassen wurden.
Doch plötzlich – Ende Februar war es dann wieder ganz anders. Wie das kam, beschrieb damals die Wochenzeitung „Die Zeit“ wie folgt:
„Vergangene Woche waren die drei Staatssekretäre, die die Bundesregierung im Aufsichtsrat vertreten, zu Kanzleramtschef Ronald Pofalla zitiert. Man beriet sich. Man redete über die politischen Folgen eines Ausstiegs bei Stuttgart 21. Kurz darauf ging die Meldung über den Ticker:
‚Bahn darf Stuttgart 21 trotz Mehrkosten weiterbauen.‘“
Es war also Pofalla, der die Aufsichtsräte des Bundes auf Linie brachte. Wobei dieses Treffen nur das ist, was öffentlich bekannt wurde. Pofalla soll noch bis einige Stunden vor der entscheidenden Aufsichtsratssitzung vom 5. März 2013 intensive Telefonate mit anderen Aufsichtsratsmitgliedern geführt haben – alle mit dem Tenor: die zusätzlichen zwei Milliarden Euro unbedingt durchwinken! Und so geschah es dann.
Alle Aufsichtsräte bis auf den einen, den die GDL stellt, stimmten dafür,
dass weitere zwei Milliarden Euro – faktisch Steuergelder – in das S21-Fass-ohne-Boden gepumpt werden. Man reibt sich da verwundert die Augen. Heißt es nicht immer, die Bahn sei eine Aktiengesellschaft. Man könne als Eigentümer nicht „auf das operative Geschäft der Bahn einwirken.“
Offensichtlich doch. Pofalla konnte das. Und er tat dies auf Geheiß seiner Chefin, der Kanzlerin.
Nun ließ dieselbe alte und neue Kanzlerin in den neuen Koalitionsvertrag hineinschreiben:
„Wir werden (…) das Steuerungskonzept für die DB AG (…) überarbeiten. […] Die Steuerung der DB AG im Aufsichtsrat wird von dem im für Verkehr zuständigen Bundesministerium angesiedelten Staatssekretär koordiniert.“
Es wird also gesteuert. Und es wird von der Bundesregierung, der Vertreterin des Eigentümers, des Bundes, gesteuert. Nun gab es in den vergangenen zwei Jahrzehnten, seit Gründung der Deutschen Bahn AG, hunderte Kleine Anfragen zur Bahn, die früher mal Peter Conradi, oft auch mal ich, heute andere Bundestagsabgeordnete wie Sabine Leidig stellten und stellen, und die zu 75 % seitens der Bundesregierung beantwortet werden mit: „Dazu dürfen wir nichts sagen. Das wissen wir nicht. Die
Bahn ist eine Aktiengesellschaft. Sie arbeitet autonom – der Eigentümer hat darauf keinen Einfluss.“
Offensichtlich hat sie nicht nur Einfluss. Sie nimmt massiv Einfluss. Allerdings verdeckt, förmlich konspirativ. Und mit Direktiven, die den Interessen des Unternehmens Bahn, den Interessen von
Fahrgästen und Bahnbeschäftigten widersprechen. Zugunsten eines zerstörerischen und auch direkt unwirtschaftlichen Projekts.
Damit ist ein für alle Mal klar und gut dokumentiert: Stuttgart 21 wird
von ganz oben gesteuert – von der Bundesregierung. Und diese Bundesregierung wirft immer neue Steuermilliarden in dieses sprichwörtliche Fass-ohne-Boden. Sicher auch im Auftrag der Autolobby
und der Betonmafia, dieser unterirdischen Gesellschaft. Aber eben auch mit der Absicht, einen Erfolg der Bewegung gegen Stuttgart 21 zu verhindern – weil damit das Exemplarische in Stuttgart zum
Allgemeinen bundesweit und vielleicht europaweit werden würde.
Machen wir also weiter. Wir sehen, dass die da ganz oben uns verdammt ernst nehmen. Machen wir weiter im zwanzigsten Jahr nach erstmaliger Verkündung von S21. Im fünften Jahr des massenhaften Widerstands gegen das Projekt. Im vierten Winter einer wunderbaren Mahnwache. Ende April hier in Stuttgart mit der Konferenz „20 Jahre Bahnreform – 20 Jahre Stuttgart 21.“
Angesichts all dieses unterirdischen Wirkens und all dieser unterirdisch-zerstörerischen Kräfte sagen wir:
Oben bleiben.