S21: „Man pumpt und buddelt drauf los und hofft, Probleme irgendwie bewältigen zu können“
Die Rede von Rede von Dr. Ralf Laternser, Geologe, auf der heutigen 217. Montagsdemo gegen das urbane und verkehrsindustrielle Umbauprogramm “Stuttgart 21″ (S21). Die Demonstration beginnt um 18 Uhr auf dem Cannstatter Marktplatz.
Ich wurde gebeten, etwas zum Stand der Dinge in Bezug auf das Mineralwasser zu sagen – aber das geht nicht ohne einen kurzen Rückblick auf das Erörterungsverfahren zur Erhöhung der Grundwassermengen – einer für mich unglaublichen Verhöhnung aller betroffenen Bürger durch befangene Ämter.
Das Ergebnis der Erörterung ist für uns Kritiker des „Bahnhofprojekts“ in seiner Einseitigkeit und seiner Ignoranz gegenüber tausenden von Einwendern mit einer Vielzahl von kritischen Fragen und Argumenten nicht mehr zu überbieten. Was schreibt das Regierungspräsidium in seinem abschließenden Anhörungsbericht:
„Die dauerhaften Umweltauswirkungen des Vorhabens bleiben unter Einhaltung der vorgeschlagenen Nebenbestimmungen bei den beantragten Planänderungen wasserwirtschaftlich relevanter Tatbestände im Vergleich zur bestehenden Planfeststellung weitgehend unverändert; weitere erhebliche Umweltauswirkungen sind nicht zu erwarten“.
Der Erörterungsbericht des Regierungspräsidiums übernimmt fast durchweg alle von der Bahn vorgetragenen Standpunkte und Analysen strittiger Sachverhalte – es ist eine Absolution und eine Steilvorlage für das Eisenbahn-Bundesamt! Kontroversen der Erörterung werden im Bericht nur verzerrt, einseitig und meistens unvollständig wiedergegeben. Dass die Antworten der Bahn AG überwiegend von einem Juristen gegeben wurden, findet zum Beispiel keinerlei Wiedergabe im Bericht des Regierungspräsidiums.
Was ist nun von all dem zu halten?
Es wirft erneut die Befangenheitsfrage auf. Kann das Regierungspräsidium, das der Projektförderungspflicht unterworfen ist und selber bei der Entwicklung der Grundwassermodelle mitgewirkt hat, überhaupt unbefangen handeln? Und warum haben die Verantwortlichen des Regierungspräsidiums zahlreiche Fragestellungen, Themen und nicht ausreichend erörterte Punkte unter den Tisch fallen lassen?
Scheinbar bekommt nur die Bahn unbegrenzt Zeit, ihren Murks planen – und damit unzählige Regierungspräsidiums-Mitarbeiter sinnlos zu beschäftigen. Der Bürger kriegt nur kurze Fristen. Das Planungsrecht ist offensichtlich bürgerunfreundlich – und dem Regierungspräsidium scheinen kritische und schaumgeborene Bürger wohl eher lästig.
Die Befangenheit der Fachbehörden und des Landesgutachters Grundwasser liegen auf der Hand. Durch die langjährige und sehr intensive Einbindung in die beiden Arbeitskreise zu den geplanten Grundwassereingriffen haben die Behörde ihre Neutralität aufgegeben und bewerten ihre eigene Arbeit. Einvernehmen durch ständige Kompromisse über den Pilotversuch Grundwasser-Management und die Mineralwasserströme im Untergrund sind aktenkundig und wurden vor den Stellungnahmen der Behörden in den Arbeitskreisen schon abschließend erzielt und abgestimmt. Kompromisse ersetzen also wissenschaftliche Untersuchungen und entschärfen fachliche Meinungsverschiedenheiten, die dem Projekt entgegenstünden.
Die Stellungsnahmen der Fachbehörden waren und
sind also reine Placebos. Mit einer solchen Hinterzimmerpraxis werden demokratische Mindeststandards unterlaufen. Ähnliches gilt für das Eisenbahnbundesamt, das es nicht einmal für nötig befand, den Bericht des Regierungspräsidiums über die Anhörung zum Grundwasser-Management abzuwarten, sondern schon entschieden hat, eine Umweltverträglichkeitsprüfung sei entbehrlich. So macht man eine Anhörungsverhandlung schon von vorneherein zur Farce.
Jetzt zum Mineralwasser und der Geologie.
Das Zauberwort der S21-Planer heißt Anpassung der wasserrechtlichen Erlaubnisse oder vorauseilende Erkundung. Auf Deutsch: Man pumpt und buddelt drauf los und hofft, Probleme irgendwie bewältigen zu können. Nämlich genau das planen und unterstützen alle beteiligten Behörden.
Bestes Beispiel: Die Landeswasserversorgung im Kernerviertel. Hier beruht die Berechnung der Hangstabilität übrigens auf Prof. Wittke. Die zuständige Fachbehörde, das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB), hat festgestellt, dass diese Berechnung auf falschen Daten zur Gesteinsfestigkeit beruht – was vom BUND auch eingewandt wurde. Dieser erhebliche fachliche Mangel wurde im Erörterungsbericht des Regierungspräsidiums jedoch nicht einmal erwähnt – geschweige denn bemängelt.
Noch ein Beispiel: Die Hangstabilität im Kernerviertel soll durch nur eine, nach meiner Einschätzung völlig falsch platzierte Messsonde ausreichend dokumentiert sein. Konkrete Forschungsergebnisse am ganz neuen Katzenberg-Bahntunnel haben aber ergeben, dass einzelne Messsonden hierfür niemals ausreichen und durch mehrjährige Messnetze ersetzt werden müssen. Dieser aktuelle Stand der Technik wird vom Regierungspräsidium völlig ignoriert und den Bewohnern des Kernerviertel und anderen Hangbewohnern damit fahrlässig vorenthalten.
Das ist ein Riesenskandal!
Der BUND hat zur Begutachtung der Grundwassereingriffe den sehr erfahrenen Grundwasser- und Geologie-Sachverständigen Herrn Dr. Lueger beauftragt, der sich langfristig und intensiv mit den Grundwasserplanungen für S21 beschäftigt hat. Hier ein paar Bewertungen von Herrn Dr. Lueger zu den Grundwassermodellen von Stuttgart 21:
• „Dem Modell liegen auf allen Ebenen zahlreiche tatsachenwidrige und unrealistische Eingangsdaten zugrunde. Schon allein aus diesem Grund ist das Modell unbrauchbar und nicht in der Lage, die Auswirkungen der baubedingten Maßnahmen zutreffend vorherzusagen.“
• „Die hydrologischen Eigenschaften der geologischen Störungen sind den Modellbearbeitern bisher nicht bekannt und haben in das Modell keinen Eingang gefunden.“
• „Aufgrund unrichtiger Modellannahmen und Eingangsdaten – sowie der daraus resultierenden vielfachen Nichterfüllung der Genauigkeitsanforderungen ist auch die Prognosefähigkeit des Modells nicht gegeben.“
• „Angesichts der teils massiven Diskrepanzen zwischen den beiden Modellen steht die Aussagekraft der Prognosen insgesamt in Frage. Sie können keinesfalls als belastbare Grundlage für das geplante Grundwasser-Management angesehen werden.“
• „Das Behördenmodell ist zur Prüfung des Modells des Vorhabensträgers unbrauchbar.“
Dr. Lueger wird im gesamten Erörterungsbericht des RP nicht namentlich erwähnt, sondern lediglich als Berater des BUND herabqualifiziert. Eine absolute Frechheit! Entsprechend wurden all seine fachlichen Urteile vom RP zurückgewiesen. Im Falle der Grundwassermanipulation sollen nämlich letztendlich unabsehbare, nach oben offene (man spricht kreativ von flexiblen) Grundwassermengen genehmigt werden.
Das ist nach dem Umweltrecht nicht möglich – aber systematisch bei Stuttgart 21!
Viele geologisch sehr kritische Punkte wurden weitgehend ignoriert:
• die geplante Neckar-Untertunnelung bei Untertürkheim über Mineralwasser,
• die im Vergleich zur Planfeststellung wohl völlig andersartigen Mineralwasserströmungen im Untergrund,
• ständige neue, das Grundwasser-Management weiter beeinflussende Planänderungen wie z.B. am Nesenbachdüker,
um nur die wichtigsten zu nennen.
Das alles zeigt die Befangenheit der öffentlichen Behörden – und lässt einen oft am Sinn all seiner Bemühungen zweifeln. Da hat es die Buddeln statt Denken-Fraktion deutlich leichter als wir. Sie können sich über scheinheilige Pseudo-Tunnel-Anstiche von irgendwelchen zweitrangigen Rettungsstollen freuen, bei denen die heilige Barbara vom Tunnel-Filz gemeinschaftlich fröhlich missbraucht wird. Wer solche kropfunnötigen und gefährlichen Tunnel graben will, gefährdet in Wirklichkeit leichtfertig Leben und Eigentum und hat den Segen der Kirche niemals verdient.
Aber: Alle sachkundigen und fundierten Argumente sind protokolliert. Und diese werden ihre Wirkung noch entfalten – vor Gericht und in der Wirklichkeit.
Wir müssen durchhalten und uns weiter für unsere Überzeugung zum Wohle aller einsetzen. Denn, Herr Kretschmann: So einen uralten stinkenden Käs werden wir nie essen.
Wir lassen uns mit so was nicht abspeisen!